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# taz.de -- Justiz in der Ukraine: Drei Jahre auf Bewährung
> Der linke Gewerkschaftler Andrej Ischtschenko wird von einem Gericht in
> Odessa verurteilt. Er soll die innere Sicherheit der Ukraine gefährdet
> haben.
Bild: Gewerkschaftsaktivist Andrej Ischtschenko am 21. Januar im Gericht in Ode…
Odessa taz | Der in Odessa lebende Gewerkschaftsaktivist Andrej
Ischtschenko ist frei. Am 21. Januar konnte er das Bezirksgericht
Malinowski in Odessa als freier Mann verlassen. Das Gericht hatte ihn zu
einer dreijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Die Verteidigung sieht von
einer Berufung ab.
„Insgesamt sind wir mit dem Urteil zufrieden. Wir denken, das ist ein
gerechtes Urteil. Unsererseits gibt es keine Einwände“, sagte Ischtschenkos
Anwalt Wolodymyr Sytnik der taz. Ischtschenko habe Materialien mit Aufrufen
zum Sturz der ukrainischen Regierung und zur Machtergreifung verbreitet.
Damit habe er die innere Sicherheit der Ukraine und den Schutz der
verfassungsmäßigen Ordnung gefährdet. So heißt es in der Urteilsbegründung,
die erst seit wenigen Tagen schriftlich vorliegt.
Dem Aktivisten, der seit 17. Oktober 2024 in Untersuchungshaft in Odessa
einsaß, waren drei Posts auf Facebook und Telegram zum Verhängnis geworden.
„Steh auf, du großes Land im tödlichen Kampf gegen die dunkle faschistische
Macht und die grüne Horde“, zitiert das Urteil einen Post von Ischtschenko
auf Facebook. Da Selenskyj sich als „der Grüne“ übersetzen lässt, ist kl…
wer mit „grüner Horde“ gemeint ist.
In einem anderen im Gerichtsurteil zitierten Post hatte Ischtschenko
geschrieben, dass die Ukraine ohne ihr Dnipro-Wasserkraftwerk, ohne die
Industrie im Osten des Landes und die Schwarzmeerhäfen nur Ackerland sei,
„bewohnt von Nationalisten, die ihren vorhistorischen Sumpf bejubeln.“ Dies
ist eine Umschreibung für den Vorwurf, die sogenannten Nationalisten
interessierten sich nur für den Westen der Ukraine.
## Drei Männer auf acht Quadratmeter
Des Weiteren zitiert das Urteil einen Eintrag auf Ischtschenkos
Telegram-Seite vom 12. 7. 2023: „Es reicht nicht, einfach nur die
Machthaber auszuwechseln. Da kommen wir nur vom Regen in die Traufe. Man
muss die Macht selbst in die Hand nehmen. Und wenn uns die Oligarchen die
Ressourcen nicht geben, müssen wir sie uns eben nehmen.“
Gewalt von Seiten des Gefängnispersonals, so Ischtschenko gegenüber der
taz, habe es nicht gegeben. „Aber wenn drei Männer 24 Stunden am Tag auf
acht Quadratmeter zusammenleben, gibt es gewisse Unannehmlichkeiten, so
wenn der eine essen will und der andere austreten muss.“ Hofgang habe es
nur eine Stunde pro Tag gegeben, das Essen sei miserabel gewesen. „Die
Haftbedingungen der Verdächtigen stehen weder im Einklang mit europäischen
Standards noch mit grundlegenden menschenrechtlichen Prinzipien.“
Ungefähr 300 Personen seien in Odessa aus politischen Gründen in Haft,
schätzt Ischtschenko. „Ich habe junge Männer im Alter von 18 bis 23 Jahren
kennengelernt. Sie werden Verbrechen beschuldigt, für die Haftstrafen von
zehn Jahren bis hin zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe vorgesehen sind.“
Die Betroffenen hätten sich auf Telegram nach Jobs umgesehen und seien auf
ein scheinbar einfaches Angebot gestoßen: zu touristischen Zwecken
bestimmte Gebäude für Google Maps zu fotografieren. Doch irgendwann hätte
der Auftraggeber auch Fotos von militärisch relevanten Einrichtungen
verlangt. Wer dabei erwischt worden sei, müsse mit einer sehr hohen
Haftstrafe rechnen, so Ischtschenko.
## Neuer Kurs
„Ich weiß von Männern, die zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden
sind, weil sie auf Telegram den Aufenthaltsort von Einheiten der
Wehrbehörde, die auf der Jagd nach Wehrpflichtigen waren, veröffentlicht
hatten, um so andere Männer zu warnen.“ Einige Häftlinge seien schon über
zwei Jahre in U-Haft, ohne Urteil oder Anklageschrift.
Andrej Ischtschenko war in den 1990er Jahren Chef der rechtsradikalen
Organisation UNA-UNSO in Odessa. Einige Jahre nach seinem Austritt schlug
er einen neuen Kurs ein und wandte sich dem linken Lager zu. So
organisierte er Führungen durch Odessa zum Thema „das Odessa von Leo
Trotzkij“. Der Revolutionär Trotzki, der seine Jugend in Odessa verbrachte,
wurde für Ischtschenko zum Vorbild und er selbst Sprecher der Gewerkschaft
„Schutz der Arbeit“.
Während er für die Junge Welt ein Nazi ist, sieht der ukrainische
Inlandsgeheimdienst SBU in Ischtschenko einen „Anhänger linksradikaler
Ideologien, der der staatlichen Sicherheit unseres Staates Schaden zufügen
will“. Einem Schreiben des SBU vom Juni 2024 zufolge, das der taz vorliegt,
war Ischtschenko zwischen 2014 und 2024 „in politisierten Strukturen
radikaler Ausrichtung“ aktiv. So soll er bei den „Neuen Linken“, der
Gewerkschaft „Schutz der Arbeit“ und der ukrainischen Sektion von Amnesty
International mitgewirkt haben.
„Unseren Angaben zufolge hat er für seine Tätigkeit Geld aus dem Ausland
von der Nichtregierungsorganisation Rosa Luxemburg-Stiftung (RLS,
Deutschland) erhalten. Diese wird von den Geheimdiensten der Russischen
Föderation kontrolliert.“ Nein, er persönlich habe nie Geld von der RLS
erhalten, sagt Ischtschenko. Allerdings habe er an Seminaren und runden
Tischen teilgenommen, die die RLS finanziert habe.
1 Feb 2025
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Odessa
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Gefängnis
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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