# taz.de -- Radfahren extrem: Querfeldein durch den Matsch | |
> Beim Cyclocross geht es auf dem Rad durchs Gelände. Für Anu Haase und | |
> Silke Keil, gibt es nichts Schöneres, als im Winter durch den Matsch zu | |
> rasen. | |
Bild: Mit dem Rad auf der Schulter die Treppe hoch: Silke Keil (vorne) beim Cyc… | |
Elmshorn taz | Als Anu Haase ins Ziel einrollt, streckt sie die Zunge raus, | |
holt tief Luft und lächelt dann. Etwas mehr als 40 Minuten maximale | |
Belastung auf dem Rennrad liegen hinter ihr. „Ich war die vergangenen Tage | |
erkältet und bin deshalb mit meinem vierten Platz total zufrieden“, sagt | |
sie immer noch lächelnd, nachdem sie von ihrem von Matsch verdreckten Rad | |
abgestiegen ist – bei 4 Grad, grauem Himmel, leichtem Niesel. | |
Das Ziel, wo zwischen der teils plattgefahrener, teils matschiger Erde noch | |
ein paar Grashalme stehen, gehört zum entspanntesten Abschnitt des | |
Parcours, auf dem sie zuvor sechs Runden unterwegs war. Denn Haase fährt | |
nicht die hierzulande deutlich bekannteren Radsportdisziplinen Straßen- | |
oder Bahnradrennen, sondern Cyclocross. | |
„,Cyclocross' bedeutet: Man fährt im Winter auf Rennrädern durchs Gelände�… | |
erklärt Knut Kalbertodt von der Radsportgemeinschaft Uni Hamburg, die das | |
Rennen gemeinsam mit der Radsportsparte des FC St. Pauli organisiert. | |
Die Disziplin wird, wie der Radsport im Allgemeinen nach den | |
dopingverseuchten 2000er-Jahren, seit einiger Zeit auch in Deutschland ein | |
zunehmend beliebterer Breitensport. Nach Haases Ansicht könnte das auch | |
daran liegen, dass es hier mehr Miteinander gibt. | |
## Harter Sport – freundliches Miteinander | |
„Die [1][Cyclocross-Community] ist total nett und lieb untereinander“, sagt | |
Haase, die nach dem Rennen ständig mit anderen Fahrer:innen oder | |
Betreuer:innen in kurze Gespräche und Umarmungen kommt. Auch wenn die | |
Fahrer:innen in Konkurrenz zueinander stünden, seien alle sehr | |
umsichtig. „Vielleicht begründet das ebenso den Trend, dass auch wir Frauen | |
zunehmend im Matsch spielen wollen“, sagt Haase. | |
Auch der 2,5 Kilometer lange Parcours mitten im Liether Wald im | |
nordwestlich von Hamburg gelegenen Elmshorn führte am Samstagvormittag an | |
vielen Stellen durch den Matsch. Die Cyclocross-Strecken zeichneten sich | |
durch eine wechselnde Bodenbeschaffenheit aus, sagt Kalbertodt. | |
„Es geht über Wiesen und Sandböden, es geht steinerne Treppen hinauf und | |
matschige Abhänge hinunter.“ Und zwischendurch darf es zur Entspannung auch | |
mal ein Stück Asphalt sein, woraufhin aber scharfe, enge Kurven folgen, um | |
den Fahrrhythmus zu brechen. | |
„Es ist nicht wie bei Straßenradrennen, bei denen man die ersten 100 | |
Kilometer im Windschatten fährt und dann zur Schlussattacke ansetzt“, sagt | |
Kalbertodt. Cyclocross bedeute: Es geht kurz und intensiv zur Sache. | |
Das zeigt sich besonders beim Start eines Cyclocross-Rennens. Als Haase und | |
ihre Konkurrentinnen am Start stehen und der Pfiff ertönt, setzen alle | |
Fahrer:innen sofort zum Sprint an. Vor der ersten Kurve hat sich Silke | |
Keil an die Spitze gesprintet. „Du musst sofort treten, treten, treten“, | |
sagt Keil nach dem Rennen. Sie verbringt derzeit fast jedes Wochenende mit | |
Cyclocross-Rennen. Sie trat auch schon in der Bundesliga an, stand bei | |
Deutschen und Weltmeisterschaften auf dem Podium. | |
„2014 bin ich vom [2][Triathlon] zum Cyclocross gewechselt und seither | |
total gerne im Wald, im Winter, im Matsch“, sagt die 50-jährige | |
Hamburgerin. Ihre Spitzenposition wird sie bis zum Schluss nicht mehr | |
