| # taz.de -- ZivilistInnen in der Ukraine: Weiße Weste, schwarzer Himmel | |
| > Eine russische Drohne verletzt den freiwilligen Helfer Edward Scott | |
| > schwer. Er überlebt – ohne linken Arm und linkes Bein. Die Ukraine | |
| > verlassen will er nicht. | |
| Bild: Ruinen in Pokrowsk in der ukrainischen Region Donezk am 26. März 2025 | |
| Kyjiw taz | Edward Scott evakuierte Zivilist:innen aus der ukrainischen | |
| [1][Frontstadt Pokrowsk] in der Region Donezk, als eine russische | |
| [2][Kamikaze-Drohne] am 30. Januar seinen weißen, mit dem Schriftzug | |
| „Evakuierung“ versehenen Van rammte und explodierte. Der 28 Jahre alte | |
| Brite verlor seinen linken Arm und sein linkes Bein. „Ich habe Glück, dass | |
| ich noch lebe“, sagt er der taz bei einem Gespräch Anfang März in einem | |
| Kyjiwer Krankenhaus. | |
| Andere [3][freiwillige Helfer:innen] überlebten solche Attacken nicht. | |
| [4][Ein Bericht] der ukrainischen Menschenrechtsorganisation Zmina | |
| schildert mehrere Fälle. Vladyslav Zavtur und Andriy Studynskyi von der NGO | |
| „IBC Mavi Hilal“ am 14. August 2024 wurden in Cherson getötet, als eine | |
| russische Drohne ihr Fahrzeug angriff. | |
| Die beiden Männer verteilten an diesem Tag gratis Wasser und Brot. Auch | |
| Tyhran Halustian von der Hilfsorganisation „Troyanda na ruci“, „Rose auf | |
| der Hand“, wurde während einer Evakuierungsmission am 6. Oktober 2024 in | |
| der Region Donezk durch eine Drohnenexplosion getötet. | |
| „Ich nenne es die Pokrowsk-Diät, 17 Kilogramm in 0.2 Sekunden“, scherzt | |
| Eddy, wie ihn alle nennen, von seinem Krankenbett aus. Er wirkt müde, | |
| scheint aber angesichts seiner schweren Verletzungen erstaunlich wohlauf. | |
| Er habe schon immer einen Sinn für schwarzen Humor gehabt, sagt er. Das | |
| helfe ihm jetzt. | |
| Eddy zeigt auf ein Geschenk befreundeter Freiwilliger, einen auf dem | |
| Schrank sitzenden riesigen Teddybären mit schwarzen Bändern um seinen | |
| linken Arm und sein linkes Bein – Tourniquets zum Stoppen des Blutflusses. | |
| Solche legte ihm sein Kollege Pylyp Rozhdestvenskyi am 30. Januar um. „Er | |
| rettete mein Leben. Er stoppte zwei große Blutungen in zwei Minuten“, | |
| erzählt Eddy. | |
| Von Beruf ist der aufgeweckte Eddy eigentlich professioneller Segler, | |
| arbeitet als erster Offizier auf privaten Jachten. Das empfinde er aber als | |
| „seelenlos“. | |
| Seit Oktober 2022 ist er, mit Unterbrechungen, in der Ukraine als Helfer | |
| aktiv. Er sammelt Spenden, organisiert von dem Geld Hilfslieferungen für | |
| Zivilist:innen und Soldat:innen. Auch ein Fahrzeug zur Fortbewegung an | |
| der Front für letztere und Drohnen sind darunter. | |
| ## Er fühlt sich zuhause | |
| Wenn er von den Menschen in der Ukraine spricht, sagt er „Wir“ – er fühlt | |
| sich hier zu Hause, hat durch seine Arbeit viele Freunde gefunden, obwohl | |
| er die Sprache kaum beherrscht. Im Sommer 2024 adoptiert er sogar einen | |
| zurückgelassenen Hund und wird Patenonkel eines kleinen Mädchens. Seit | |
| dieser Zeit arbeitet Eddy auch für die NGO „Base UA“. | |
| Erst repariert er vom Krieg beschädigte Dächer, im Dezember fängt er an, | |
| Zivilist:innen aus Pokrowsk zu evakuieren. Menschen, die etwa aus Armut | |
| oder wegen einer körperlichen Einschränkung bis zuletzt warten, ehe sie | |
| ihre Wohnungen aufgeben. Bei den Rettungsmissionen seien stets viele kleine | |
| Quadrokopter über ihren Köpfen geflogen, russische Drohnen. Ihm war | |
| bewusst, dass er sich in Gefahr begibt. | |
| „Ich denke, wenn ich Angst hätte, würde ich diese Arbeit nicht machen“, | |
| sagt er, „Segeln und Krieg sind in vielerlei Hinsicht ähnlich. Bei einer | |
| Mission dabei zu sein ist so, wie einen Ozean zu überqueren. Es gibt | |
| Checklisten, du versicherst dich, dass du alles dabeihast, dass alle das | |
| nötige Training haben.“ Mehr könne man ohnehin nicht tun. | |
