# taz.de -- Israel demoliert beduinisches Dorf: Das Ende von Umm al-Hiran | |
> Nach über zwanzig Jahren Rechtsstreit wird eine Moschee abgerissen – Es | |
> war das letzte noch stehende Gebäude in dem von Israel nicht anerkannten | |
> Ort. | |
Bild: Unter dem Schutz der Polizei: Abriss im beduinischen Dorf Umm al-Hiran | |
Berlin taz | Am Donnerstagmorgen geht in der israelischen Wüste Negev ein | |
jahrelanger Rechtsstreit zu Ende: Mit zwei Bulldozern, gesichert von | |
Polizisten und Drohnen, die vor blauem Himmel und ockerfarbener Landschaft | |
die Moschee von Umm al-Hiran abreißen. Es ist das letzte Gebäude, das noch | |
stand, in dem kleinen beduinischen Dorf, nur wenig südlich der Grenze | |
zwischen dem Staat Israel und dem Westjordanland gelegen. Die meisten der | |
einst 300 Bewohnerinnen und Bewohner von Umm al-Hiran hatten ihre Häuser | |
zuvor selbst demoliert – um nicht die höheren Kosten für den Abriss seitens | |
der Behörden in Rechnung gestellt zu bekommen, wie die Times of Israel | |
berichtet. | |
Umm al-Hiran ist eines von 37 vom Staat Israel [1][nicht anerkannten, | |
beduinischen Dörfer in der Wüste Negev] – arabisch Naqab genannt. Sie sind | |
nicht an öffentliche Versorgungsnetze angeschlossen, die Straßen oft | |
schlecht. Etwa 150.000 Menschen leben in diesen Dörfern, knapp ein Drittel | |
der beduinischen Gemeinschaft in Israel. Die nicht anerkannten beduinischen | |
Dörfer sollen verschwinden – so will es etwa der rechtsextreme Minister für | |
Nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir – und damit auch das Zuhause seiner | |
Noch-Bewohnerinnen und Bewohner. | |
Die Beduininnen und Beduinen haben überwiegend die israelische | |
Staatsbürgerschaft und sind [2][Teil der arabisch-sprachigen Minderheit des | |
Landes]. Sie sind aber oft ärmer und weniger formell ausgebildet als etwa | |
die arabische Bevölkerung von Städten wie [3][Haifa] oder Nazareth. Viele | |
verdienen ihr Geld als Bauarbeiter oder in der Landwirtschaft, als Arbeiter | |
in den Kibbutzim oder mit ihren Ziegen- und Schafherden. | |
Jahrhundertelang, so erzählt die beduinische Gemeinschaft es selbst, zogen | |
sie mit ihren Herden vom heute ägyptischen Sinai durch die heute | |
israelische Hegev bis in die Hijaz, eine gebirgige Wüstenlandschaft im | |
heutigen Saudi-Arabien. Schon im Osmanischen Reich wurden sie jedoch immer | |
sesshafter – oder dazu gezwungen. Nach der Staatsgründung Israels und dem | |
darauffolgenden Krieg 1948 wurden viele aus ihren ursprünglichen | |
Siedlungsgebieten vertrieben, und in den 1950er Jahren wieder auf | |
israelischem Gebiet angesiedelt. So beginnt auch die rechtliche Krux um Umm | |
al-Hiran. | |
## Sie sollten in Planstädte in der Wüste ziehen | |
Bewohnt wurde das Dorf Umm al-Hiran von Mitgliedern des Abu Al-Ki'an | |
Stammes. Auch ihre Geschichte in der Region, betonen sie, reicht lange | |
zurück, auch sie verloren ihr früheres Siedlungsgebiet 1948. Laut der | |
israelischen Menschenrechtsorganisation Adalah wurden die Angehörigen des | |
Stammes 1956 vom damaligen Militärverwalter der Negev aufgefordert, in das | |
Gebiet um das heutige Umm al-Hiran zu ziehen. | |
Der aktuelle Konflikt um Umm al-Hiran begann 2002, berichtet das +972 | |
Magazine. Damals hätten die Bewohner zum ersten Mal einen Räumungsbescheid | |
bekommen. Suhad Bishara, Anwältin bei Adalah, erzählt dem Medium: „Der | |
Staat sagt: Wir haben ihnen die Erlaubnis gegeben, auf dem Land zu leben, | |
und können diese Erlaubnis auch wieder entziehen“. Doch wo sollen die | |
Vertriebenen dann leben? | |
Im Jahr 2011 wurde der sogenannte Prawer-Plan vorgeschlagen. Er sollte | |
unter anderem den Status der Beduinen in der Negev regeln, und auch „eine | |
Art Schlüssel für Wiedergutmachung an den Beduinen, die den Anspruch auf | |
Grundbesitz stellen“ sein, [4][so berichtet die taz damals]. So solle die | |
Gemeinschaft besser in die israelische Gesellschaft integriert werden, | |
begründete man damals. Menschenrechtsgruppen nannten den Plan | |
