# taz.de -- taz Talk über Erinnerungskultur: „Jede Wissenslücke ist ein Ein… | |
> Der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz wirft | |
> Fragen zur Gegenwart auf. Darum ging es beim taz Talk „Östlich der | |
> Erinnerung“. | |
Bild: Gedenken am 27.01.2025 zum 80. Jahrestag der Befreiung von Aussschwitz | |
„Die ganze blutige Arbeit, die von den Mördern, von diesen Tieren in | |
Menschengestalt, verrichtet worden ist – sie wird verwischt werden, es | |
werden nicht einmal Spuren bleiben.“ Mit diesen Zeilen dokumentierte Perets | |
Goldstejn zwischen Juni 1942 und Mai 1943 in seinem Versteck vor den | |
Nationalsozialisten das unfassbare Geschehen. | |
Der jüdische Kaufmann, der ursprünglich im ostpolnischen Hoschtsch an der | |
sowjetischen Grenze ansässig war, wurde unfreiwilliger Zeitzeuge einer sich | |
überschlagenden Weltgeschichte: der sowjetischen Annexion, der deutschen | |
Invasion und Okkupation sowie der systematischen Vernichtung der jüdischen | |
Bevölkerung. | |
Diese eindringliche Erzählung bildet den Auftakt des Projekts „Der Krieg | |
und seine Opfer“, das [1][Leonid Klimov], Wissenschaftsredakteur bei | |
Dekoder, beim taz Talk „Östlich der Erinnerung“ anlässlich des 80. | |
Jahrestags der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee in der | |
taz-Kantine präsentierte. Das für den Online Grimme Award 2024 nominierte | |
digitale Museum beleuchtet mittels interaktiven Karten und anhand | |
persönlicher Narrative verschiedener Protagonist:innen den deutschen | |
Vernichtungskrieg in der Sowjetunion. | |
Es geht um fundamentale Fragen zur Erinnerungskultur: Wie wird dem 2. | |
Weltkrieg in Deutschland gedacht? Wie wird mit der Kriegserinnerung im | |
Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine umgegangen? | |
## Kollektive Erinnerungslücken | |
Im von [2][Gemma Pörzgen], Chefredakteurin der Zeitschrift „Ost-West. | |
Europäische Perspektiven“, moderierten taz Talk herrschte Konsens zu | |
deutschen, kollektiven Erinnerungslücken über den Vernichtungskrieg gegen | |
die Sowjetunion. | |
[3][Tanja Penter], Professorin für osteuropäische Geschichte an der | |
Universität Heidelberg, kam auf ein weitverbreitetes Missverständnis zu | |
sprechen: Die Gleichsetzung der sowjetischen mit der russischen Bevölkerung | |
verschleiere, dass auch die Ukraine vollständig besetzt war. In diesem | |
Zusammenhang äußerte sie zugleich Kritik an ihrer eigenen Disziplin und | |
betonte: „Wir müssen die Geschichte dekolonialisieren.“ | |
[4][Jörg Morré], Historiker und Direktor des Museums Karlshorst, betonte, | |
dass die Lücken in der Erinnerungskultur besonders in der isolierten | |
Betrachtung von Auschwitz erkennbar werden. Die bildungspolitische | |
Aufarbeitung beschränkt sich dabei weitgehend auf zwei zentrale Eckpfeiler: | |
den Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 in Polen und die systematische | |
Vernichtung in Konzentrationslagern. | |
## Geschichte ist Rüstzeug gegen Desinformation | |
Bemerkenswert ist darüber hinaus die Ambivalenz der ukrainischen | |
Kriegsgeschichte: Während sechs Millionen Ukrainer:innen in der Roten | |
Armee kämpften, gab es – wie in allen sowjetischen Ländern – Kollaborateu… | |
mit dem NS-Regime. [5][Peggy Lohse], freie Journalistin für Dekoder und die | |
taz, verwies darauf, dass die bis 2022 kritisch geführte Aufarbeitung durch | |
Putins Angriffskrieg und das propagandistische Narrativ der | |
„Entnazifizierung“ eine neue Dimension erhalten habe. Dementsprechend ist | |
auch im Hinblick auf den deutschen Diskurs „jede Wissenslücke ist ein | |
Einfallstor für Falsch- und Desinformation“, so Lohse. | |
[6][Jens Schley], wissenschaftlicher Geschäftsführer der Bildungsagenda | |
NS-Unrecht bei der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ), | |
schloss mit einem Plädoyer für eine multiple Erinnerungskultur und die | |
Würdigung unterschiedlicher historischer Narrative. Auch 80 Jahre nach der | |
Befreiung von Auschwitz blieben noch zahlreiche Meilensteine der | |
historischen Aufarbeitung zu passieren – nicht zuletzt als intellektuelles | |
Rüstzeug gegen zeitgenössische Desinformation. | |
30 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dekoder.org/de/person/leonid-klimov-0 | |
[2] https://www.gemma-poerzgen.de/ | |
[3] https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zegk/sog/mitglieder/p… | |
[4] https://www.museum-karlshorst.de/ | |
[5] /Peggy-Lohse/!a78881/ | |
[6] https://www.stiftung-evz.de/wer-wir-sind/stiftung/ansprechpersonen/#c4398 | |
## AUTOREN | |
Moritz Martin | |
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