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# taz.de -- Bluesky-CEO Jay Graber über Social Media: Die bessere Zukunft bauen
> Jay Graber will das Internet retten. Als Chefin von Bluesky verspricht
> sie ein Social Media ohne Milliardäre und Trolle. Kann diese Utopie
> bestehen?
Bild: Ist inspiriert von Autor:innen wie Ursula Le Guin: Jay Graber im März 20…
Jay Graber tritt mit der Souveränität einer Person auf, die jede Frage
bereits zu kennen scheint, noch bevor sie gestellt wird. So wirkt beinahe
alles, was einem zu sagen einfällt, wie eine Banalität, die man besser für
sich behält. Selbst dann, wenn es um die großen, wichtigen Themen geht.
Die [1][Zukunft von Social Media]? Ist doch offensichtlich. Protokolle
statt [2][Plattformen]. Dezentral, interoperabel, föderiert. Wer da noch
nicht Bescheid weiß, lebt wohl wie Patrick der Seestern unterm Stein.
Mundus Sine Caesaribus – „Eine Welt ohne Herrscher“, steht in großen
Buchstaben auf ihrem T-Shirt, das sie auf der diesjährigen SXSW-Konferenz
trägt. Ein unmissverständlicher Diss an [3][Mark Zuckerberg], der zuvor ein
T-Shirt mit dem Aufdruck „Aut Zuck aut nihil“ trug – eine auf ihn gemünz…
Abwandlung der lateinischen Redewendung „Entweder Herrscher oder nichts“.
Noch leben wir in einer Welt, in der unsere Kommunikationsinfrastruktur in
den Händen milliardenschwerer Silicon-Valley-Autokraten liegt.
Doch die CEO von Bluesky, dem aktuellen Main Character unter den
aufkommenden Twitter/X-Alternativen, möchte das ändern. Die 33-Jährige
absolvierte einen Bachelor in Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft an
der University of Pennsylvania und arbeitete danach als
Softwareentwicklerin in der Blockchain-Industrie, bevor sie 2019 in Kontakt
mit dem Twitter-Mitgründer Jack Dorsey kam.
Dorsey hatte Bluesky ursprünglich ins Leben gerufen, ist heute jedoch nicht
mehr daran beteiligt.
## „Billionaire-proof“
Als Graber im August 2021 die Leitung von Bluesky übernahm, sorgte sie
zuallererst für dessen vollständige Unabhängigkeit von Twitter – was sich
als strategisch kluge Entscheidung erwies. Rund ein Jahr später folgte die
Übernahme Twitters durch Elon Musk, der die Plattform auf rechts drehte und
anschließend in die Bedeutungslosigkeit trieb.
Bluesky hingegen, so betont Graber, sei „billionaire-proof“. Dafür sorge
dessen dezentrale Architektur, die auf dem AT-Protokoll aufbaut. Klingt
erst mal sperrig und kompliziert. Dabei nutzen viele von uns bereits
Protokolle, ohne es zu wissen. Zum Beispiel beim Verschicken einer E-Mail.
Das „Simple Mail Transfer Protocol“ ermöglicht es etwa, eine E-Mail von
einer Gmail-Adresse an eine GMX-Adresse zu senden – statt nur an andere
Gmail-Adressen.
Graber ist nicht die Einzige, die dieses Prinzip auch für soziale Medien
zum neuen Standard machen möchte. Neben Bluesky gibt es weitere Versuche,
dezentrale Architekturen für soziale Netzwerke zu etablieren. Doch anders
als etwa Mastodon, das ebenfalls auf einem Protokoll basiert, bietet
Bluesky seinen Nutzer:innen einen so unkomplizierten Einstieg wie sonst
nur Mainstreamplattformen.
Statt eines einzigen, von undurchsichtigen Algorithmen kuratierten
Standardfeeds wie auf Instagram, X oder Tiktok, haben Nutzer:innen auf
Bluesky die Möglichkeit, verschiedene Feeds zu kreieren und nach Themen zu
sortieren – oder denen anderer zu folgen. Graber selbst scrollt gerne
durch eine Timeline, die ihr ausschließlich Bilder von Moos zeigt, wie sie
in Interviews erzählt.
Links zu externen Webseiten bleiben bei Bluesky unbestraft, während andere
Plattformen ihre Tore zum offenen Web lieber geschlossen halten. Instagram
oder Tiktok setzen alles daran, ihre Nutzer:innen möglichst lange in
ihrem eigenen Ökosystem zu halten, indem sie Posts mit externen Links
downranken. Graber hingegen möchte Bluesky als „Portal“ zu anderen Orten im
Netz verstehen – nicht als Festung.
„Es geht darum, den Nutzer:innen die Entscheidungsmacht über ihre Daten
und Interaktionen zu geben“, sagt sie.
Wenn ihnen Bluesky nicht mehr gefällt, können sie ihre Follower:innen
und Beiträge einfach „mitnehmen“ und damit zu einer anderen Plattform
wechseln, die auf demselben Protokoll läuft. Die Kontrolle über die Daten,
die sonst bei den Konzernen liegt, wird so direkt in die Hände der
Nutzer:innen gelegt.
## Sich die Welt radikal anders vorstellen
Graber vertritt eine paradoxe Position: Sie will Strukturen schaffen, die
ihre eigene Rolle überflüssig machen. Ein Netzwerk, dessen Funktionsweise
keiner CEO mehr bedarf. Ihre Haltung entspringt einem tiefen Misstrauen
gegenüber konzentrierter Macht – ganz gleich, ob sie in Form von
Regierungen, Milliardären oder, wie im Fall der USA, aktuell von beiden
gleichzeitig ausgeübt wird.
Statt mit den Schriften der neoliberalen Ikone Ayn Rand, die dem Silicon
Valley als ideologisches Leitbild dient, wuchs Graber mit der
feministischen Science-Fiction von Ursula Le Guin und Margaret Atwood auf.
Diese Autorinnen lehrten sie, wie sie sagt, sich die Welt radikal anders
vorzustellen, als sie ist.
Unter den Tech-Bros mit Gottkomplex ist Graber eine Ausnahmefigur, auf die
man gerne Hoffnungen projiziert. So neu und anders Bluesky sich anfühlt,
erinnert es auch ein bisschen an die frühen Tage des Internets, als es noch
Spaß gemacht hat. Das Internet war mal ein Versprechen, ein Sehnsuchtsort,
eine Utopie. Bevor Marktlogiken es ruiniert haben. Es hätte auch anders
kommen können – und kann es noch.
Doch auch Bluesky, warnen kritische Stimmen, sei keineswegs
„billionaire-proof“. Aktuell mag Bluesky noch eine harmonische Bubble für
Linke sein, ohne Werbung, ohne rechte Trolls, fast so gut wie, nein, besser
noch als Twitter damals! Aber in ein paar Jahren, spätestens, wird sich
zeigen, dass auch Bluesky von Investoren mit monetären Interessen getragen
wird.
So berechtigt diese Warnungen sind – so zynisch ist es, schon jetzt den
Ruin von etwas heraufzubeschwören, das zumindest für ein paar Jahre etwas
wirklich Gutes sein könnte. Eine technische Lösung für ein politisches
Problem mag auf Dauer vielleicht keinen Erfolg haben. Aber alles, das Musk
und Zuckerberg auch nur ein kleines bisschen Macht entzieht, ist zumindest
begrüßenswert.
Enjoy it, while it lasts!
30 Apr 2025
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## AUTOREN
Katharina Stahlhofen
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