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# taz.de -- Politik im Stadion: Linker wird’s nicht im deutschen Fußball
> Beim torlosen Remis zwischen Werder Bremen und St. Pauli passiert auf dem
> Rasen recht wenig. Im Stadion geht es dafür sehr politisch zu.
Bild: Kritik an der Polizei zum Tod von Lorenz A. im Stadion beim Spiel Werder …
Das Fußballspiel zwischen Werder Bremen und St. Pauli bot auf dem Rasen
wenig Spektakel. Mit dem torlosen Remis rückte für die Gäste aus Hamburg
der Klassenerhalt in der 1. Männer-Bundesliga etwas näher, für die Bremer
die Europapokal-Plätze etwas weg. Richtig interessant wurde es auf den
Rängen, dort sorgten die beiden befreundeten Fanlager für das linkeste
Profifußballspiel Deutschlands.
So wurden zu Beginn der zweiten Halbzeit mehrere politische Anliegen in den
Kurven thematisiert. Seitens der Bremer Heimfans gab es eine große Aktion,
die sich f[1][ür die Anstoßzeit am Samstag um 15:30 einsetzt.] Für
Außenstehende eine banal wirkende Forderung, doch hinter dem Protest steht
eine antikapitalistische Grundhaltung. „Stoppt den [2][Vermarktungswahn]!“
stand auf einem Transparent, denn die Aufteilung des Spieltages dient nicht
den Fans, sondern Streaming-Anbietern. „Heute auf dem Rasen, am 1. Mai auf
der Straße: Klassenkampf!“ forderte lesbar die Fanszene des FC St. Pauli.
Dass viele aus der Kurve auf der revolutionären 1.-Mai-Demonstration sein
werden, ist keine Überraschung. [3][Die klare politische Position gehört
seit Jahrzehnten zur DNA des Vereins.]
Den größten Protest während der 90 Minuten gab es gemeinsam. [4][Es ging um
Lorenz A. aus Oldenburg.] Der 21-jährige Schwarze wurde vor einigen Tagen
von der Polizei erschossen. Der Werder Anhang hielt ein Transparent mit der
Aufschrift „Schüsse von hinten – das war Mord“ hoch, St.-Pauli-Fans
skandierten „deutsche Polizisten – Mörder und Rassisten“. Kurz darauf
erinnerten die Heimfans an die [5][kommunistische Widerstandskämpferin Else
Jahn], die vor 80 Jahren von der SS ermordet wurde.
„Das ist ein super Verein, super Fans“, lobte St. Paulis Flügelstürmer No…
Weißhaupt, „sonst werde ich beleidigt, wenn ich ausgewechselt werde, hier
wurde ich beklatscht“. Die Stimmung war dauerhaft gut. Werder Bremen
Trainer Ole Werner bemerkte bereits beim Einlaufen, „dass das eine
besondere Atmosphäre heute war“. Einen kleinen Anteil daran hatten auch
Fans von Standard Lüttich und Babelsberg 03, die mit im Auswärtsblock
waren. Denn unter linken Fußballfans gibt es über nationale Grenzen hinaus
ein solidarisches Netzwerk.
## Großer Zusammenhalt
Linke haben im Fußball, wie auch in der Gesellschaft, einen schweren Stand.
Sich gegen Diskriminierung einzusetzen, ist nicht leicht in einem von
Machotum geprägten Sport. Dafür ist der Zusammenhalt groß. Auf St. Paulis
Südkurve sind Fans von bis zu fünf Vereinen anzutreffen. Es gibt aber auch
Ausnahmen, wie die Fangruppierungen von Jena und Chemie Leipzig. Die beiden
Viertligisten sind dem linken Spektrum zuzuordnen, leisten sich aber
dennoch teils heftige Auseinandersetzungen.
Ansonsten gibt es viel Solidarität und gelungene Aktionen, beispielsweise
bei der Erinnerung an die Verbrechen vom Nationalsozialismus. Etwa die
stadionumfassende Aktion auf St. Pauli am Holocaust-Gedenktag oder
Freiburgs „Kein Vergeben, kein Vergessen“-Choreografie.
Noah Weißhaupt wurde diese Spielzeit aus Baden-Württemberg ausgeliehen und
ist nicht überrascht, „dass sich Freiburg und St. Pauli verstehen“. Die
„Ultras Sankt Pauli“ pflegen, neben der erwähnten Verbindung ins belgische
Lüttich und brandenburgische Babelsberg, eine enge Freundschaft zur
„Schickeria“, den Ultras von Bayern München. Obwohl der Verein, anders als
St. Pauli, nicht unter dem Verdacht steht, besonders kapitalismuskritisch
zu sein, unterstützen die Ultras linke Projekte mit. So gab es am
letztjährigen 9. November eine gemeinsame Gedenkaktion anlässlich der
antisemitischen Pogromnacht 1938.
Durch medienwirksame Protest- und Gedenkaktionen lässt sich viel erreichen,
die St.-Pauli-Fans fungieren in der Szene als Initiator und Bindeglied. Bis
auf eine Fanfreundschaft der Schickeria mit Carl Zeiss Jena gibt es keine
wirkliche Verbindung zweier linken Fangruppierungen in Deutschland ohne
die Hamburger. Die Freundschaft zwischen den Fans von Werder und St. Pauli
ist eine besondere. Das spürt man im Stadion, Zug oder Internet, ganz
gleich ob Ultra oder nicht – linker wird’s nicht.
28 Apr 2025
## LINKS
[1] /!1179484/
[2] /Fanproteste-verhindern-DFL-Investor/!5989441
[3] /FC-St-Pauli/!6081924
[4] /Demonstration-fuer-Lorenz-A/!6084885
[5] /Sexismus-im-Eishockey/!6038934
## AUTOREN
Fridolin Haagen
## TAGS
Werder Bremen
FC St. Pauli
Linke Szene
Fußball
Fußball und Politik
Kolumne Press-Schlag
Landgericht Bremen
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