| Je länger der Krieg andauert, desto mehr kleine Quadrokopter schwirren auch | |
| noch einige Kilometer von der Front entfernt durch die Luft. Je | |
| „durchlässiger“ die Front wird, desto mehr Risiko bergen die Einsätze | |
| freiwilliger Helfer:innen wie Eddy. | |
| Die verschiedenen Drohnentypen kann er mittlerweile leicht nach ihrem | |
| Surren auseinanderhalten. Manche dienen der Beobachtung, andere sind | |
| Waffen. Letztere werfen entweder Sprengsätze ab oder fliegen – in der | |
| billigen Variante – als FPV-Kamikaze-Drohnen in ihre Ziele, wo sie | |
| explodieren. Einen solchen Angriff musste Eddy erleben. | |
| ## Das Surren einer Drohne | |
| An 30. Januar 2025 ist er mit seinem Kollegen Pylyp unterwegs. Ihre | |
| Hauptaufgabe ist es, Generatoren mit Treibstoff aufzufüllen, um die | |
| Notstromversorgung der in der Stadt verbleibenden Menschen sicherzustellen. | |
| Im ihrem gepanzerten Evakuierungsvan sitzt bereits ein Paar, das Pokrowsk | |
| verlassen möchte. Als Eddy zwei Fahrradfahrer erblickt, hält er an, um | |
| ihnen Flyer mit Informationen zur Evakuierung in die Hände zu drücken. | |
| Dann hört er das Surren einer Drohne, schließt umgehend die Tür und drückt | |
| aufs Gas. Doch wegen der vielen Schlaglöcher kann er nur langsam fahren. | |
| Plötzlich wird das Fahrzeug von einer Explosion erschüttert. | |
| „Ich sah diesen Feuerball vor meinem Gesicht“, sagt Eddy. Es habe sich | |
| angefühlt, als habe ihn jemand in seine linke Schulter geschlagen. „Mein | |
| Gedanke ist, da wird eine zweite Drohne kommen, wir müssen weiterfahren.“ | |
| Im Dezember war bereits der andere Evakuierungsvan der NGO von zwei Drohnen | |
| nacheinander attackiert worden. Damals kamen die Insass:innen ohne | |
| schwere Verletzungen davon. | |
| „Ich versuche das Lenkrad zu drehen, und ich kann fühlen, dass sich meine | |
| Schulter dreht. Ich sehe, wie mein Arm am Lenkrad sich nicht dreht. | |
| Scheiße, meinem Arm geht es schlecht. Schau nicht auf den Arm. Also schaue | |
| ich auf mein Bein, und es ist komplett zerfetzt“, erinnert sich Eddy. Ab | |
| diesem Moment habe er den Schmerz gespürt. | |
| Sein Kollege steigt aus dem Van, versorgt ihn. Die drei anderen | |
| Insass:innen außer Eddy sind nur leicht verletzt. Ein Militärjeep mit | |
| einem Jammer, der das Funksignal von Drohnen stört, kommt angefahren, lädt | |
| Eddy ein. | |
| Am Versorgungspunkt werden sein Arm und Bein amputiert, dann wird er in die | |
| Stadt Dnipro in ein Krankenhaus gebracht. Das Aufwachen sei kein Schock für | |
| ihn gewesen, sagt Eddy. Dass er seine Gliedmaßen verlieren würde, habe er | |
| noch im Fahrersitz gespürt. | |
| ## Ohne Jammer ist es suizidal | |
| Der Mitbegründer der NGO Base UA, Anton Yaremchuk, berichtet von einer | |
| „langsamen Zunahme“ von Drohnenattacken gegen Freiwillige in der Region | |
| Donezk seit Ende 2023. Seit Sommer 2024 sei die Gefahr wirklich groß. Zuvor | |
| habe man es zwar schon mit Artilleriebeschuss und Granatwerfern zu tun | |
| gehabt, aber man konnte wenigstens im Vorfeld der Mission die Lage | |
| einschätzen. | |
| „FPV-Drohnen hingegen können jederzeit aufkreuzen. Es gibt keine Anzeichen | |
| für eine bevorstehende Attacke.“ Die beiden gepanzerten Fahrzeuge der NGO | |
| sind derzeit in Reparatur. Man habe sich nach Eddys Verletzungen einen | |
| Jammer zugelegt. „Es gibt viele Gebiete, da wäre es mittlerweile suizidal, | |
| ohne reinzugehen“, sagt Yaremchuk. | |
| „Wenn sie kein militärisches Ziel ausmachen können, greifen sie einfach | |
| irgendwas an“, mutmaßt er über die Motivation der russischen | |
| Drohnenpiloten. Sobald eine Kamikaze-Drohne mit Sprengsatz unterwegs ist, | |
| kann sie nämlich nicht mehr sicher zurückkehren. So geraten auch | |
| Zivilist:innen ins Visier. „Das sind eindeutig Kriegsverbrechen“, so | |
| Yaremchuk. | |
