Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Engagement in Vereinen: Was passiert, wenn keiner richtig mitmachen…
> Für Vereine ist es bedrohlich, wenn niemand mehr verbindlich sein will.
> Das ist fatal, denn sie sind so etwas wie eine kleine Demokratie.
Bild: Blasen bilden beim Schwimmtraining
Berlin taz | Sportverein, das klingt für viele so altmodisch wie
Gewerkschaft oder Partei. Auch für mich. Aber dann hab ich doch eines Tages
einen Mitgliedsantrag ausgefüllt – nach langem Hadern. Für gewöhnlich mag
ich mich nicht so binden. Viel lieber sind mir Kurse, in die ich spontan
„reintropfen“ und die ich flexibel canceln kann, wenn ich was Besseres zu
tun habe oder zu müde bin.
So wie die Kunden von Urban Sports und Co. kümmert auch mich mein
persönliches Wohlergehen mehr als das Prekariat der Freizeitbranche. Weil
jedes Mal andere Leute kommen, kenne ich nur die Trainerinnen mit Namen.
Mich kennt auch keiner.
„Hallo, Karlotta“, heißt es dagegen, wenn ich am Dienstagmorgen um sieben
die Schwimmhalle betrete. Uwe* ist einer der Leute, mit denen ich mir hier
die Bahn teile. Obwohl ich mit meinem Mund bisher mehr Wasser geschluckt
habe, als Wörter ausgesprochen, gehöre ich schon fest dazu. Wenn ich
wegbleibe, dann wird es Uwe auffallen.
So wie auch Sandra*, die am Beckenrand steht und Menschen wie mir
ordentlich schwimmen beibringt. Selbst war Sandra ewig nicht im Wasser.
Wenn sie in ihrer Freizeit nicht gerade Vereinskolleg*innen coacht,
kümmert sie sich um Mitgliedsausweise und -beiträge sowie die Vereinspost.
Vor vierzig Jahren hat sie ihre Kinder bei dem Verein angemeldet, schwimmen
können die schon lange, bei ihrem ehrenamtlichen Engagement ist es jedoch
geblieben.
## Event Jahreshauptversammlung
Als langjährige Vorsitzende verschickt sie auch die Einladung zur
Jahreshauptversammlung – auf die ich mir sofort reflexhaft überlege, welche
Ausrede ich mir einfallen lassen kann, um nicht zu kommen. Denn leider
klingt das nicht nach einem Event, aus dem man etwas für sich ziehen
könnte. Das denke nicht nur ich, das denkt der Großteil von uns. Im
vergangenen Jahr sind acht Leute gekommen, sieben davon besetzen die
Ehrenämter im Verein. Der hat 230 Mitglieder.
Aber Moment – haben wir da nicht was falsch verstanden? Ein Verein ist ja
kein Dienstleistungsbetrieb, sondern eine Gemeinschaft von Menschen, die
zusammen etwas auf die Beine stellt. Im Prinzip ist der Verein also sowas
wie eine kleine Demokratie.
Die gilt es nicht nur zu verwalten, sondern aktiv zu beleben – nach der
Versammlung geht es zum Austausch in die Kneipe. Wie in der großen
Demokratie ist der Verein auch ein Ort, an dem unterschiedlichste Menschen
interagieren – Blasen bilden wir nur unter Wasser. Und das, obwohl wir aus
allen Ecken Berlins kommen, unterschiedlich alt sind und bis auf das
Schwimmen keine großen Gemeinsamkeiten haben.
Gemein ist uns aber: Verbindlich wollen wir lieber nicht sein. Das ist in
diesem kleinen Verein auch wie in der großen Demokratie. Und wie die große
Schwester ist auch der Verein dadurch bedroht. Wenn keiner richtig
mitmachen will, dann ist es irgendwann aus, kapiere ich. Also ringe ich
mich durch: wenn Uwe geht, dann raff' ich mich auch auf. „Nee, wo soll ick
'n da parken?“, sagt der jedoch. „Du könntest ja mit den Öffis fahren“,
probiere ich es. Darüber muss er lachen: „So weit kommt's noch!“ Schlimm
genug, dass wir aus solchen Events keinen persönlichen Nutzen schlagen,
aber dann auch noch Geld und Zeit investieren? – Nö.
Bis zur Versammlung bekomme ich noch drei Erinnerungsmails: „Ihr braucht
keine Angst zu haben, dass wir euch zu einem Amt zwingen“, ermutigt Sandra.
Das wird vielleicht der Grund sein, dass am Ende 29 Leute kommen. Ich bin
nicht darunter. Zu müde.
*Namen geändert
16 Apr 2025
## AUTOREN
Karlotta Ehrenberg
## TAGS
Sportvereine
Ehrenamt
Kolumne Press-Schlag
Jugend vor den Ostwahlen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mitgliederboom in Sportvereinen: Fein im Verein
Nach dem Coronatrauma stürmen die Menschen förmlich die Sportvereine. Der
Sportbund vermeldet Rekordzahlen. Über 28 Millionen sind es bereits.
Soziales Engagement auf dem Land: „Irgendjemand muss es ja machen“
Ehrenamt in ländlichen Regionen ist anders als in den großen Städten. Unser
Autor war zu Besuch bei einer Wärmestube in Halberstadt in Sachsen-Anhalt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.