abgeben, am Ende mit Dutzenden Sekunden Vorsprung ins Ziel rollen. | |
Der Gewinn des Stevens-Cup ist ihr nun kaum noch zu nehmen. Der | |
Radhersteller fördert die von lokalen Radvereinen organisierten 14 Rennen, | |
die den Winter über in Norddeutschland stattfinden und sich an | |
Hobby-Fahrer:innen wie anspruchsvolle Amateur:innen richtet. | |
Silke Keil hat schon mehrere der Rennen gewonnen und führt die Rennserie | |
bei den Ü-30-Frauen unangefochten an, worüber sich auch die 52-jährige Anu | |
Haase sehr freut – die beiden sind gut miteinander befreundet. Haase ist | |
auch mit sich voll zufrieden, steht aktuell auf dem dritten Platz der | |
Wertung. „Ich bin ja im Vergleich zu Silke noch nicht so lange dabei“, sagt | |
Haase. | |
Rennrad gefahren ist sie schon länger, 2019 wollte sie dann auch mal | |
Cyclocross ausprobieren. „Ich wusste, dass mir das gefallen würde und hab | |
mich auch direkt mal für ein Rennen angemeldet“, sagt die 52-Jährige – und | |
war beim Start ihres ersten Rennens ziemlich erstaunt: „Die anderen fuhren | |
wie die Bekloppten“, erinnert sie sich lachend. | |
Das hohe Tempo gehe aber nur, solange man in jedem Moment des Rennens | |
konzentriert ist, sagt Haase. Jeder kleine Fahrfehler könne zum Sturz und | |
mindestens zum Zeitverlust führen. „Das sind sofort 20 bis 30 Sekunden | |
Rückstand“, sagt Haase. Und ein kleiner Zeitrückstand ist noch eine | |
harmlose Folge. | |
„Ich hab bei einem meiner ersten Rennen den Fehler gemacht und bei einer | |
Abfahrt kurz nach hinten geschaut.“ Das passiere ihr nie wieder. Denn | |
dadurch kam sie durch einen unbeachteten Huckel im Boden aus dem | |
Gleichgewicht, fiel über den Lenker bergab – und brach sich eine Rippe. | |
„[3][Je schneller du fährst, desto schneller musst du reagieren] – das | |
musst du gut lernen“, sagt Haase. | |
Dass die Konzentrationsfähigkeit maximal gefordert wird, liegt auch an den | |
Streckenverläufen. Im Liether Wald in Elmshorn bedeutet das: Schon kurz | |
nach dem Start rollen die Fahrer:innen auf eine Treppe zu, die sieben, | |
acht Meter nach oben führt. Mit dem Rad auf der Schulter laufen die | |
Fahrer:innen die sichtlich rutschigen Stufen hoch und springen dann | |
wieder schnell auf ihre Sättel. | |
## Gerade noch reagiert | |
Später, als nach einem Abhang eine tiefe Sandkuhle wartet, müssen die Räder | |
nochmal geschultert werden. Und auch, als zwei Holzbretter als Hindernis | |
auf Kniehöhe vor den Fahrer:innen auftauchen. | |
Es gehe aber nicht darum, möglichst viele fiese Stationen auf der kurzen | |
Strecke einzubauen, sondern die Anforderungen an die Fahrer:innen durch | |
eine abwechslungsreiche Strecke hochzuschrauben, sagt Organisator | |
Kalbertodt. „Unsere Streckenplaner:innen fahren ja selbst | |
[4][Cyclocross] und wissen daher, was macht Spaß“, sagt Kalbertodt. | |
Den haben an diesen Stellen auch die Dutzende Zuschauer:innen, die die | |
Fahrer:innen anfeuern. „Ich muss gestehen: Ich kriege davon kaum etwas | |
mit“, sagt Haase. „Während des Rennens bin ich wie in einem Tunnel.“ Der | |
notwendigen Konzentration auf die Strecke ist das aber sicher dienlich – | |
und dürfte dafür gesorgt haben, dass sie heil ins Ziel kam. | |
„In einer Kurve hinten im Wald war ich ein wenig weggerutscht und wäre fast | |
gegen einen Baum gefahren“, berichtet Haase nach dem Rennen. Durch ein | |
schnelles Abbremsen habe sie das aber gerade noch verhindern können. | |
„Ansonsten kann ich aber sagen: Auch hier hat es wieder richtig viel Spaß | |
gemacht.“ | |
16 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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