| # taz.de -- Umweltpsychologin über Klimaschutz: „Viele wissen nicht, dass si… | |
| > Obwohl sie es wichtig fänden, engagieren sich weniger Menschen für das | |
| > Klima – weil sie ihre Wirksamkeit unterschätzen, sagt Expertin Karen | |
| > Hamann. | |
| Bild: „Es hilft das Gefühl, Teil eines kollektiven Wegs zu sein“: Straßen… | |
| taz: Frau Hamann, laut Umfragen sehen global [1][80 bis 89 Prozent der | |
| Menschen den Klimawandel als ernstes Problem]. Warum steht das Thema | |
| trotzdem nicht mehr ganz oben auf der politischen Agenda? | |
| Karen Hamann: Aus der psychologischen Forschung wissen wir: Nur weil wir | |
| ein Problem wahrnehmen, führt das nicht unbedingt zum Handeln – das kennen | |
| wir zum Beispiel vom Rauchen. Auch in Deutschland zeigen Umfragen seit | |
| Jahren konstant: Die [2][Mehrheit der Menschen wünscht sich mehr | |
| Klimaschutz]. Trotzdem bleiben die politischen Maßnahmen teils weit hinter | |
| dem Notwendigen zurück. Ein Grund dafür ist das Gefühl individueller | |
| Ohnmacht. Viele glauben, dass ihr eigenes Verhalten wenig ausrichtet – und | |
| übertragen ihre Wahrnehmung auf die gesamte Gesellschaft. Es fehlt die | |
| Überzeugung, gemeinsam etwas verändern zu können. | |
| taz: Ist der Mehrheit gar nicht bewusst, dass sie sich in der Mehrheit | |
| befindet? | |
| Hamann: Genau, wir unterschätzen, wie viele andere sich ebenfalls für | |
| Klimaschutz aussprechen. Das nennt man pluralistische Ignoranz und kann | |
| lähmen: Wer denkt, mit seiner Haltung allein dazustehen, wird seltener | |
| aktiv. Wenn ich in meinem Umfeld erlebe, dass Klimaschutz belächelt oder | |
| abgelehnt wird, ist es noch schwieriger, sich zu engagieren. Wir müssen | |
| auch anerkennen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die noch nicht sehr | |
| nachhaltig ist. Zeitmangel, fehlende Angebote, soziale Unsicherheit – all | |
| das kann Menschen abhalten, laut zu werden. | |
| taz: Gefühlt waren schon mal alle fürs Klima, heute spricht kaum noch | |
| jemand davon oder geht gar auf die Straße. | |
| Hamann: Die Sorge um den Klimawandel ist geblieben – sie existiert nun | |
| gleichzeitig zu Sorgen über die Pandemie, Kriege, Inflation. Aber die | |
| Aufmerksamkeit verteilt sich neu. Und wir erleben auch eine Gegenbewegung. | |
| [3][Klimaschutz wird von der neuen Rechten aktiv bekämpft]. Barack Obama | |
| hat kürzlich gesagt: „Früher war es leicht, für Gerechtigkeit einzustehen … | |
| heute wird dies schwieriger und wir müssen neu mit uns selbst ausmachen, | |
| welche Opfer wir bringen wollen.“ Das trifft es gut. Es reicht nicht mehr, | |
| nur auf die Dringlichkeit der Krise hinzuweisen. Wir müssen aktiv werden | |
| und über gesellschaftlich getragene Lösungen diskutieren. | |
| taz: Was hilft Menschen, sich trotzdem nach wie vor für mehr Klimaschutz | |
| einzusetzen? | |
| Hamann: Es braucht resiliente Wirksamkeit, Strategien zu entwickeln, um die | |
| eigene Motivation aufrechtzuerhalten. Gerade dann, wenn Pläne wie etwa „3,5 | |
| Prozent der Bevölkerung mobilisieren“ – was [4][Extinction Rebellion in | |
| Großbritannien lange als Ziel für die Straßenproteste] ausgegeben hat – | |
| unerreichbar scheinen und langsam demotivierend wirken. Unsere Überzeugung | |
| von Wirksamkeit sollte auf mehr als nur großen Erfolgen gebaut sein. | |
| Eine Strategie wäre ein „Sicherheitsnetz“ auf unterschiedlichen Ebenen: | |
