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# taz.de -- Die Wahrheit: Alle Leichen nach Münster
> Nach Karl Lauterbachs abgenickter Krankenhausreform: Jetzt geht es trotz
> massiver Proteste aus Publikum und Politik den Fernsehkliniken an den
> Kragen.
Bild: Patient halbtot, aber die Sachsenklinik lebt immer noch
Bekanntlich lässt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kein
gutes Haar am deutschen Klinikwesen – zu groß, zu lahm, zu teuer. Jetzt
darf trotz Ampel-Aus seine Mega-Reform kommen: Hunderte Krankenhäuser
werden ihre Leistungen erweitern, einschränken, mit anderen Einrichtungen
fusionieren oder den Laden ganz dichtmachen. Zu groß, zu lahm, zu teuer,
dieser Vorwurf trifft genauso ins Herz des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks. Und siehe da – auch hier will Noch-Gesundheitsminister
Lauterbach die Axt anlegen. So sieht der gelernte Gesundheitsökonom
besonders bei Fernsehkliniken reichlich Einsparpotenzial. Und der hohe
Rundfunkbeitrag ist ja schon lange ein Dorn mindestens im zweiten Auge
vieler Zuschauer.
Was jeder und jede weiß: Die zahlreichen Krimi-Sendungen und Soaps
betreiben je ihre eigenen Krankenhäuser. Nach Effizienz oder Kosten hat da
noch niemand gefragt. Serien wie „Notruf Hafenkante“ in Hamburg und „Rote
Rosen“ in Lüneburg etwa unterhalten zwei komplett getrennte Krankenhäuser �…
dabei liegen hier Synergieeffekte auf der Hand. Denn die beiden Städte
liegen gerade einmal 30 Minuten mit der Bahn auseinander – wenn letztere
fährt.
Für die Innenaufnahmen in Hamburgs Elbkrankenhaus (EKH) dient eine
umgebaute Lagerhalle im Gewerbegebiet Lademannbogen in
Hamburg-Hummelsbüttel, als Drehort für die TV-Klinik von Frau Dr. Britta
Berger dient das Hospital am Graal in Lüneburg. Aber: wozu eine Lagerhalle
mieten, wenn es auch live geht?
Etwas weiter weg in der Ex-DDR liegt die Sachsenklinik. Sie ist das fiktive
Leipziger Krankenhaus, in dem sich „Die jungen Ärzte“ tummeln. Für den
Drehort der Serie „In aller Freundschaft“ wird extra ein Studio in der
Media City Leipzig angemietet. Aber ist das wirklich nötig?
Nun ist die Entfernung Leipzig – Hamburg eine andere als von Ham- nach
Lüneburg. Für den allzeit reformwilligen Minister Lauterbach aber ist das
kein Problem. Seine Lösung: Digitalisierung der Serien!
## Ferndiagnosen als Lösung
„Unser System“, argumentiert der Gesundheitsapostel, „ist steigerungsfäh…
Fachärzte könnten schon heute effizienter arbeiten, wenn die
Digitalisierung früher erfolgt wäre.“ TV-Diagnosen könnten per Facetime und
Teams gestellt, Fernsehbefunde per E-Mail und Whatsapp verschickt werden.
Lauterbach sieht da keine rechtlichen Hürden: „Die haben bereits sehr gute
Datenschutzerklärungen.“ Daraus ergäben sich „auch viele Möglichkeiten f…
die digitale Verarbeitung und serielle Vermarktung, äh, Analyse der
Patientendaten“.
Noch leichter wird es in der Gerichtsmedizin gehen. Bei der Reihe „Tatort“
zum Beispiel, die traditionell in verschiedenen Bundesländern Deutschlands
spielt, ließen sich schnell Synergieeffekte erzielen. So könnte man die
Leichen schlicht alle nach Münster zum prominentesten Vertreter seiner Art,
Prof. Dr. Boerne, schicken. Dessen Selbst-Darsteller Jan Josef Liefers ist
über jede Sendeminute froh. Überschüssiges Personal wie Joseph Roth vom
„Tatort Köln“ könnte man kostensparend in die nächstbeste Gerichtssendung
verkaufen.
