# taz.de -- Landesamt für Einwanderung in Berlin: Gefangen in der Abhängigkeit | |
> Noch immer müssen Menschen in Berlin oft monatelang auf einen Termin beim | |
> Landesamt für Einwanderung warten. Für manche hat das existenzielle | |
> Konsequenzen. | |
Bild: Halyna Sarapina – hier mit ihrem Ehemann Oleksandr Baranchykov – hat … | |
Berlin taz | Halyna Sarapina fühlt sich in Berlin immer weniger willkommen. | |
Die 32-Jährige kam vor acht Jahren aus der Ukraine zum Studieren in die | |
Stadt. Seitdem muss sie immer wieder um ihren Aufenthalt kämpfen. | |
Angefangen damit, überhaupt einen Termin beim Landesamt für Einwanderung | |
(LEA) zu bekommen. Auf ihren letzten Termin habe sie fast neun Monate | |
gewartet und ihn letztlich nur mithilfe einer Anwältin bekommen. „Im | |
vergangenen Jahr habe ich mich immer weniger als Mensch gefühlt“, sagt | |
Sarapina über ihren Kampf mit der Behörde. | |
Aktuelle Daten zu den durchschnittlichen Bearbeitungszeiten von Anträgen | |
beim LEA liegen nicht vor, auf eine Anfrage der taz reagierte das Amt | |
nicht. Im Oktober 2023 gab es noch eine Wartezeit auf Termine von bis zu | |
sechs Monaten an. Bereitgestellte Termine waren damals in kürzester Zeit | |
ausgebucht. | |
Die [1][langen Wartezeiten auf einen Termin beim LEA] wurden in den | |
vergangenen Jahren immer wieder öffentlich kritisiert. Denn selbst bei | |
rechtzeitiger Beantragung einer Verlängerung des Aufenthaltstitels können | |
Verzögerungen dazu führen, dass Betroffene nicht arbeiten, einen | |
Mietvertrag unterschreiben oder verreisen dürfen. Die langen Wartezeiten | |
hatten 2023 sogar dazu geführt, dass Termine von Drittanbietern | |
[2][abgegriffen und weiterverkauft wurden]. | |
Um dem Terminhandel entgegenzuwirken, hat das LEA Anfang vergangenes Jahr | |
sein Online-Terminvergabesystem vollständig abgeschafft. Seither werden | |
Anträge über ein Kontaktformular gestellt. Wenn eine Aufenthaltserlaubnis | |
oder ein Visum abläuft, gilt nach Antragstellung die „Fiktionswirkung“: | |
Offiziell läuft ein Aufenthaltstitel nur dann aus, wenn keine Verlängerung | |
beantragt wird – ansonsten gilt der Aufenthaltstitel weiter, bis das LEA | |
über den Antrag entschieden hat. Doch Betroffene berichten, dass einige | |
Ämter und Behörden die Fiktionswirkung nicht anerkennen. | |
## „Die Situation wird zur Katastrophe“ | |
So erlebte es auch Sarapinas Ehemann Oleksandr Baranchykov. Dessen | |
Aufenthalt war an ihr Studienvisum geknüpft. Weil Sarapina ihr Studium im | |
Oktober 2023 abschloss, hätten sie bereits im August online einen Termin | |
beim LEA beantragt, um neue Aufenthaltstitel zu beantragen, berichtet das | |
Ehepaar. Sarapina erhält daraufhin für Februar 2024, also sechs Monate | |
später, einen Termin. Baranchykov hingegen erhält überhaupt keine | |
Rückmeldung auf seine Terminanfrage – über ein Jahr lang. „Und dann wurde | |
die Situation für ihn langsam zur Katastrophe“, sagt Sarapina. | |
Oleksandr Baranchykov (33) ist ausgebildeter Koch und Barkeeper und | |
arbeitete zu diesem Zeitpunkt in einer Bar, die jedoch im Oktober schließen | |
musste. Im Januar 2024 erhält er ein Arbeitsangebot in der Zahntechnik. „Er | |
