# taz.de -- Sportpsychologie wird immer wichtiger: Druck für alle, Hilfe für … | |
> Es geht früh los mit dem Leistungsdruck. Genauso früh wäre eine | |
> umfassendere sportpsychologische Betreuung wichtig. Besonders für | |
> Nachwuchskräfte. | |
Bild: Zwischen Sieg und Niederlage liegen oft nur Bruchteile von Sekunden | |
Das Thema mentale Gesundheit im Sport hat in den letzten Jahren massiv an | |
Aufschwung gewonnen. Immer mehr Sportler*innen bekennen sich zu | |
psychischen Problemen und wollen dem Thema mehr Beachtung schenken. So | |
wichtig dieser Prozess ist, konzentriert er sich meist auf einen kleinen | |
Teil der Wirklichkeit: den Spitzensport. Doch Sportpsychologie fängt viel | |
früher an. | |
In Deutschland gibt es 43 Eliteschulen des Sports mit etwa 11.500 | |
Schüler*innen. In jeder dieser Schulen bewegen sich junge und talentierte | |
Sportler*innen mit großen Träumen und großem Druck. Eine von ihnen war | |
die 21-jährige Merle (Name geändert), die das Sportgymnasium in Magdeburg | |
besuchte. Mit 13 Jahren zog sie aus ihrer etwa einstündig entfernten | |
Heimatstadt in das Internat, um ihre sportlichen Ziele zu verfolgen – ein | |
Schritt, den in diesem Alter viele wagen. Die Situation stellt Kinder vor | |
große Herausforderungen: Neben der frühen Trennung von der Familie und der | |
Notwendigkeit, schnell selbstständig zu werden, lastet ein hoher | |
Erwartungsdruck auf ihnen – von außen wie von innen. | |
Merle erzählt, dass sie sich damals nicht vorstellen konnte, wie stark das | |
Umfeld sie belasten würde. Zwei Themen beschäftigten die Läuferin | |
besonders: zum einen die Ernährung, weil Körpergewicht und Figur in den | |
jungen Jahren bereits im Fokus stehen, zum anderen der Leistungsdruck. | |
Psychologische Unterstützung erhielt sie in keinem der beiden Bereiche. | |
„Ich hatte überhaupt nicht das Gefühl, dass es jemanden interessiert, wie | |
es mir abseits der sportlichen Leistung geht.“ Dabei habe sie das Umfeld | |
extrem gefordert. „Der Leistungsdruck, den man sich selbst gemacht hat, war | |
am schlimmsten. Wenn du versagt hast, warst du selber schuld, weil du dich | |
nicht genug angestrengt hast.“ | |
Auch wenn jeder die Situation unterschiedlich wahrnehme und mit dem Druck | |
umgehe, sei das Umfeld ein Faktor für mentale Probleme. Eine weitere | |
Erschwernis: Eltern bekommen oft wenig von den psychischen Belastungen | |
ihrer Kinder mit. Der [1][Olympiastützpunkt Hannover] setzt genau hier an | |
und bietet Eltern in der telefonischen Sprechstunde eine | |
Beratungsmöglichkeit. Dazu gibt es in Niedersachsen Einzelcoachings, | |
Workshops zu verschiedenen Themen sowie Vorträge, berichtet Anne Lenz, | |
sportpsychologische Expertin am Olympiastützpunkt. | |
## 2 plus 1 | |
Mit zwei Festangestellten und einer Honorarkraft in der Sportpsychologie | |
ist dieser Stützpunkt im bundesweiten Vergleich gut aufgestellt. Die | |
Festanstellung ermöglicht es Lenz, direkt vor Ort zu arbeiten und als | |
Ansprechperson präsent zu sein. In vielen Stützpunkten sieht das anders | |
aus: Die Mehrheit der Sportpsycholog*innen ist nicht regelmäßig an | |
den Standorten vertreten – dabei ist der Bedarf groß. | |
Sportler*innen suchen Anne Lenz aus verschiedensten Gründen auf. Häufig | |
geht es um das Performen unter Druck, aber auch Motivation und | |
Konzentration sind zentrale Themen. „Unsere Sportler sind auch Menschen. Da | |
