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# taz.de -- Somalischer Film: Standhaftigkeit in der Misere
> Der mit Laiendarstellern gedrehte Spielfilm „The Village Next to
> Paradise“ von Mo Harawe feierte als erster somalischer Film in Cannes
> Premiere.
Bild: Es könnte paradiesisch sein – wären da nicht Armut und Drohnen: Mamar…
„Es ist sinnlos, Kinder zu haben. Für sie gibt es keine Zukunft, sie
sterben zu früh“, bekommt Mamargade zu hören. Die Frau, die ihm diese Sätze
hinknallt, hat gerade ihre Tochter bei einer Bombenexplosion verloren.
Mamargade (Ahmed Ali Farah), alleinerziehender Vater, soll sie begraben. Er
verdient sein Geld als Totengräber. Opfer US-amerikanischer
Drohnenangriffe, die der islamistischen [1][Al-Shabaab-Miliz] gelten, sind
sein täglich Brot.
Gegen die Konkurrenz der großen Bestattungsunternehmen, die seit neuestem
die Gräber mit Bagger ausheben, kann er sich allerdings mit Schaufel und
Spitzhacke kaum durchsetzen.
Mamargade lebt mit seinem Sohn Cigaal (Ahmed Mohamud Saleban) in einem
somalischen Dorf mit dem verheißungsvollen Namen Paradise. Das Leben könnte
dort in der kargen Gesteinslandschaft unweit strahlend weißer Sandstrände
tatsächlich paradiesisch sein. Wären da nicht so existenzielle Probleme wie
Armut und Arbeitslosigkeit, mit denen die Menschen zu kämpfen haben. Oder
die allgegenwärtige Gefahr aus dem Himmel – der Film beginnt mit einem
Nachrichtenausschnitt der BBC über einen tödlichen Drohnenangriff. In ihren
Sorgen und Nöten haben die Menschen kaum Zeit für die Schönheit ihrer
paradiesischen Landschaft.
„The Village Next to Paradise“, das Langfilmdebüt von Mo Harawe, ist dabei
kein Mitleid heischendes Elendskino. Harawe, der in Somalia geboren wurde
und seit 2009 in Österreich lebt, zeichnet zwar ein so düsteres wie
realistisches Bild seines Heimatlandes, doch seine Figuren weigern sich, in
ihrer Suche nach einer besseren Zukunft jemals in Hoffnungslosigkeit zu
verfallen. In ihnen steckt eine unermüdliche Ausdauer, sich den
alltäglichen Kämpfen immer wieder zu stellen.
## Geopolitik ist im Alltag der Menschen präsent
So auch Mamargade, der wie so viele von Geldsorgen getrieben wird. Nachdem
die örtliche Schule schließt, bleibt ihm wenig übrig, als seinen Sohn
Cigaal auf das Internat in der nächstgelegenen Stadt zu schicken.
Gelegentliche Warentransporte für einen dubiosen Geschäftsmann sollen die
zusätzlichen Kosten decken.
Auch seine Schwester Araweelo (Anab Ahmed Ibrahim) trotzt den Umständen.
Sie lässt sich lieber scheiden, als mit ihrem Mann in einer Vielehe zu
leben. Als ihr als alleinstehende Frau ein Kredit für die eigene
Nähwerkstatt verwehrt wird, nimmt sie dies stoisch hin. Mit dem Verkauf von
Kath, einem in Ostafrika beliebten Rauschmittel, spart sie weiterhin ihr
Geld zusammen.
Die großen geopolitischen Gegebenheiten wirken abstrakt und sind doch im
Alltag der Menschen omnipräsent. In der Schule lernen die Kinder, wie sie
sich bei einem Drohnenangriff verhalten müssen. In der Stadt demonstrieren
Frauen gegen illegale Trawler, die das Meer leer fischen. Einmal bittet
Marmargade seinen Sohn, sich die Augen zuzuhalten. Die Tonebene reicht aus,
um von den grausamen Folgen des Drohnenkriegs zu erzählen.
## Laiendarsteller:innen auf den Leinwänden in Cannes
„The Village Next to Paradise“, der als [2][erster somalischer Film] in
Cannes Premiere feierte, wurde nur mit Laiendarsteller:innen gedreht.
Mo Harawe wählte dabei einen klugen schauspielerischen Ansatz. Seine
Figuren unterhalten sich in knappen, reduzierten Sätzen. Der sparsame
Einsatz von Dialogen lässt das Gesagte umso eindrücklicher erscheinen und
lenkt sogleich den Fokus auf die körperliche Präsenz der Figuren und ihre
Dynamik untereinander.
Jene Figuren gehören zu einem Land, das im Kino bisher kaum erkundet wurde.
Einem Land, das sich seit 1988 in einem [3][Bürgerkrieg] befindet und
dessen nicht enden wollende Misere im globalen Nachrichtenfluss kaum mehr
als eine Randnotiz darstellt. Mo Harawe würdigt die große Standhaftigkeit
der Menschen in seinem Heimatland mit einer so atmosphärischen wie
feinsinnigen Filmpoesie, ohne je in Rührseligkeit zu verfallen. Seine
Figuren sind fast schon zu abgehärtet für die Widrigkeiten ihrer Lebens,
wenn der kleine Cigaal am Ende absolut gefasst, aber keineswegs entmutigt
feststellt: „Ich kann mich nicht mehr an meine Träume erinnern.“
30 Jan 2025
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## AUTOREN
Tobias Obermeier
## TAGS
Kino
Somalia
Ostafrika
Musik
Kino
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