war sehr glücklich darüber, weil er sowieso aus der Gastronomie | |
rauswollte“, erinnert sich Sarapina. | |
Als er seinen Probevertrag bei der Agentur für Arbeit einreichen will, habe | |
diese jedoch die Fortwirkung seines Aufenthaltstitels nicht akzeptiert. | |
„Überall hieß es: Sprechen Sie erst mit dem Landesamt für Einwanderung“,… | |
Sarapina. „Dort erreicht man aber niemanden.“ Letztendlich konnte | |
Baranchykov nicht eingestellt werden. | |
Für alles, was Geld erfordert, ist Baranchykov daraufhin auf andere | |
angewiesen. Sarapina hält sich mit der Hilfe von Volunteerjobs, | |
Freund*innen und ihrer Mutter, die in Lübben als Ärztin arbeitet, über | |
Wasser. „Seine Krankenversicherung habe ich in der Zeit mit übernommen“, | |
sagt sie. „Auch seine Freunde haben ihn unterstützt. Aber er hat jetzt | |
unglaublich viele Schulden.“ | |
## „Das System funktioniert aber nicht“ | |
Im Juni 2024 erhält Baranchykov erneut ein Jobangebot aus der Gastronomie. | |
Wieder erhält er einen Vorvertrag, wieder wird die Fiktionswirkung von der | |
Agentur für Arbeit nicht akzeptiert. „Irgendwann hört man dann auf, nach | |
Arbeit zu suchen“, sagt Sarapina. | |
Zwar gibt es offiziell die Möglichkeit, solche Notfälle im Kontaktformular | |
des LEA kenntlich zu machen, um eine schnellere Bearbeitung zu erwirken. | |
„Das System funktioniert aber nicht“, sagt Sarapina. Ihre Bitten um einen | |
Notfalltermin seien allesamt ignoriert worden. Und vor Ort sei ohne Termin | |
nur das Sicherheitspersonal ansprechbar. | |
Bei ihrem Termin beim LEA im Februar 2024 bemerkt sie dann, dass die | |
Beantragung eines Freelance-Visums, wie sie es eigentlich geplant hatte, | |
kompliziert ist und nicht zu ihren Arbeitsplänen passt. Also will sie | |
stattdessen eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche beantragen. Das | |
bedeutet aber: anderes Gebäude, neuer Termin. | |
Sie stellt eine Terminanfrage, geht persönlich zum LEA – vergeblich. Bis | |
Ende 2024 hätten weder sie noch Baranchykov einen Termin erhalten, sagt | |
sie. „Das macht dich unglaublich instabil.“ Als ihre Cousine in Indien | |
heiratet, kann sie nicht hin, weil die Fiktionswirkung ihres | |
Aufenthaltstitels sie nicht zur Wiedereinreise nach Deutschland berechtigt. | |
Ihre Bitten beim LEA um einen Termin oder die Ausstellung einer | |
Fiktionsbescheinigung blieben ohne Erfolg. „Das ist ein ganz komisches | |
Gefühl, nicht ausreisen zu können.“ | |
## Ombudsstelle und Rechtsberatung eingestellt | |
Sarapina will sich Hilfe holen. Sie versucht, die Ombudsstelle des LEA zu | |
kontaktieren – doch Ende 2023 wurden Beratungsservice, Ombudsstelle und | |
Rechtsberatung beim LEA eingestellt. Schließlich wendet sie sich an das | |
„Willkommenszentrum“, der Beratungsstelle der Beauftragten für | |
Partizipation, Integration und Migration. | |
Dort wird Unterstützung beim Zugang zu und der Kommunikation mit Behörden | |
angeboten. Dort hat man Erfahrung mit Menschen, die sich rechtzeitig um | |
einen Termin beim LEA bemüht haben, deren Aufenthaltserlaubnis aber bald | |
ausläuft oder bereits ausgelaufen sei, so Leiterin Marie-Sophie Deuter. | |
