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# taz.de -- Linken-Wahlkampf-Stratege: „Das ist Haltung. Und die kannst du ni…
> Felix S. Schulz ist Referent für politische Kommunikation im Büro von
> Heidi Reichinnek. Ein Gespräch über erfolgreichen Wahlkampf, Tiktok und
> Rapsongs.
Bild: Die Freude ist groß bei der Linken: Felix S. Schulz hatte einen nennensw…
taz: Herr Schulz, als die Linke in diesen vorgezogenen Bundestagswahlkampf
startete, stand sie in den Umfragen bei drei Prozent. Wann ahnten Sie, dass
sich das ändern könnte?
Felix S. Schulz: Am Wahlsonntag um 18:01 Uhr. Nein, Spaß: Anfang Dezember
saß Jan van Aken beim Videopodcast „Die da oben“ und meinte, er wolle
sieben oder acht Prozent holen. Darauf haben wir auch hingearbeitet.
Trotzdem bin ich bis zum Sonntagabend von 4,9 Prozent und zwei
Direktmandaten ausgegangen. Man denkt auch an das Schlimmste – einerseits,
um nicht enttäuscht zu werden – und andererseits, damit man nicht aufhört,
zu kämpfen. Dass wir jetzt 8,8 Prozent geholt haben, hätte ich so nicht
erwartet.
taz: Sie sind Mitarbeiter [1][der Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek],
die in diesem Wahlkampf unzweifelhaft eine große Rolle gespielt hat. Wie
kann ich mir Ihren Job dabei vorstellen?
Schulz: Zu Beginn der Legislatur haben wir eine Imageanalyse gemacht und
überlegt, wen wir ansprechen wollen, wo und wie. Für Heidi als Kinder- und
Jugendpolitische Sprecherin der Fraktion, die aus der Jugendhilfe kam, war
Tiktok naheliegend. Mein Job ist das Übersetzen parlamentarischer Themen,
das Drehen von Videos mit der Abgeordneten, der Schnitt, die Aufbereitung
und das Entwickeln von Formaten der Öffentlichkeitsarbeit. Im Wahlkampf
habe ich das stellenweise ehrenamtlich begleitet – Mitarbeitende von
Abgeordneten dürfen in ihrer Arbeitszeit keinen Wahlkampf machen.
taz: Bei der letzten Bundestagswahl zählte zu den Erkenntnissen, dass
insbesondere Jung- und Erstwähler*innen vermehrt FDP oder AfD gewählt
haben. Jetzt erleben wir einen kleinen Linksdrift …
Schulz: Ein kleiner Linksdrift? Wir sind unter Erstwähler*innen
stärkste Kraft. Mit Abstand.
taz: Sagen wir: einen jüngeren Linksdrift. Wie schafft man es, als linke
Partei junge Menschen anzusprechen?
Schulz: Indem man es erst einmal versucht. 2021 wurde das nicht ausreichend
gemacht. Wir sind keine Kaderschule, aber der Auftrag, den wir im Konzept
von Heidi sehen, ist: Wir nehmen das Parlamentsgebrabbel und
Behördendeutsch und übersetzen das in normale Sprache. Wir machen das, weil
wir wissen, dass die meisten Leute nicht das Privileg haben, sich den
ganzen Tag mit Politik zu beschäftigen. Die haben Jobs, müssen Kinder
erziehen, machen Care-Arbeit und etliche andere Dinge. Das ist ein Punkt.
Ein weiterer ist, dass Parteien einen grundgesetzlich verbrieften Auftrag
haben, auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen. Und das tun
wir. Und Punkt drei: Zuvor wurde nicht über uns geschrieben. Jahrelang
drehte sich nahezu jede einzelne Medienanfrage um Sahra Wagenknecht. Dann
hieß es: Sahra Wagenknecht ist weg, Die Linke ist tot. Inhalte und Themen
waren in klassischen Medien kaum platzierbar.
taz: Hätte ich jetzt jemanden in einer ähnlichen Funktion bei einer anderen
Partei gefragt, hätte ich doch genau die gleiche Antwort bekommen: Wir
müssen komplizierte Positionen einfach formulieren. Nur: Bei Ihnen scheint
es funktioniert zu haben. Liegt das am Medium oder an den Inhalten selbst?
Schulz: Beides. Wenn du Sozialkürzungen durchsetzt, an der Schuldenbremse
festhältst, nach unten trittst – womit willst du dann punkten? Wir machen
Politik für die Mehrheit und machen das auch glaubwürdig. Heidi kommt aus
der Jugendarbeit. Sie hat eine ganz andere Form der Ansprache – wenn du
Armut kennst, wenn du Lebensrealitäten nicht nur aus dem Fernsehen kennst,
kannst du ganz anders auftreten.
Wenn wir uns jetzt [2][ihre Rede gegen Merz im Bundestag anschauen], die
von vielen als Wendepunkt beschrieben wurde: Die war nicht vorgeschrieben.
Heidi hat sich da ein paar Sachen auf einen Zettel geschrieben, die sie am
Ende selbst kaum mehr lesen konnte. Es kam von Herzen und aus Überzeugung.