werden auch Themen wie der erste Liebeskummer besprochen, wenn es den Sport | |
tangiert.“ Ernsthaftere psychische Erkrankungen kommen vor, wenn auch | |
selten. In solchen Fällen kooperiert der Stützpunkt mit Kliniken. „Wenn | |
Sportler zu klinischen Fällen werden, hört unsere Arbeit auf, dafür sind | |
wir nicht ausgebildet. Die Übergangsphase übernehmen wir dann trotzdem, | |
aber eben ohne zu therapieren.“ Eine Struktur, die an Stützpunkten in | |
Deutschland eher die Seltenheit ist. „Unser Angebot hier ist sehr gut“, | |
meint Lenz, „zur Wahrheit gehört aber, dass wir auch hier mit Wartelisten | |
arbeiten.“ | |
Eines haben die beiden Standorte gemein: die Begrenzung auf | |
Kaderathlet*innen. Nur Sportler*innen ab dem sogenannten [2][NK2-Kader], | |
dem Nachwuchskader, oder Vollzeit-Athlet*innen des Sport-Internats können | |
hier das vollumfängliche Angebot nutzen. | |
## Betuchte Verbände | |
Das würde an der Finanzierung der Olympiastützpunkte liegen, erklärt | |
Johannes Herber, Geschäftsführer der Organisation Athleten Deutschland. Da | |
Sportpsycholog*innen vom Bund finanziert werden, während die | |
Nachwuchsförderung Ländersache ist, dürften keine Landeskader-Athlet*innen | |
betreut werden. Eine Finanzierung von eigenen Sportpsycholog*innen sei | |
nur für betuchtere Verbände möglich. Ein ähnliches Problem sieht Johannes | |
Herber bei der Laufbahnberatung, die ebenfalls für Nationalkader | |
vorbehalten ist: Gerade an entscheidenden Umbruchstellen, in denen | |
psychologische Unterstützung und Karriereberatung besonders wichtig wäre, | |
sind viele Sportler*innen noch nicht im Nationalkader. | |
Zudem ist der Betreuungsschlüssel schon jetzt sehr hoch. „Wir sprechen da | |
teilweise von einer Person für 400 Sportler*innen. Allein da lässt sich | |
ablesen, dass eine tiefere sportpsychologische Betreuung für alle | |
Athlet*innen nicht gewährleistet werden kann“, so Herber. Generell seien | |
die Olympiastützpunkte unterfinanziert und hätten zudem ein für | |
Außenstehende undurchsichtiges Finanzierungsmodell. „Wir sprechen so viel | |
darüber, wie wichtig der Kopf im Sport ist. Und man sieht, dass die | |
finanzielle Unterstützung in keinem Verhältnis zu der Rhetorik steht.“ | |
Die [3][Organisation Athleten Deutschland], die sich für die Interessen | |
deutscher Sportler*innen einsetzt, verlangt in ihrem Forderungskatalog | |
zur Bundestagswahl 2025 eine verlässliche Finanzierung der | |
Olympiastützpunkte sowie mehr Transparenz zu Systemkennzahlen. Vieles hängt | |
nun von der kommenden Regierung ab. | |
Herber betont, dass es noch viele andere drängende Probleme im Sport gibt, | |
die ebenfalls angegangen werden müssen. Dennoch sollte das Thema mentale | |
Gesundheit nicht aus den Augen verloren werden. Merle sagt heute, dass sie | |
auch einige Jahre später noch mit den psychischen Auswirkungen des | |
Leistungssports zu kämpfen hat. „Damals wusste ich nicht, dass ich eine | |
Sportpsychologin brauche. Jetzt, wo ich älter bin, würde ich mir wünschen, | |
dass es eine gegeben hätte.“ | |
25 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.osp-niedersachsen.de/ | |
[2] https://www.leichtathletik.de/aktuelles/news/news-detail/79609-bundeseinhei… | |
[3] https://athleten-deutschland.org/ | |
## AUTOREN | |
Luisa Holzkamp | |
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