Einen schnelleren Zugang zu Terminen könne man jedoch leider nicht | |
erwirken. „Unsere Jurist*innen haben allerdings sehr viel Erfahrung im | |
Migrationsrecht und können den Ratsuchenden mehr Sicherheit geben, was die | |
Erfolgsaussicht ihres Anliegens anbelangt.“ | |
Im Kontakt mit Arbeitgeber*innen oder Leistungsbehörden könne sich das | |
„Willkommenszentrum“ zudem einschalten, um sicherzustellen, dass ein Job | |
oder eine Wohnung nicht verloren gehe oder Leistungen ausgezahlt werden. | |
Sarapina und Baranchykov erfuhren von diesem Angebot erst, als Baranchykovs | |
Jobs bereits abgesagt wurden. | |
Auf der Webseite des LEA heißt es, man habe sich zum Ziel gesetzt, „den | |
Bearbeitungsrückstau trotz der anhaltend hohen Antragszahlen möglichst | |
schnell abzubauen, mindestens aber nicht weiter steigen zu lassen“. | |
Um das zu beschleunigen, hat die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus | |
bereits vor einem Jahr ein digitales Antragssystem beantragt – bislang ohne | |
Erfolg. | |
## Einen Schritt rückwärts | |
„Vom LEA wurde versprochen, dass die Digitalisierung dieses Jahr | |
schrittweise für alle Aufenthaltstitel eingeführt wird“, sagt der | |
Grünen-Abgeordnete Jian Omar der taz. Stattdessen mache das Amt durch die | |
Abschaffung des Online-Terminsystems einen Schritt rückwärts. „Man hätte | |
eine Lösung für die Übergangsphase schaffen sollen.“ Omar fordert einen | |
verbindlichen Zeitplan, bis wann die Digitalisierung erfolgen soll. Bis | |
dahin müsse es eine Alternative zum Kontaktformular geben, auch vor Ort. | |
„Warum bietet man nicht zwei offene Termine pro Woche an, bei denen | |
Menschen mit dringenden Anliegen vorsprechen können?“ | |
Nach Monaten ohne Rückmeldung vom LEA nahm Sarapina im Oktober vergangenen | |
Jahres schließlich Kontakt zu einer Anwältin auf. Mit deren Hilfe erhielt | |
sie im Dezember dann tatsächlich einen Termin. Dort wurde ihr gesagt, dass | |
sie und ihr Mann nach Ende ihres Studiums im Oktober 2023 noch Anspruch auf | |
18 Monate Aufenthalt hatten – die Monate, in denen sie anschließend auf | |
einen Termin beim LEA gewartet hatten, zählten bereits dazu. Im April muss | |
Sarapina sich daher erneut um einen Aufenthaltstitel bemühen. „Ich habe | |
gelernt, im Kontakt mit dem LEA weniger zu weinen“, kommentiert Sarapina | |
die neuerlichen Umstände. | |
Wie es im April weitergeht, weiß sie nicht. Da Baranchykov mittlerweile | |
Arbeit in einem Hotel gefunden hat, hofft sie, dadurch auch eine | |
Verlängerung ihres Aufenthalts zu erhalten. Am liebsten würde sie sich | |
selbstständig machen. „Für Visum und Versicherung brauche ich jetzt aber | |
erst einmal eine Festanstellung. | |
Hinnehmen will sie das aber nicht so einfach: Sarapina hat mittlerweile | |
mehrere Petitionen gestartet, in denen sie fordert, dass das LEA mehr | |
Personal einstellt und auch Studierende aus Nicht-EU-Ländern in Deutschland | |
freiberuflich arbeiten dürfen. | |
28 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Einbuergerungen-in-Berlin/!6064485 | |
[2] /Landesamt-fuer-Einwanderung-in-Berlin/!5967790 | |
## AUTOREN | |
Clara Zink | |
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