# taz.de -- Graswurzel-Lobbying gegen Telekom-Paket: Klinkenputzen für ein fre… | |
> In Brüssel versuchen junge Onlineaktivisten aus ganz Europa die | |
> EU-Parlamentarier davon zu überzeugen, die Freiheit im Netz nicht noch | |
> weiter einzuschränken. | |
Bild: Drei Mal beim Filesharing erwischt werden und die Internetverbindung geka… | |
BERLIN taz Seit vier Tagen streift Markus Beckedahl durch die Flure des | |
Europäischen Parlaments in Brüssel, klopft an Türen, trifft Abgeordnete, | |
geht zu Hintergrundgesprächen und redet und redet. Seine Mission: Der | |
Internetkenner will so viele Europaabgeordnete wie möglich für die Gefahren | |
des sogenannten Telekompaketes sensibilisieren, über das sie am 22. | |
September abstimmen. Aus seiner Sicht geht es um nichts weniger als um die | |
Freiheit des Internets. | |
Beckedahl ist dabei nicht allein unterwegs - derzeit acht weitere | |
Netzaktivisten aus ganz Europa versuchen wie er, mit Parlamentariern aus | |
ihren Heimatländern ins Gespräch zu kommen. Dieses Mal verlassen sie sich | |
nicht auf Protestblogs, E-Mails und Onlinepetitionen, sondern haben sich | |
selbst auf den Weg nach Brüssel gemacht. Denn mitten im umfangreichen | |
Richtlinienwust des "Telekompaketes" verstecken sich zwischen zahlreichen | |
harmlosen Regelungen zu Preisharmonisierungen viele gefährliche Details. Um | |
die datenschutzrechtliche Behandlung von IP-Adressen geht es da, Strafen | |
für Filesharing und die Neutralität des Internets - Themen, die oftmals nur | |
für Spezialisten verständlich sind. Die Entscheidungen dazu betreffen | |
jedoch alle Europäer, die ins Internet gehen. | |
"Deshalb kommen wir hier als Onlinegeneration an und erklären der | |
Generation davor, was sie regulieren", sagt der 31-jährige Beckedahl. Mit | |
[1][netzpolitik.org] schreibt er einen der populärsten politischen Blogs | |
über Netzthemen in Deutschland und leitet als Geschäftsführer eine Berliner | |
Firma für freie Software. Bei seinen Gesprächen in Brüssel habe er manchem | |
Abgeordneten erst einmal erklären müssen, was ein Blog genau ist, erzählt | |
er. Bei anderen musste er durch Sakko und gutes Benehmen zunächst ein paar | |
Klischees über Computerfreaks zerstreuen. | |
Er und die anderen Netzlobbyisten aus Frankreich, Belgien, Großbritannien | |
und Schweden gehören keiner gemeinsamen Organisation an. Sie kennen sich | |
aus dem Internet und fanden sich kurzfristig im Juni zusammen, als klar | |
wurde, wie viel Sprengstoff in dem so dröge daherkommenden "Telekompaket" | |
steckt. Jetzt teilen sie sich einen Monat lang ein Apartment in Brüssel, | |
das die französische Gruppe La Quadratur du Net organisiert hat. Viele von | |
ihnen sind schon zum zweiten Mal zum Klinkenputzen in Brüssel und waren | |
schon bei der ersten Aktion 2005 dabei, als sie gegen ein Gesetz zu | |
Softwarepatenten mobil machten. | |
Beim "Telekompaket" ist ihnen der three strikes out-Vorschlag ein | |
besonderer Dorn im Auge. Laut dieser Regel soll Internetnutzern, die drei | |
Mal beim Filesharing erwischt wurden, die Netzverbindung für ein Jahr | |
gekappt werden. Anfang Juli schlugen die Aktivisten per Onlinekampagne | |
Alarm gegen den Vorschlag - und die EU-Parlamentarier einigten sich auf | |
eine entschärfte Version des Vorschlags. Doch auch die geht Beckedahl und | |
den anderen Klinkenputzern in Brüssel noch zu weit. | |
Ideen wie diese trügen die Handschrift der Unterhaltungsindustrie, meint | |
Beckedahl - denn gerade die three strikes out-Strategie gegen Filesharing | |
stehe schon länger auf deren Wunschliste. Die Branche hat wie die anderen | |
Industriezweige auch professionelle Lobbyisten in Brüssel sitzen. Die | |
Gegner haben kein Geld für so etwas, sie reisen auf eigene Kosten an. Sie | |
sehen ihr Klinkenputzen in Brüssel nicht als romantisierte | |
Graswurzelpolitik, sondern als puren Pragmatismus. Sie wissen, dass man | |
Politiker am besten noch immer im persönlichen Gespräch überzeugen kann. | |
Beckedahl ist optimistisch, dass er und seine Mitstreiter bis zur | |
Abstimmung etwas bewegen können. "Wir haben den Vorteil, dass wir | |
authentischer und glaubwürdiger sind, weil wir selbst betroffen sind", sagt | |
er. "Einer von uns ist so viel wert wie zehn Lobbyisten." MEIKE LAAFF | |
1 Sep 2008 | |
## LINKS | |
[1] http://netzpolitik.org | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
Meike Laaff | |
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