| Wenn es im Großen nicht vorangeht, konzentriere ich mich auf kleine | |
| Schritte und meinen moralischen Kompass. Und wenn ich mich lokal ohnmächtig | |
| fühle, hilft vielleicht der Blick aufs große Ganze und das Gefühl, Teil | |
| eines kollektiven Wegs – einer Gruppe – zu sein. | |
| taz: Im Koalitionsvertrag spielt das Klima eine eher untergeordnete Rolle. | |
| Dabei haben wir vielerorts eine schwere Dürre. Alles Verdrängung? | |
| Hamann: Nicht ganz. Es gibt Rückschritte, aber auch Konstanten: Der | |
| Kohleausstieg bleibt, die Klimaneutralität bis 2045 steht als Ziel drin. | |
| Die entscheidende Frage ist, wie die Regierung das konkret umsetzt. Und sie | |
| muss sich bewusst sein, welche Signale sie sendet – das beeinflusst die | |
| Motivation der Menschen. | |
| taz: Wenn [5][Friedrich Merz den Klimawandel für überschätzt hält], bleibt | |
| das hängen? | |
| Hamann: Politische Führung oder auch Gerichtsurteile wirken auf soziale | |
| Normen. Die Forschung zeigt: Es ist wichtig, dass politische | |
| Entscheiderinnen und Entscheider Geschlossenheit ausstrahlen. Ich fand es | |
| zwar positiv, dass die Ampelregierung versucht hat, Diskussionen offen zu | |
| führen und die Menschen mit einzubeziehen. Doch genau das kann bei vielen | |
| das Gefühl verstärkt haben, dass nichts vorangeht. | |
| Motivation entsteht oft durch ein gemeinsames Vorhaben. Bei | |
| Energiegenossenschaften sehen wir etwa, wie sehr auch staatliche | |
| Unterstützung Menschen motivieren kann, mitzumachen – als Teil eines | |
| gemeinsamen Ziels, der Energiewende. Immerhin: Bürgerenergie ist im | |
| Koalitionsvertrag erwähnt. Da gibt es mal einen Moment, wo Bürger als | |
| aktive Gestalter der sozial-ökologischen Transformation mitgedacht werden. | |
| taz: Welche Aufgabe kommt der Zivilgesellschaft in diesem Prozess zu? | |
| Hamann: Sie muss den Entscheidern zeigen, dass die Klimabewegung noch da | |
| ist. Aber nicht nur durch Protest. Auch zivilgesellschaftliches Engagement | |
| in anderen Bereichen ist wichtig. In Australien haben Menschen vor der Wahl | |
| Schilder mit dem Spruch „Climate Action Now“ in ihren Vorgarten gestellt. | |
| Da wurde vielen Unbeteiligten bewusst: Okay, die haben vielleicht ein SUV | |
| in der Einfahrt, aber sie unterstützen die Klimapolitik. Das hat gezeigt: | |
| Klimabewusstsein ist breiter verankert, als man denkt. | |
| taz: Wie wird die stille Mehrheit noch lauter? | |
| Hamann: Durch Gespräche. Und lokale Initiativen. In einer Zeit, in der | |
| große politische Würfe vielleicht ausbleiben und wir Rückschläge erleben | |
| werden, ist die Transformation von unten und im Zwischenmenschlichen | |
| entscheidend. Auf lokaler Ebene kann viel angestoßen und Sympathie gewonnen | |
| werden. Ein Beispiel sind die Haustür-Wahlkämpfe der Linken, die von vielen | |
| jungen Leuten auch aus der Klimabewegung gemacht wurden. Wir sollten das | |
| gesellschaftliche Streben nach Gerechtigkeit als Teil einer | |
| sozial-ökologischen Transformation nicht unterschätzen. | |
| 24 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.tagesschau.de/ausland/un-umfrage-klimawandel-100.html | |
| [2] https://89percent.org/stories-that-inspire/ | |
| [3] /Politischer-Einfluss-der-Superreichen/!6073818 | |
| [4] /Neuer-Klimaprotest-in-Grossbritannien/!5895505 | |
| [5] /!vn6082513/ | |
| ## AUTOREN | |
| Maximilian Arnhold | |
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