diskriminierend. Rund 30.000 Menschen sollten von ihren Dörfern in | |
Planstädte umgesiedelt werden, so die israelische Zeitung Haaretz. 2013 | |
wurde der Plan von der Knesset erst bewilligt, dann wieder zurückgezogen. | |
Was dieser zurückgezogene Plan etablieren sollte, wird letztendlich | |
trotzdem Realität: Vier Dörfer wurden vor Umm al-Hiran im Jahr 2024 bereits | |
demoliert. Nach Angaben des Negev Coexistence Forum for Civil Equality | |
wurden in der ersten Jahreshälfte diesen Jahres 51 Prozent mehr Gebäude | |
zerstört als in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022. Damals war die | |
rechtsreligiöse Koalition des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu noch | |
nicht im Amt. | |
Platz machen für eine explizit orthodox-jüdische Ortschaft | |
Der Anfang vom Ende von Umm al-Hiran begann vor knapp zehn Jahren: Der | |
Oberste Gerichtshof Israels wies im Jahr 2015 eine Petition eines Bewohners | |
gegen seine Räumung ab. Das Land sei in Staatsbesitz, die Gemeinschaft habe | |
kein Anrecht darauf, so die Begründung. Der damalige Richter Elyakim | |
Rubinstein schrieb in seiner Begründung weiter: Es handele sich „nicht um | |
eine Vertreibung und nicht um eine Enteignung“, denn die Bewohner sollten | |
ja umgesiedelt werden, etwa in die Stadt Hura. | |
Hura liegt nur wenige Kilometer entfernt. Sie ist eine von sieben | |
Ortschaften in der Negev, die von Beduinen besiedelt sind und extra für | |
diese vom Staat geplant und gebaut wurden. Die hohen Minarette der lokalen | |
Moscheen sind von Weitem zu sehen. Doch viele Beduinen weigern sich, in | |
diese Retortenstädte zu ziehen. Laut der Times of Israel gilt das auch für | |
die meisten der nun vertriebenen Bewohnerinnen und Bewohner Umm al-Hirans. | |
Als im Januar 2017 schon einmal die Bulldozer nach Umm al-Hiran kamen, | |
starb dabei der Beduine Jacoub Abu al-Ki'an. Haaretz berichtete damals: Abu | |
Al-Ki'an habe die Zerstörung nicht mit ansehen wollen, sei in sein Auto | |
gestiegen und weggefahren. Die Polizei schoss schließlich auf das Auto, Abu | |
Al-Ki'an verlor die Kontrolle über das Fahrzeug, das dann in eine Gruppe | |
Polizisten krachte, einer von ihnen starb. Abu al-Ki'an verblutete in | |
seinem Auto. | |
Die Polizei behauptete im Anschluss, der Beduine habe die Polizisten rammen | |
wollen, und sprach von einer „Terrorattacke“, schließlich sogar von einer | |
Nähe des Toten zum Islamischen Staat. Israelische Politiker, darunter auch | |
Benjamin Netanjahu, übernahmen die Vorwürfe. [5][Weitere Untersuchungen | |
machten den Vorwurf schließlich unhaltbar], im Jahr 2020 entschuldigte sich | |
Netanjahu bei der Familie des Mannes. | |
## Minister Itamar Ben Gvir freut sich | |
Nicht nur der Verlust ihrer Heimat, sondern auch, wodurch ihr Dorf ersetzt | |
werden soll, erzürnt die Bewohnerinnen und Bewohner von Umm al-Hiram. Nach | |
Besiedelungsplänen aus den 1990er Jahren soll auf derselben Stelle eine | |
Stadt gebaut werden. Wie Adalah mit Bezug auf ein der Organisation | |
vorliegendes Planungsdokument berichtet: speziell für orthodox-jüdische | |
Israelis. | |
Gleich nach der Zerstörung der Moschee an diesem Donnerstag äußert sich der | |
rechtsradikale Minister Ben Gvir äußerst erfreut: Der Abriss sei der | |
einzige Weg, „die Souveränität in der Negev“ wiederherzustellen. Nach | |
Angaben der Times of Israel hatten vorherige Regierungen immer wieder | |
versucht, mit der beduinischen Gemeinschaft doch noch eine friedliche | |
Lösung zu finden. Das sei nun abgeschrieben. | |
Das nächste beduinische Dorf, das demoliert und dessen Einwohner vertrieben | |
werden, werde wohl Ras Jrabah sein, so die Times of Israel. 400 Menschen | |
leben dort. Bis zum 31. Dezember haben sie Zeit, ihr Zuhause zu räumen. | |
16 Nov 2024 | |
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[4] /Israel-und-seine-Beduinen/!5065995 | |
[5] https://www.timesofisrael.com/probe-shows-bedouin-man-was-shot-by-police-in… | |
## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
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