| Eddy sieht seine zukünftige Aufgabe darin, seine Geschichte zu erzählen. Er | |
| möchte weltweit darüber aufklären, was die russische Armee in der Ukraine | |
| anrichtet. „Die Eindeutigkeit, mit der das ein Kriegsverbrechen war – ein | |
| weißer Van, der offensichtlich humanitär ist. Wir tragen weiße Westen, kein | |
| Camouflage. Wir haben keine Waffen bei uns.“ | |
| Auch Vlad Myachev und Daniel Koval von der Tierhilfsorganisation UAnimals | |
| sagen im Gespräch mit der taz, im vergangenen halben Jahr bei ihrer Arbeit | |
| in der Region Donezk oft in Situationen geraten zu sein, bei denen Drohnen | |
| über ihnen kreisten. Am 13. Februar kam es schließlich zu einer Attacke | |
| während einer Evakuierungsfahrt für Tiere mit zwei Kleinbussen: | |
| „Wir stiegen aus den Bussen aus und hörten eine Drohne fliegen.“ Die vier | |
| Helfer:innen seien auseinandergestürmt und in Deckung gegangen. Vor | |
| ihren Augen habe die Drohne die Front eines der Fahrzeuge komplett | |
| zertrümmert. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich bereits etwa 40 Katzen und | |
| Hunde in jedem der beiden Busse. | |
| Da sie gewusst hätten, dass auf eine erste normalerweise eine zweite folgt, | |
| brachte eine Person das zweite Fahrzeug schnell in eine sichere Entfernung, | |
| während die anderen mit Hilfe der Anwohner:innen zügig die Tierkäfige | |
| aus dem beschädigten Bus ausluden. Kaum hatten sie das getan, explodierte | |
| auch schon die zweite Drohne. Tiere und Menschen blieben glücklicherweise | |
| unverletzt. | |
| ## Zivilist:innen sind Ziele | |
| Der Menschenrechtler Vyacheslav Likhachev vom mit dem Friedensnobelpreis | |
| ausgezeichneten Center for Civil Liberties sagt: „Die Drohnenpiloten sehen | |
| normalerweise über das Video, dass es zivile Fahrzeuge sind. Wenn sie einen | |
| Sprengsatz abwerfen, verstehen sie, auf was und wen sie zielen.“ | |
| Er geht davon aus, dass nicht Helfer:innen im Besonderen, sondern | |
| Zivilist:innen insgesamt von der russischen Seite immer mehr als | |
| legitime Ziele angesehen werden. Zum Teil liege sogar die Vermutung nahe, | |
| dass die Zivilbevölkerung als Zielscheibe für das Training angehender | |
| russischer Drohnenpiloten diene. Zu diesem Schluss kommt ebenfalls eine | |
| [5][Deutsche-Welle-Recherche] vom vergangenen Sommer, die Drohnenattacken | |
| in der teilweise befreiten Region Cherson untersucht. Auch Rache scheint | |
| ein Motiv zu sein. | |
| Die ukrainische Menschenrechtsorganisation Truth Hounds arbeitet zurzeit an | |
| einer umfangreichen Studie zu solchen Attacken gegen Zivilist:innen in | |
| der Ukraine. Sie soll im Mai erscheinen. | |
| Inzwischen ist Eddy im Reha-Zentrum „Superhumans“ in Lwiw und freut sich | |
| auf seine Beinprothese, die er in Kürze bekommt. Auf Instagram postet er | |
| Fotos, auf denen er einhändig Blumen gießt und stickt. Zum Glück sei er | |
| Rechtshänder. Seine bisherige Behandlung finanzierte die R. T. Weatherman | |
| Foundation, ein anonymer Spender überwies ihm kürzlich Geld für eine | |
| „schicke Beinprothese“. | |
| Außerdem sammelt auch Base UA Spendengelder für Eddys Zeit nach der Reha | |
| und einen „neuen Arm“. Den Sommer wolle er sich freinehmen, sich im Winter | |
| dann um den Arm kümmern. „Die Ukraine ist mein Zuhause. Ich habe einen | |
| Veteranenstatus erhalten, man kümmert sich um mich.“ Er werde in der | |
| Ukraine bleiben. | |
| 3 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!6077973 | |
| [2] /Neue-Kriegsfuehrung-in-der-Ukraine/!6007853 | |
| [3] /Aktivismus-an-der-Front-in-der-Ukraine/!vn6072471/ | |
| [4] https://zmina.ua/en/publication-en/civil-society-and-media-losses-in-three-… | |
| [5] https://www.dw.com/de/wie-russische-drohnen-in-der-ukraine-jagd-auf-zivilis… | |
| ## AUTOREN | |
| Yelizaveta Landenberger | |
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