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# taz.de -- Die Wahrheit: Morpheus’ Rache
> Tagebuch einer Reisenden: Warum nur muss bei einem selbst unterwegs immer
> alles schiefgehen, während andere tiefenentspannt dahingleiten?
Der Winter des Missvergnügens hält mich fest im Griff, und die Sehnsucht
nach einem von Alice und Wahlplakaten freien Wunderlands, das als Zugabe
gern noch wärmende Sonne bietet, wächst stetig.
Nach unserer letzten Demo diskutierten wir im Freundeskreis Fluchtoptionen,
stellten allerdings beunruhigt fest, mit fortschreitendem Alter
unterschiedliche Formen der Hodophobie entwickelt zu haben. Nein, das ist
nicht, woran man denkt, sondern Hodos bedeutet Weg oder Straße. Womit wir
bei der „Angst vor dem Reisen“ wären.
Das gegenseitige Beichten brachte die ganze traurige Wahrheit ans Licht. A.
gab zu, bereits einen Monat vor der Abreise Nähzeug, Heftpflaster und
anderes sinnloses Zeug in ihren Koffer zu schmeißen. S. kriegt schon drei
Wochen vorher Magen-Darm, und ich beschäftige mich in Dauerschleife mit dem
Tag des Aufbruchs, an dem mir ganz sicher der Himmel auf den Kopf fallen
wird. Alle haben wir Schlafprobleme, und sollten wir trotzdem von Morpheus
niedergestreckt werden, suchen uns Träume heim.
Es beginnt harmlos. S-Bahn verpasst, Taxi im Stau, Flugzeugtür vor der Nase
zugeknallt. Aber da geht noch mehr! S. träumt von spontaner Darmentleerung
in der Security Line, und Freundin A. imaginiert, beim großen Traumfinale
Frösche zu kotzen. Mir dagegen reicht schon die wochenlange Panik,
sämtliche Verkehrsmittel auf dem Weg zum Flughafen zu verpassen.
Woran liegt es, dass anderen Menschen erst kurz vor Beginn einer Weltreise
einfällt, dass sie noch packen müssen? Dass sie frühestens zwei Stunden vor
Abflug den Weg zum Flughafen googeln, trotz Zeitdrucks seelenruhig durch
die kilometerlange Security-Schlange cruisen, nur um auf den letzten
Drücker in den Flieger zu schlurfen, wo sie tiefenentspannt eine komplette
Transatlantiküberquerung verpennen? Kurz vor der Landung schäkern sie
ausgeruht mit der Flugbegleitung, während man selbst todmüde seine
verrenkten Glieder entknotet. Warum bin ich ein Nervenbündel und die sind
es nicht?
Als Ursache verdächtige ich einen Südamerikatrip in meiner Jugend, in
dessen Verlauf sämtliche Anschlüsse wie Dominosteine in sich
zusammenkrachten. Dreißigstündiger Dauerstress bis kurz vor dem Ziel, wo
ich, gestrandet im Amazonas, nachts um drei zusammen mit einem
Missionarsehepaar um Plätze in einer rostigen Cessna bettelte. Während die
Gottesdiener in christlicher Demut beteten, war ich zu erledigt, um den
erforderlichen Kampf aufzunehmen, weshalb man uns zurückließ. Meine
Hodophobie verdanke ich dann wohl religiös bedingter Gewaltlosigkeit und
Mangel an Schmiergeld.
Ein Freund erzählte mir die Geschichte seiner Eltern, zweier
Weltklasse-Reisepaniker. Wie immer waren sie fünf Stunden vor Abflug da,
allerdings einen Tag zu spät. Irgendwo auf ihrem Trip hatten sie die
Datumsgrenze überschritten, was sie verwirrte. Es wurde der entspannteste
Reisetag ihre Lebens.
13 Feb 2025
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Reisen
Scheitern
Angst
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