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# taz.de -- Deutsche Nahostpolitik: Verlogen und verloren
> Die Verurteilungen von Trumps Gaza-Plänen aus Deutschland sind
> scheinheilig. Denn die hiesige Politik unterstützt Israels Vorgehen.
Bild: Die Zerstörung im Gazastreifen ist immens
Nachdem US-Präsident Trump angekündigt hatte, den Gazastreifen zu
„übernehmen“ und rund 2 Millionen Palästinenser*innen nach Ägypten
und Jordanien „umzusiedeln“, dauerte es nicht lange, bis Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier [1][die Achtung des Völkerrechts anmahnte] und
Trumps Vertreibungspläne als Völkerrechtsverbrechen verurteilte. Diese
Anmahnung erscheint fast grotesk, denn Deutschland scheint kein
grundlegendes Problem mit Völkerrechtsverbrechen zu haben: Die Genehmigung
der Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel im Wert von [2][94 Millionen
Euro zwischen August und Oktober 2024] wiegt schwerer als Worte.
Angesichts fortlaufender Exporte deutscher Rüstungsgüter in ein Land,
dessen Kriegsführung der Internationale Gerichtshof (IGH) auf Völkermord
prüft, sind deutsche Rufe zur Achtung des Völkerrechts verlogen. Trumps
Vertreibungspläne stehen nicht im Widerspruch zu deutscher Politik, sondern
wären ihre logische Fortführung. Im Laufe der vergangenen eineinhalb Jahre
hatte die deutsche Regierung nur [3][formaljuristische Probleme] mit
Israels Zerstörung des Gazastreifens und der Ermordung von [4][mindestens
62.614 Palästinenser*innen].
Israels genozidale Intentionen und Pläne zur Vertreibung sind so
[5][offensichtlich], dass jegliche Leugnung dessen einer Beleidigung des
Intellekts gleichkommt. Israelische Politiker*innen formulieren ihre
Absichten deutlich und handeln dementsprechend. Der Anspruch deutscher
Regierungen, sie könnten sowohl [6][Unterstützer des Völkerrechts] als auch
Israels sein, kann über die ihm zugrundeliegende Hybris nur noch Abscheu
hervorrufen.
Als Empfehlung zur Sicherung angestrebter [7][Politikkohärenz] möchte man
Vertreter*innen des deutschen Staates zurufen, doch endlich
einzugestehen, dass ihnen das Völkerrecht im Falle Israels und Palästinas
egal ist. Das Festhalten an einer Zweistaatenlösung ist ein weiteres
Beispiel für die Orientierungslosigkeit und Realitätsferne deutscher
Nahostpolitik. Jede*r halbwegs informierte Beobachter*in weiß, dass
dies keine Lösung ist.
Das beharrliche Zurückscheuen davor, Siedlungsbau, Siedlergewalt, die
systematische Zerstörung palästinensischer Häuser und Dörfer und andauernde
Vertreibung mit Sanktionen zu beantworten, trägt mindestens Mitschuld an
dem Unmöglichmachen palästinensischer Existenz. Im besetzten Westjordanland
leben völkerrechtswidrig rund 700.000 israelische Siedler*innen. Der
Irrglaube, es handle sich um einen Konflikt ebenbürtiger Parteien und
nicht, wie vom IGH im Juli 2024 festgehalten, um eine [8][illegale
Besatzung], ist ein weiteres Element im Ensemble deutscher Verlogenheit.
Die deutsche Unterstützung der genozidalen Politik und die Indifferenz
gegenüber einem immer gewaltsameren Besatzungsregime wird komplementiert
durch willentliche Ignoranz gegenüber den regionalen Implikationen.
Jordanien etwa nimmt seit 1946 Millionen Geflüchtete aus umliegenden
Ländern auf. Die Mehrheit der Bevölkerung hat eine Fluchtbiografie.
Palästinensische Geflüchtete in Jordanien, die laut UN-Resolution ein Recht
auf Rückkehr haben, besitzen größtenteils eine jordanische
Staatsangehörigkeit. In diesem Kontext ist das Land einer der
Hauptempfänger deutscher „Entwicklungszusammenarbeit“.
