| # taz.de -- Weiblicher Zyklus und Sport: Mit dem Zyklus trainieren | |
| > Training im Gleichklang mit der Periode und dem hormonellen Zyklus liegt | |
| > im Trend. Viele Fragen zum Zusammenhang sind noch offen. | |
| Bild: Viele Sportler:innen nehmen innerhalb eines Monats große Unterschiede in… | |
| Weibliche Sportler:innen verletzen sich häufiger und anders als Männer. | |
| Zu diesem Ergebnis kommen zahlreiche Studien. Das [1][Verletzungsrisiko des | |
| vorderen Kreuzbands] etwa ist zwei- bis dreimal höher als bei Männern, auch | |
| weisen sie ein höheres Risiko für [2][Verletzungen wie | |
| Knöchelverstauchungen, Stressfrakturen und Schulterprobleme] auf. Woran das | |
| liegt, kann niemand so genau beantworten. Denn Verletzungsmuster im Sport | |
| werden häufig nicht geschlechtsspezifisch untersucht. Empfehlungen zu | |
| Prävention, Diagnostik und Therapie basieren größtenteils auf Daten | |
| männlicher Athleten. | |
| Üblicherweise werden Unterschiede in der Anatomie, Muskelmasse und | |
| Biomechanik als Gründe für die ungleichen Verletzungsmuster aufgeführt. | |
| Damit bedienen sie eine Klischee. Frauen seien von Natur aus schwächer und | |
| anfälliger und könnten deshalb nicht so hart trainieren wie männliche | |
| Sportler. Wissenschaftler:innen wie Saba Shakalio widersprechen: | |
| „Frauen sollten nicht zwingend weniger oder weniger hart trainieren, | |
| sondern anders.“ Seit fast zehn Jahren forscht sie zur Leistungsfähigkeit | |
| von Sportlerinnen und kommt zum Schluss: Wie viel eine Athletin leisten | |
| kann, unterscheidet sich je nach Tag oder Phase des Monats. Eine | |
| entscheidende Rolle könnte der Menstruationszyklus spielen. | |
| ## Das hormonelle Profil | |
| Ein Menstruationszyklus hat unterschiedliche Phasen, mit jeweils anderen | |
| hormonellen Profilen. Vereinfacht kann der Zyklus in die Phase vor und nach | |
| dem Eisprung aufgeteilt werden. In der Follikelphase, der Phase zwischen | |
| dem Eintritt der Menstruation und dem nächsten Eisprung, reift die Eizelle | |
| heran. Darauf folgt die Lutealphase, sie umfasst den Eisprung selbst und | |
| endet, wenn die Menstruation wieder einsetzt. | |
| Da viele Sportler:innen innerhalb eines Monats große Unterschiede in | |
| ihrer Kraft, Leistung und Erholungsbedürftigkeit wahrnehmen, trainieren | |
| immer mehr Frauen zyklusbasiert. Viele fangen damit an, sobald sie merken, | |
| dass etwas mit ihrem Körper nicht stimmt. So berichtete die Triathletin und | |
| mehrfache Ironman-Siegerin Laura Philipp vor einigen Jahren davon, durch | |
| die hohen Belastungen einen sehr unregelmäßigen Zyklus zu haben. Bei | |
| anderen Athlet:innen fällt die Periode über Jahre hinweg ganz aus. | |
| Zyklusbasiertes Training bedeutet, sich an den Bedürfnissen, Beschwerden | |
| und Chancen zu orientieren, die mit dem Zyklus einhergehen. Auch wenn | |
| seitens der Wissenschaft noch viele Fragen unbeantwortet sind, ist davon | |
| auszugehen, dass sich verschiedene Menstruationsphasen unterschiedlich auf | |
| den weiblichen Körper auswirken. Das könnte an Schwankungen der weiblichen | |
| Sexualhormone Östrogen und Progesteron liegen. | |
| „Der Menstruationszyklus beginnt eigentlich im Kopf“, erklärt | |
| Ausdauertrainerin Laura-Sophie Usinger. Denn die Produktion von Östrogen | |
| und Progesteron wird von Hormonen gesteuert, die im Gehirn angesiedelt | |
| sind. Sie geben Signale an die Eierstöcke ab und sorgen dafür, dass die | |
| Konzentrationen von Östrogen und Progesteron, ähnlich einer Wellenbewegung, | |
| in einem monatlichen Rhythmus zu- und abnehmen. So wird in der | |
| Follikelphase immer mehr Östrogen produziert, kurz vor dem Eisprung erlebt | |
| das Hormon seinen Höhepunkt. Über den Eisprung wird dann das Hormon | |
| Progesteron ausgeschüttet, welches die Lutealphase dominiert. Kommt es | |
| nicht zu einer Befruchtung der Eizelle, sinkt der Progesteronspiegel | |
| wieder. | |
| ## Alles Vermutungen | |