Das ist Haltung. Und die kannst du nicht kaufen.
taz: Neben Reichinnek sah man in den sozialen Medien auch Videos von Bodo
Ramelow mit Metal-Schminke, eine rappende Caren Lay oder einen tanzenden
Gregor Gysi. Ist das schwierig gewesen, die alteingesessenen
Genoss*innen von solchen Formaten zu überzeugen?
Schulz: Nein. Ich bin nicht im Team von Bodo, aber nach allem, was ich
gehört habe, kamen viele Ideen auch von ihm selbst. Das hat natürlich alles
seine Zeit gedauert. Aber die haben bei Heidi gesehen, dass es funktioniert
und Spaß machen kann. Und Politik soll ja auch Spaß machen dürfen, gerade
wenn die allgemeine Weltlage schlecht ist.
taz: Ist es ein Vorteil der Linkspartei, dass sie im Wahlkampf auch mal
Quatsch machen darf? Auch der AfD-Wahlkampf in den sozialen Medien ist ja
unzweifelhaft erfolgreich, aber …
Schulz: …ja, aber erstens: Sie lügen. Bei allem, was wir ins Netz stellen,
sitzen Fachreferent*innen dran, da sind Studien dahinter. Wenn in
unserem Büro jemand eine Idee hat, dann schicken wir das an Leute, die sich
damit auskennen, und dann arbeiten wir damit. Jede Aussage, die wir
treffen, können wir auch belegen. Die AfD kann einfach am laufenden Band
Quatsch erzählen und Content produzieren.
taz: Wie muss ich mir die Produktion dieser Inhalte vorstellen? Man hat
eine Idee, schickt alles an die Referent*innen, lässt jede Aussage prüfen –
und am Ende steht ein [3][Rapsong über Miethaie]?
Schulz: Im Prinzip ja. Das Video kam ja von Caren Lay. In Carens Team
sitzen sehr fitte Wohn-Referenten, die den ganzen Tag nichts anderes
machen, als sich mit Mietenpolitik beschäftigen. Sie selbst ist profilierte
Fachpolitikerin und Autorin auf diesem Themenfeld. Und jetzt hat sie eben
noch jemanden für Social Media, der auch Musiker ist.
taz: Wenn das so einfach geht, wieso hat die Linke das dann nicht schon
früher gemacht?
Schulz: Die Notwendigkeit wurde nicht erkannt. Ich halte es da mit dem
Philosophen Paul Watzlawick, der sagte: Man kann nicht nicht kommunizieren.
Und wenn du nicht auf einer Plattform bist, auf der in Deutschland 20
Millionen Nutzer*innen sind und die die am meisten heruntergeladene App
überhaupt war, dann ist das eine Ansage an die Leute, die dort sind.
taz: Wird man mit Tiktok-Wahlkampf auch die breiten Erfolge der AfD im
Osten Deutschlands eindämmen können? Vor ein paar Jahren sagte mir einmal
der Leipziger Linken-Abgeordnete Sören Pellmann, dass man mit klassischem
Wahlkampf in gewissen ostdeutschen Gegenden nur noch wenig erreicht, eher
um seine Sicherheit fürchten muss.
Schulz: Wir haben jetzt über 100.000 Mitglieder, es kam ein riesengroßer
neuer Schwung dazu. Und ich wünsche mir, dass Mitglieder aus den
Großstadtmilieus unbedingt aufs Land gehen und da die Lebensrealität
wahrnehmen. Da müssen wir mit den Menschen sprechen, präsent sein, und
herausfinden, was die wirklichen Probleme der Leute sind – und uns kümmern.
taz: Was sind denn die Probleme der Leute?
Schulz: Die sind oft tiefgreifender, als man zunächst vermutet. Wenn dir
jemand sagt: Ich finde es richtig, dass hier im großen Stil abgeschoben
wird – dann muss man halt nachfragen. Ein Beispiel aus dem
Haustürwahlkampf: Es kann ein Gefühl der Unsicherheit sein, weil es nachts
dunkel ist und Straßenlaternen fehlen. Häufig ist es auch schlicht
ökonomische Unsicherheit. Da kann man helfen, kommunal, auf Bundesebene
oder mit Angeboten, wie Mietrechts- oder Arbeitsrechtsberatung.
taz: Und es passiert nie, dass dann einer sagt: Mir egal, was ihr mit den
Mieten und dem Mindestlohn vorhabt, für mich ist Migration das relevanteste
Thema?
Schulz: Wenig. Die Leute, die am meisten Angst davor haben, haben oft die
wenigsten Berührungspunkte damit. Das sieht man unter anderem auch am
Wahlkampf von Ferat Koçak in Neukölln, der in manchen Wahllokalen über 60
Prozent geholt hat. Bezirke, in denen die AfD schwach ist, sind Bezirke, in
denen es einen hohen migrantischen Bevölkerungsanteil gibt.
Für uns ist ganz klar: Der AfD hinterherzurennen, ist falsch. Wir müssen
auf unsere Themen setzen. Und das funktioniert ja auch: Auf einmal wird im
Kanzlerduell über eine Milliardärssteuer gesprochen. Denken Sie, das wäre
ein Thema, wenn wir nicht die ganze Zeit darüber geredet hätten?
27 Feb 2025
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## AUTOREN
Konstantin Nowotny
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