# taz.de -- Die Wahrheit: Fluchtwege | |
> Tagebuch einer Gewässerten: Wer den Wasserschaden hat, braucht für den | |
> nächsten nicht zu sorgen und wird von ihm bis nach Portugal verfolgt. | |
Wie war das damals im Jahr 1992, als die Queen – may she rest in peace – | |
ihr Annus horribilis beklagte? Mein Mitgefühl hielt sich in Grenzen, obwohl | |
es zugegeben unschön ist, wenn die Verwandtschaft sich befehdet und einem | |
die royale Hütte überm Kopf abbrennt, und sei sie noch so | |
sanierungsbedürftig. | |
Zurzeit fühle ich mich jedoch berechtigt, mal eigene bürgerliche Klagen | |
anzustimmen. Vor mehr als vier Monaten ging in meiner Wohnung aus der Decke | |
ein Sturzbach nieder und hinterließ eine Spur nasser Verwüstung. Während | |
beinahe täglich ein Folgedesaster sein Medusenhaupt aus der | |
Wasserschadenunterwelt reckte, harrte ich geduldig der Erlösung durch | |
kundige Handwerker; in zwei Wochen habe ich endlich ein Date mit den | |
Zimmerleuten, die die gefährlich verrotteten Balken im Fußboden der | |
Nachbarn über mir ersetzen sollen, möglichst ohne dass mir dabei meine | |
Schlafzimmerdecke auf den Kopf fällt. | |
Seitdem habe ich Alpträume, in denen mein Freund S. eine Hauptrolle spielt. | |
S. ist Regisseur und ehemals enger Mitarbeiter von Loriot, weshalb man | |
getrost behaupten darf, die Nation sei mit einem Teil seines Körpers | |
vertraut, genauer mit seinem rechten Unterschenkel. Jener bricht nämlich | |
anstelle des Beins von „Opa Hoppenstedt“ durch dessen Fußboden und baumelt | |
in die darunter liegende nachbarliche Wohnung. Diese Vorstellung beunruhigt | |
mich gerade sehr, weshalb ich mich bis zum Auftritt der Zimmerleute in | |
vermeintlich ungefährdete Gefilde flüchtete. | |
Und so kam es, dass ich vor einigen Tagen im schönen Portugal unter einer | |
Café-Markise saß, die vom Wirt mit einem Besen alle zehn Sekunden von den | |
darin schaukelnden Wassermassen befreit wurde, bevor sie mir auf den Kopf | |
krachen konnte. | |
Jenseits der Grenze versank Spanien im Schlamm, und meine | |
rheinisch-katholischen Reflexe trieben mich in die nächste Kirche, um ein | |
Lichtlein für die armen Seelen dort anzünden. Hinter dem Opferstock glühte | |
bereits ein einsames Lämplein, beim letzten Mal im Kölner Dom kostete eins | |
zwei Euro. Also rein in den Schlitz. | |
Es folgte eine Lichtexplosion. Die Lightshow bei der Olympia-Eröffnung war | |
dagegen Funzelkram, hier wurde ausgeleuchtet wie für eine Neuverfilmung der | |
Bibel. Auf einen Schlag hatte ich vierzig Schäfchen göttlicher Obhut | |
empfohlen, Seelentrost ist hier noch günstig zu haben, dem portugiesischen | |
Klerus fehlt wohl der Geschäftssinn. | |
Was den eigenen Trost angeht, erwies sich meine Investition als | |
ausgesprochen nutzlos, denn getreu der Devise „Wer den Wasserschaden hat, | |
braucht für den nächsten nicht zu sorgen“, tropfte es bei meiner Rückkehr | |
ins Hotel fröhlich von oben in mein Bett. Momentan treibe ich auf meiner | |
Matratze durch die Lagunen Richtung offener Atlantik, vorbei an ein paar | |
Flamingos, mit Kurs auf die Azoren. | |
Liebe Zimmerleute, ich hoffe auf baldige Heimkehr, bitte treten sie da oben | |
bis dahin möglichst behutsam auf. | |
7 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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