| Ergebnisse aus Tierversuchen zeigen, ähnlich wie Testosteron wirkt das | |
| Hormon Östrogen anabol. Es verstärkt den Muskelaufbau und vereinfacht die | |
| Aufnahme von Kohlenhydraten. Zudem geht man davon aus, dass beide Hormone | |
| für ein erhöhtes Selbstbewusstsein und Wohlbefinden sorgen. Da Östrogen und | |
| in geringen Mengen auch Testosteron rund um den Eisprung ausgeschüttet | |
| werden, gilt die Follikelphase nach den Sportwissenschaftler.innen als | |
| besonders leistungsfähige Phase. In dieser Zeit raten sie zu intensiven | |
| Trainingseinheiten. Progesteron hingegen wirkt nachweislich katabol und | |
| fördert den Proteinabbau. Es wird vermutet, dass in der Lutealphase der | |
| Energiebedarf geringer und der Bedarf nach Regeneration größer ist. | |
| Bislang sind das jedoch alles nur Vermutungen. Welchen Einfluss die Hormone | |
| Östrogen und Progesteron tatsächlich auf die Leistungsfähigkeit von | |
| Sportler:innen haben, kann wissenschaftlich nicht belegt werden. Sicher | |
| ist, dass das Progesteron die Körpertemperatur um 0,3 bis 0,5 Grad erhöht | |
| und Sport in heißer Umgebung in der Lutealphase schneller zur Ermüdung | |
| führt als sonst. „Das ist aber wirklich das Einzige, was wir in der | |
| Wissenschaft definitiv über den Einfluss des Zyklus auf die | |
| Leistungsfähigkeit wissen“, so Usinger. | |
| Auch Laura-Sophie Usinger und Saba Shakalio haben verschiedene Studien zu | |
| zyklusbasiertem Training durchgeführt, konnten jeweils aber nur leichte | |
| Tendenzen in der Leistungsfähigkeit feststellen. Zusammen mit der | |
| Sporthochschule Köln untersuchte Shakalio etwa die Leistungsfähigkeit einer | |
| Bundesliga-Wasserballmannschaft und fand heraus, dass die Probandinnen vor | |
| dem Eisprung besser beschleunigen konnten als nach dem Eisprung. | |
| Dass es noch immer keine wissenschaftlich fundierten Grundlagen gibt, um | |
| die Effizienz von zyklusbasiertem Training zu beweisen, hat mehrere Gründe. | |
| Saba Shakalio berichtet von einem „Doppelstandard“ vieler männlicher | |
| Kollegen aus der Sportwissenschaft. „Die sind der Meinung, dass die Daten, | |
| die man über Männer hat, genauso gut auf Frauen übertragen werden können. | |
| Gleichzeitig schließen sie Frauen systematisch aus ihren Studien aus, weil | |
| sie ihren Zyklus als Störfaktor sehen“, erklärt die 31-Jährige. | |
| ## Schwierige Messungen | |
| Laura-Sophie Usinger verweist auf einen hohen Einfluss von psychologischen | |
| Faktoren, die allerdings schwer zu messen seien. Studien, die | |
| Athlet:innen nach ihrem Wohlergehen fragen, ohne ihnen Blut abzunehmen | |
| oder ihre Körpertemperatur zu messen, kommen zu klaren Ergebnissen. Die | |
| große Mehrheit der Befragten nimmt deutliche Unterschiede wahr, berichtet | |
| von Stimmungsschwankungen und fehlender Motivation während der Lutealphase. | |
| Als bevorzugtes Zeitfenster für Wettkämpfe geben mehr als die Hälfte der | |
| Befragten die [3][Zeit nach der Periode] an. | |
| Trotzdem lassen sich Angaben über den Menstruationszyklus nur schwer | |
| verallgemeinern. „Jede Frau hat eine andere Zykluskurve. Tag zwölf ist bei | |
| keiner Frau exakt gleich“, erklärt Shakalio. Deshalb sei es wichtig, bei | |
| Athlet:innen zuallererst ein Zyklus-Screening durchzuführen, um zu | |
| beurteilen, wie lange welche Phase dauert und ob eine Leistungsschwankung | |
| innerhalb des Zyklus festzustellen ist. Das helfe zwar nicht zwingend | |
| dabei, Rekordzeiten zu optimieren. Aber vielleicht geht es beim | |
| zyklusbasierten Training auch um eine ganz simple Erkenntnis: Ich muss | |
| nicht an jedem Tag meine beste Leistung erbringen. | |
| 22 Nov 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://doi.org/10.2106/JBJS.RVW.19.00140 | |
| [2] https://doi.org/10.2106/JBJS.RVW.19.00140 | |
| [3] https://doi.org/10.3389/fphys.2022.954760 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Federl | |
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