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# taz.de -- Neuer Roman von Wolf Haas: Der Roman als Einserschmäh
> Mit „Wackelkontakt“ hat Wolf Haas den ersten rekursiven Mafia-Roman der
> Welt geschrieben. Es ist ein fast unendlicher Lesespaß.
Bild: Wolf Haas bei einer Buchpräsentation in Salzburg 2022
Wir können uns Franz Escher als einen recht unauffälligen Menschen
vorstellen, als einen phlegmatisch veranlagten Mann in fortschreitenden
mittleren Jahren, der irgendwann irgend etwas studiert hat und seit jener
Zeit in seinem Studentenjob festhängt. Escher verdient seinen
Lebensunterhalt nämlich als Trauerredner; und dass er sich in diesem
Berufsfeld mit den Jahren einen gewissen Ruf erworben hat, erfüllt ihn mit
bescheidenem Stolz.
Seine einzige große Leidenschaft in diesem Leben ist das Legen von Puzzles.
Daneben liest er gern Mafia-Romane, und mit der Lektüre eines solchen
beginnt er, als er eines Tages auf den Elektriker wartet, weil es in
Eschers Küche einen Wackelkontakt gibt.
Die Hauptfigur dieses Mafia-Romans ist ein ehemaliger Mafioso, der ein
Zeugenschutzprogramm durchläuft und im Gefängnis einen deutschen Häftling
kennenlernt, der ihm ein Buch schenkt. In diesem Buch geht es um einen Mann
namens Escher, der auf den Elektriker wartet.
Natürlich heißt Escher nicht umsonst so, wie er heißt, denn im Folgenden
beginnen sich die beiden Romane ineinander zu spiegeln und damit ein
scheinbar paradoxes Vexierspiel zu erzeugen, ähnlich wie es in den Bildern
des Grafikers und Illusionskünstlers M. C. Escher geschieht. Die Romanfigur
Franz Escher muss ihr Buch über den Mafioso Elio, der unter dem Decknamen
Marko nach Deutschland zieht, um sich eine neue Existenz aufzubauen, immer
wieder beiseitelegen; und ebenso muss Marko seine Franz-Escher-Romanlektüre
ständig unterbrechen.
## Im Ausnahmezustand
Denn in beider Leben ist auf einmal so viel los, dass sie nur phasenweise
zum Lesen kommen. Beim Besuch des Elektrikers in Eschers Wohnung ist
nämlich etwas Schreckliches passiert, und nun befindet Escher sich in einem
seltsam aktionsgetriebenen Ausnahmezustand. Markos Leben wiederum wird
sowieso völlig umgekrempelt, da er sich ja eine ganz neue Identität
erarbeiten und eine neue Sprache lernen muss. Nur blöd, dass er
zwischendurch in alte Gewohnheiten zurückfällt.
Und weil dieses präzise durchgestaltete literarische Spiel ein Roman von
Wolf Haas ist, ist das alles nicht nur eine virtuose
l’Art-pour-l’Art-Etüde, sondern vor allem eine riesengroße Gaudi. Der Aut…
hat spürbar selbst den größten Spaß bei der Sache und lebt sich unter
anderem in linguistischer Hinsicht hemmungslos aus. Immerhin muss der
Ex-Mafioso Marko ja Deutsch lernen und darf daher unablässig im
Formenreichtum seiner neu erlernten Zweitsprache schwelgen.
Und als Marko mit seiner neuen deutschen Familie von Duisburg nach Wien
zieht, lernen deutsche Lesende ganz am Rande auch noch ein wenig Ösi-Slang:
Zum Beispiel heißt „Trick 17“ in Wien „Einserschmäh“ – das erfährt…
Freude Markos aufgeweckte Tochter Ala, deren Name sicher nicht zufällig als
kürzestmögliches Palindrom gelesen werden kann. Genau solch ein
Einserschmäh ist der ganze Roman, und das viele Gerede um den Schmäh
deshalb auch wieder offensiv rekursiv.
Nun ist das Ganze zwar ein großer, aber kein völlig unendlicher Spaß;
jedenfalls nicht in dem Sinne, dass es keine Auflösung der Rekursion gäbe.
Darin funktioniert „Wackelkontakt“ dann doch anders als ein Bild von M. C.
Escher.
Trotz aller Escher-Inspiration ist eine unendliche Ausweglosigkeit im Roman
nicht vollständig realisiert; aber dadurch, dass er zwei Geschichten
gleichzeitig erzählt, die sich sowohl ineinander spiegeln als auch
unaufhaltsam aufeinander zu laufen, erzeugt der Autor zweifellos eine
unwiderstehliche Dauerspannung. Und die hat auch damit zu tun, dass Haas
auch ein versierter Krimiautor ist und sich auf handlungsorientierten
Spannungsaufbau versteht.
## Es endet mit einer Entführung
Auf jeden Fall beginnt der Roman mit einem Todesfall und endet mit einer
Entführung. Durch die doppelte Verschraubung der Handlung bei
kontinuierlicher Steigerung des Tempos maximiert der Autor den
Spannungsertrag. Und weil er weiß, dass die Leserschaft für das Aushalten
solcher Spannung stets belohnt werden muss, gibt es am Ende eine Auflösung
im gleichen Hier und Jetzt für beide Erzählebenen.
Das ist schon darum keine Kleinigkeit, weil die Handlungsstränge – und das
ist noch komplexer als bei M. C. Escher – in unterschiedlichen Tempi und
auf verschiedenen Zeitschienen ablaufen: Während der Franz-Escher-Roman nur
ein paar Wochen erzählte Zeit umfasst, vergehen im Ex-Mafioso-Roman
ungefähr zwei Jahrzehnte. Escher also liest sich von der Vergangenheit bis
in die Gegenwart hinein, Marko hingegen liest so lange die Zukunft, bis sie
zu seiner Gegenwart geworden ist.
Ja, so ungefähr funktioniert es wohl. Aber was nützen da alle Erklärungen?
Man muss es einfach selbst gelesen haben.
27 Jan 2025
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Krimi
Wolf Haas
Mafia
Hannover
Wolf Haas
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
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