# taz.de -- Schweigen der EU zu Türkei-Protesten: It’s geopolitics, stupid! | |
> Aus der EU kommt nur Schweigen zu den demokratischen Missständen und | |
> Protesten in der Türkei. Denn Geopolitik ist nun mal wichtiger. | |
Bild: Funkstille aus der EU. Eine Szene der Anti-Erdoğan-Demo am Breitscheidpl… | |
Brüssel taz | Wenn sich die Nato-Außenminister am Donnerstag in Brüssel | |
treffen, dann wird auch Hakan Fidan einen großen Auftritt haben. Der | |
türkische Außenminister freue sich darauf, seinen neuen US-Amtskollegen | |
Marco Rubio zu treffen und die „strategische Schlüsselrolle“ der Türkei in | |
den „euroatlantischen Beziehungen“ zu erläutern, heißt es im | |
Nato-Hauptquartier. Die Türkei bleibe ein wichtiger „Pfeiler“ an der | |
Südostflanke des Bündnisses, so Fidan. | |
Auf kritische Fragen muss er sich nicht einstellen. Zwar gehen in der | |
Türkei gerade Millionen gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf die Straße | |
– dass Erdoğans wichtigster Rivale, Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğl… | |
unter fadenscheinigen Gründen inhaftiert wurde, hat einen regelrechten | |
Volksaufstand ausgelöst. Doch das interessiert die Nato herzlich wenig. Es | |
geht um Geopolitik – und da ist und bleibt die Türkei unverzichtbar. | |
Auch bei der EU herrscht [1][dröhnendes Schweigen]. Kommissionspräsidentin | |
Ursula von der Leyen hat sich zwar eine halbherzige Verurteilung abringen | |
lassen – İmamoğlus Verhaftung sei „äußerst besorgniserregend“. Doch a… | |
einem Lippenbekenntnis zu „demokratischen Normen und Praktiken“ war der | |
deutschen CDU-Politikerin nicht viel zu entlocken. Sanktionen? Fehlanzeige. | |
In der europäischen Türkeipolitik herrscht „business as usual“. | |
## Milliarden für die Türkei | |
Die EU will die Beziehungen zu Erdoğan und seinem autoritären Regime sogar | |
ausbauen. In Brüssel redet man nicht nur von Visafreiheit und der Reform | |
der Zollunion. Manch einer erwägt sogar die Wiederaufnahme der seit Jahren | |
auf Eis gelegten EU-Beitrittsgespräche. Der erste Schritt wurde schon | |
gemacht: Von der Leyen hat Erdoğan nach dem letzten EU-Gipfel per Video | |
über die Ergebnisse informiert – fast so, als sei er schon Mitglied im | |
Club. | |
Wer nach Gründen forscht, muss nicht lange suchen: It’s geopolitics, | |
stupid! Die Geopolitik hat Ankara, so meint man in Brüssel, zu einem | |
unverzichtbaren „Player“ gemacht. Und das nicht erst, seitdem US-Präsident | |
Donald Trump seine Bündnisverpflichtungen in der Nato infrage stellt und | |
[2][einen Zickzackkurs in der Ukrainepolitik fährt]. Nein, die | |
geopolitische „Wende“ hat früher begonnen, viel früher. Seit Dezember ist | |
dies unübersehbar. | |
Kurz vor Weihnachten flog von der Leyen, die Chefin der „geopolitischen | |
EU-Kommission“ (diesen Titel hat sie sich schon 2019 verliehen), | |
überraschend nach Ankara. „Eine weitere Milliarde Euro für das Jahr 2024 | |
ist auf dem Weg“, kündigte von der Leyen nach ihrem Treffen mit Erdoğan | |
freudestrahlend an. Der Grund für die Eile: der kurz zuvor erfolgte Umsturz | |
in Syrien – und die Rolle, die die Türkei darin spielt. It’s geopolitics, | |
stupid! | |
## Proteste sind Störfaktor | |
Das Geld aus Brüssel sollte ganz schnell fließen und nachhaltig wirken. Von | |
der Leyen wollte Erdoğan nicht nur dafür belohnen, dass er Deutschland und | |
die EU vor Migranten abschottet – seit dem berüchtigten Flüchtlingsdeal von | |
Kanzlerin Angela Merkel 2016 sind schon viele EU-Milliarden in die Türkei | |
geflossen. [3][Von der Leyen würdigte] auch Erdoğans Einsatz für den | |
Umsturz in Syrien und für die Verteidigung der Ukraine gegen Russland. | |
An diesem Kurs hält Brüssel bis heute eisern fest. Und nicht nur Brüssel. | |
Auch in Paris und London wird Erdoğan als wertvoller geopolitischer Partner | |
geschätzt. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und der britische | |
Premier Keir Starmer haben ihn sogar in ihre [4][„Koalition der Willigen“] | |
aufgenommen, die die Ukraine nach einem möglichen Waffenstillstand | |
militärisch absichern soll. Die Türkei könnte sogar Soldaten entsenden. | |
Vor diesem Hintergrund fallen menschenrechtliche oder demokratische | |
Erwägungen kaum ins Gewicht. Schlimmer noch: sie stören nur. Denn das | |
Wichtigste ist im Moment die Geopolitik. Und da kann man auf keinen | |
verzichten – nicht einmal auf einen Autokraten wie Erdoğan. | |
2 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-der-Tuerkei/!6076239 | |
[2] /Trumps-Gerede-ueber-eine-dritte-Amtszeit/!6075800 | |
[3] https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-12/kommission-praesidentin-von-der… | |
[4] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!6073064 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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