Als [9][Großbritanniens vermutlich erfolgreichstes Kolonialprojekt] ist
Jordanien noch heute abhängig von Hilfszahlungen, willentlicher Stützpunkt
für US-amerikanischen Imperialismus – auch für 150 deutsche Soldat*innen
– und, trotz fehlender Unterstützung der Bevölkerung, verlässlicher
Sicherheitspartner Israels. US-amerikanische Soldat*innen dürfen ohne
Kontrolle ein- und ausreisen und in jedem Ministerium befinden sich
europäische oder US-amerikanische Expert*innen für vermeintlich
technische Fortbildungsprogramme.
[10][Demokratieförderprogramme] tragen dabei eher zur Konsolidierung
autoritärer Regierungspraktiken bei – so sind auch Lobpreisungen auf
Jordanien als vermeintlich reformorientierter Stabilitätsanker zu
verstehen. Sie ignorieren seit der Staatsgründung die systematische
Unterdrückung oppositioneller, insbesondere palästinensischer
Akteur*innen – und zeigen, dass westliche Unterstützung für Jordanien
nicht missverstanden werden darf als Interesse an der Sicherheit oder
politischen Teilhabe der Bevölkerung.
## Eine Veränderung der Nahostpolitik ist unwahrscheinlich
Für die USA und Europa ist Jordanien kaum mehr als ein Auffangbecken für
Geflüchtete aus Ländern, die mit ihrer Hilfe in Kriegsgebiete verwandelt
wurden. Die Länder der Region teilen sich in zwei Kategorien auf: Die einen
– Palästina, Libanon, Syrien – werden von Israel bombardiert und sind teils
besetzt. Die anderen – Ägypten und Jordanien – sind Zielländer für
Vertreibungspläne.
Dabei konterkariert die Mischung aus deutscher Unterstützung für und
gleichzeitiger Indifferenz gegenüber einem zunehmend aggressiv-expansiven
Israel das angebliche Interesse an der Achtung des Völkerrechts oder der
Menschenwürde. Die zunehmenden [11][Einschränkungen der
Wissenschaftsfreiheit], das [12][Scheitern der deutschen Nahoststudien],
die [13][Genozidverharmlosung in deutschen Medien] und das Fehlen einer
einzigen etablierten politischen Partei, die internationales Recht ernst
nimmt und sich kohärent solidarisch mit Palästinenser*innen zeigt,
machen eine Veränderung deutscher Nahostpolitik unwahrscheinlich.
Deutschland unterstützt einen mutmaßlichen Genozid und es mangelt an
Bereitschaft, ein Waffenembargo sowie ein Ende der Besatzung zu verlangen
und umzusetzen. Das zeigt, dass es sich bei Forderungen nach Achtung des
Völkerrechts, wie denen des Bundespräsidenten, nur um verlogene Bemühungen
zur Selbstdarstellung handelt. Was Taten betrifft, ist deutsche
Nahostpolitik genozidal und pro-ethnischer Säuberung. Nur wird es weniger
offen formuliert als von Trump.
15 Mar 2025
## LINKS
[1] https://www.boerse-frankfurt.de/nachrichten/Steinmeier-mahnt-Achten-des-Voe…
[2] https://www.euronews.com/my-europe/2024/10/24/german-arms-exports-to-israel…
[3] https://magazin.zenith.me/de/politik/ruestungsexporte-voelkerrecht-und-der-…
[4] https://www.aljazeera.com/news/longform/2023/10/9/israel-hamas-war-in-maps-…
[5] https://www.aljazeera.com/opinions/2024/1/14/intent-in-the-genocide-case-ag…
[6] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/regelbasierte-internationa…
[7] https://www.bmz.de/de/ministerium/grundsaetze-ziele/politikkohaerenz-59914
[8] https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/186/186-20240719-a…
[9] https://www.rosalux.de/news/id/42226/der-streik-der-lehrerinnen-in-jordanie…
[10] https://www.cambridge.org/core/books/promoting-democracy-reinforcing-autho…
[11] https://www.brismes.ac.uk/files/documents/21022025_CAF_Germany.pdf
[12] https://pomeps.org/supporting-plausible-acts-of-genocide-red-lines-and-the…
[13] https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/juli/auf-einem-auge-blind-deutsche-me…
## AUTOREN
Hanna Al-Taher
Benjamin Schütze
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