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# taz.de -- Die Wahrheit: „Hier ist so was von zu!“
> Das vorfestliche und kompakte Wahrheit-Interview mit einem, der es wissen
> muss: Hartmut Häff, Warenhausbeschließer in Berlin.
Bild: Beschließer Hartmut Häff macht ernst: Zu die Bude!
taz: Herr Häff, auf einer Skala von eins bis drei, wie geht es Ihnen heute,
sechs Tage vor Weihnachten?
Hartmut Häff: Ich würde sagen eher Richtung vier, hier ist doch einiges los
und in jede Richtung. Seit nun 37,5 Jahren sperre ich dieses Kaufhaus hier
am Berliner Hermannplatz, also mittenmang, morgens auf und abends zu, und
ich kann sagen: Nicht nur die Schlüssel dafür haben sich geändert. Auch die
Menschen, auch die Dinge im einstmals ersten Haus am Platze haben sich
geändert.
taz: Jetzt wird es philosophisch, Herr Häff. Beginnen wir doch mit den
Schlüsseln. Wie sahen die bei Ihrem Dienstbeginn 1987 aus?
Häff: Also, da stand die Mauer ja noch, und olle Diepgen, der Eberhard von
der CDU war ja Chef von Westberlin. Und dementsprechend solide (lacht)
waren die Schlüssel, ich hatte für jede Automatiktür, so was gab es damals
schon, also ich hatte für jede davon im Parterre einen aus polnischem
Messing.
taz: Interessant. Wie hieß dieses Warenhaus eigentlich damals? Heute steht
ja auf den zertifizierten Papiertüten Galeria, draußen am Haus Karstadt
oder so ähnlich, und bis vor Kurzem hatte ein Österreicher, der jetzt
Motorboot am Gardasee fährt, oben seine Benko-Flagge gehisst, da blickt
doch keiner mehr durch.
Häff: Da haben Sie recht, also früher war das anders, das war ein
ordentliches Haus. Ja, wir hießen einfach Karstadt – und gut war. Und unten
im Haus, ganz unten, Richtung U-Bahn, da war die Pilsbar mit den Wimpeln
und Fähnchen, ein Träumchen. Aber beschlossen habe ich stets korrekt.
taz: Klar, Herr Häff. Wie sehen denn Ihre Beschließerschlüssel heutzutage
aus?
Häff: Den Code darf ich nicht verraten, aber er fängt mit 1-0-1 an. Und er
ist drinne in einem Maxi-Nano-Chip, den ich am rechten Ohrläppchen trage –
und den halte ich zum Beispiel abends mittenmang an jede Automatiktür, also
genau mittenmang – und dann ist zu die Bude, und dann rufe ich ganz laut:
‚Hier ist zu! Ausgang nur hinten bei Schokolade und Präsentkörbe!‘ Und we…
die Leute gegen die Scheiben laufen, weil sie nicht glauben, dass hier zu
ist oder dort auch, oder wenn die Leute mich beschimpfen oder so, dann rufe
ich ganz laut: ‚Hier ist so was von zu!‘
taz: Ich verstehe. Kaufen denn die Leute überhaupt noch ein im Warenhaus
hier? Jetzt gerade ist es ja recht leer.
Häff: Die kommen schon noch gestapelt hoch vier ab dem dritten
verkaufsoffenen Adventssonntag. Dann ist plötzlich Schicht im Schacht –
denken Sie an Parfüm! Da können die in Essen oder Düsseldorf noch soviel
von David Hoff oder wie der heißt, also hektoliterweise können die Cool
Water vorher ordern! Und trotzdem ist am 23. Dezember alles weg, obwohl es
im Computer drinne noch da ist. Hier am Hermannplatz gibt es dann kein
David Hoff mehr. Und rote Kerzen auch nicht mehr. Die Welt ist komisch,
finden Sie nicht auch? Oder was von der Welt noch steht.
taz: Jetzt wird es erneut philosophisch, Herr Häff. Gibt es eigentlich noch
Stammkunden?
Häff: Aber sicher, aber wenige. Stammkunden erkennen Sie daran, dass sie
gewillt sind, Geld zu bezahlen für Ware, und dass sie diese auch in
Augenschein nehmen.
taz: Wie, was machen denn die anderen?
Häff: Die wischen auf ihrem Flachtelefon herum, zeigen auf ein Produkt und
sagen, dass das hier viel zu teuer ist und woanders billiger. Also die
Leute wollen quasi noch Geld erlösen, wenn sie hier im Parterre vom
Warenhaus am Hermannplatz zur Automatiktüre herausspazieren. Es ist ein
Elend.
taz: Das tut mir leid, Herr Häff. Und draußen am Hermannplatz, wie ist es
da so?
Was soll ich sagen, das steht doch alles in der Zeitung drinne oder im
Computer. Alle demonstrieren da gegen und für alles, und niemand blickt
mehr durch. Berlin eben, so knorke wie kacke. Und jetzt machen Sie mal,
dass Sie rauskommen aus der Hütte! Hier ist jetzt zu, so was von zu!
taz: Herr Häff, wir danken Ihnen für das Gespräch.
18 Dec 2024
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Karstadt
Kaufhaus
Weihnachten
René Benko
Zukunftsvision
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Lesestück Interview
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