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# taz.de -- Verhandlung im Fall Harvey Weinstein: Keine Vergewaltigung ohne Gew…
> Der ehemalige Filmproduzent steht in New York wieder vor Gericht. Zuvor
> sollte einer Klägerin verboten werden, das Wort „Gewalt“ zu verwenden.
Bild: Ein Kategorie für sich: Harvey Weinstein vor Gericht am 15. April 2025
Es scheint Vergewaltigungen zu geben, die gewaltfrei vonstattengehen. Es
war eine solche Form der Vergewaltigung, [1][wegen der Harvey Weinstein
2020 in New York verurteilt wurde] – eine Vergewaltigung dritten Grades
([2][„third degree rape“]), wie man sie im US-amerikanischen Recht
bezeichnet. Die Geschworenen sprachen ihn damals von der [3][Vergewaltigung
ersten Grades] frei, die ihm die Schauspielerin Jessica Mann vorwarf.
Bei einer Vergewaltigung ersten Grades übt der Täter physische Gewalt aus
oder droht sie an. Sie ist die schwerwiegendste Form. 1967 wurde diese
Abstufung im New Yorker Recht eingeführt und galt damals als progressiv,
denn sie erlaubte eine nuanciertere Betrachtung: Eine Vergewaltigung gilt
seitdem auch als solche, wenn das Opfer genötigt oder manipuliert wird oder
wenn es urteilsunfähig ist. Dass die Abstufung dennoch zu wünschen übrig
lässt, zeigt der Fall Weinstein.
Da sein Urteil von 2020 wegen eines Verfahrensfehlers kassiert wurde,
[4][beginnt der Prozess von vorn.] Die Schuldsprüche müssen neu verhandelt
werden, die Freisprüche bleiben bestehen.
Heißt: Ob der ehemalige Filmproduzent Gewalt angewendet hat, steht nicht
zur Diskussion. Prompt stellte seine Verteidigung einen Antrag, der es
Jessica Mann verbieten sollte, das Wort „Gewalt“ („force“) zu verwenden,
wenn sie über Weinsteins mutmaßliche Vergewaltigung spricht. Der Richter
gab dem Antrag zunächst statt, nahm seine Entscheidung am 10. April jedoch
wieder zurück: Jessica Mann darf weiterhin von „Gewalt“ sprechen.
## Der Täter überschreitet eine Grenze
Einer Vergewaltigung wohnt Gewalt inne. Auch linguistisch gesehen. Ganz
offensichtlich ist das im Deutschen, wo die Gewalt lediglich in einem
Präfix und einem Suffix eingehüllt wurde, man sie also kaum verheimlichen
kann. Oder im Französischen, wo man die Vergewaltigung „viol“ nennt,
abgeleitet vom lateinischen „violare“, also jemandem Gewalt antun, jemanden
verletzen oder misshandeln. „Violer“ kann man auf Französisch nicht nur
eine Person, sondern auch ein Gesetz, jemandes Ehre, ein Grab, ein
Versprechen oder einen Vertrag. In jedem Fall überschreitet der Täter eine
Grenze.
Das englische Wort „rape“ ist dagegen nicht ganz so explizit. „Rape“ ko…
vom lateinischen „rapere“, das ursprünglich so viel wie „entreißen“, …
Gewalt ergreifen“ oder „entführen“ bedeutete. Spätestens in der Mitte d…
15. Jahrhunderts wurde das Wort semantisch angereichert, meinte die
Vergewaltigung einer Person, und die alte Bedeutung, die ebenfalls Gewalt
impliziert, wurde obsolet. Das Wort „Raptor“, das etwa für Dinosaurier
verwendet wird und so viel wie „Räuber“, „Plünderer“ oder „Entführ…
bedeutet, hat im Übrigen denselben Ursprung.
Wie kann es sein, dass sich Weinstein über die Sprache seiner Tat
hinweggesetzt hat – also zwar vergewaltigt haben soll, ihm dies jedoch
gelungen sei, ohne Gewalt anzuwenden? Eine Vergewaltigung dritten Grades
wird im New Yorker Recht definiert als Sex mit einer Person ohne deren
Zustimmung – also Konsens. Fehlender Konsens liege dann vor, wenn der
Kläger oder die Klägerin eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass er oder
sie nicht in die Handlung einwillige. Wenn eine vernünftige Person in der
Situation des Akteurs oder der Akteurin diese Worte als Ausdruck der
fehlenden Einwilligung hätte verstehen können, fehlt Konsens. Wie macht der
Täter weiter, nachdem sein Opfer zum Ausdruck gebracht hat, dass es nicht
einverstanden ist? Wie anders als mit Gewalt?
Ist es ein Kategorienfehler, überhaupt von „nonconsensual sex“ zu sprechen,
wie es im US-Gesetz steht? Jeder Sex, der ohne Konsens stattfindet, ist
kein Sex mehr, sondern eine Gewalttat, ein Verbrechen – eine
Vergewaltigung. Verletze ich jemanden mit einem Messer, kann ich den Akt
kaum mehr Kochen nennen. Eine Vergewaltigung nichtkonsensuellen Sex zu
nennen, betrachtet den Akt illusorisch, möglicherweise aus der Perspektive
mancher Täter. Andere Täter sind sich der Gewalt natürlich bewusst – sie
ist genau das, wonach sie suchen.
Auch Weinstein sah die Handlung so, als ob sie ihm zustünde. Er und die
Klägerin Jessica Mann waren zuvor in einer Beziehung und hatten immer
wieder konsensuellen Sex. Sie beschreibt ihn als väterliche, sich kümmernde
Person. Auch beruflich gab es ein Machtgefälle: Er der mächtige
Filmproduzent, sie die junge Schauspielerin. Laut Mann soll Weinstein sie
im März 2013 in einem New Yorker Hotelzimmer gefangen gehalten haben, wo er
ihr befahl, sich auszuziehen, sie bedrohte und dann vergewaltigte.
Auch wenn Sprache unpräzise sein kann, verrät sie – egal ob „rape“, „…
oder „Vergewaltigung“ – etwas, das in der Rechtssprache verloren geht,
vielleicht sogar übersehen wird: dass es keine Penetration gegen den Willen
einer Person ohne Gewalt geben kann. Sicher ist eine Abstufung, die es
erlaubt, manche Vergewaltigungen schlimmer als andere zu kategorisieren,
notwendig – solange man keinen Denkfehler begeht und glaubt, eine
Vergewaltigung dritten Grades sei gewaltfrei. Dass das Opfer das Wort
„Gewalt“ aussprechen darf, ist demnach das Mindeste.
19 Apr 2025
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-Harvey-Weinstein/!5664443
[2] https://www.nycourts.gov/judges/cji/2-PenalLaw/130/130.25(3).pdf
[3] https://law.justia.com/codes/new-york/2014/pen/part-3/title-h/article-130/1…
[4] /MeToo-Prozess-in-New-York/!6079036
## AUTOREN
Valérie Catil
## TAGS
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