Erfahrung mit Klinikschließungen haben die Öffentlich-Rechtlichen: Bereits
1989 schloss die beliebte Schwarzwaldklinik. Für das Personal ergaben sich
schnell neue Möglichkeiten. Sascha Hehn, in der Serie Oberarzt Dr. Udo
Brinkmann, wechselte nach dem Klinik-Aus zu seiner eigenen Sendung. Als
„Frauenarzt Dr. Markus Merthin“ heilte er weiter.
Doch nicht alle sind happy mit der jetzt von Lauterbach geplanten Reform
der TV-Kliniken. Die Ärztin Jasmin Jonas vom Hamburger Elbkrankenhaus zum
Beispiel: „TV-Patient*innen werden künftig längere Wege bis zum nächsten
zuständigen Krankenhaus in Kauf nehmen müssen. Ob dadurch die Behandlung
besser wird, ist fraglich.“ Das Fernsehpublikum werde zudem nicht jünger,
da steige der kostspielige Behandlungsbedarf eher, als dass er abnehme.
Auch aus der Politik gibt es Gegenwind. Kritiker wie Sachsen-Anhalts
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) machen sich über die Finanzen
Sorgen, denn entgegen landläufiger Meinungen koste Rationalisierung erst
mal. „Für die Reform soll ein Transformationsfonds mit einem Gesamtvolumen
von 50 Milliarden Euro über zehn Jahre aufgebaut werden. Das wird
zwangsläufig zu einer Erhöhung der Rundfunkgebühren führen, die jetzt schon
absurd hoch sind. Dem werde ich auf keinen Fall zustimmen.“
ARD-Intendant Kai Gniffke sieht hingegen keine Alternative zu den
Reformplänen. „Das öffentlich-rechtliche TV-Gesundheitswesen bildet eine
tragende Säule in der Fernseh-Daseinsfürsorge.“
Andere Töne schlägt CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn an. Sein Zauberwort:
Privatisierung. „Wir verfügen über eine Reihe sehr guter privater
TV-Kliniken, die kosten- beziehungsweise profitdeckend arbeiten.“ Spahn
kann sich gut vorstellen, ganze Krankenhausserien ans Privatfernsehen zu
verkaufen. „Das wäre auch eine Maßnahme gegen die ausufernden Kosten der
Krankenkassen.“ Der Ex-Minister weiter: „Beim Privatfernsehen sind die
TV-Patienten natürlich privatversichert. Das würde ordentlich Gelder in die
maroden Kassen der TV-Krankenhauskonzerne spülen.“
## Privatfernsehen für Privatpatienten
In den Privatfernsehkrankenhäusern ist man über die Pläne aber nicht ganz
so begeistert. Lilly Seefeld vom Jeremias-Krankenhaus in der Serie „Gute
Zeiten, schlechte Zeiten“ (GZSZ) weiß als Oberärztin zu berichten, dass sie
und ihre Kollegen jetzt schon viel zu viele Patienten hätten – „und jetzt
sollen die Öffi-Kranken noch dazukommen? Wir wissen doch so schon nicht
mehr ein noch aus.“
Im Privatfernsehhospital müssten sie den Zuschauern mehr bieten als in den
ruhigeren Öffentlich-Rechtlichen, mit derem älteren, leicht zu
erschreckenden Publikum. Seefeld: „Bei uns gibt es die fieseren
Schlägereien, die schlimmeren Krankheiten, die krasseren Notfälle.“ ARD-
und ZDF-Ärzte würden daran gar nichts ändern – „die haben ganz andere
Arbeitszeiten, TV steht bei denen für Tarifvertrag.“
Medizinerin Seefeld leidet derzeit besonders „unter den unhaltbaren
Zuständen“ in der Serie: „Die ‚GZSZ‘-Autoren hatten den tollen Einfall,
meinen ‚Vater‘ als Schönheitschirurgen einzustellen!“ Die Klinik muss
schließlich, anders als eine ARD-Klinik, ihr Geld selbst verdienen. Ihr
Serienvater Lars Brunner bekam die Stelle schnell, doch der smarte Arzt hat
ein lockeres Verhältnis zum Geld: Um aus seinen Schulden herauszukommen,
verpasst er gesuchten Schwerkriminellen eine neue Visage.
Ob die Privatisierung öffentlich-rechtlicher Fernsehkliniken also wirklich
ein Rezept gegen den Kliniknotstand ist? Wir bleiben dran – auch an Karl
Lauterbach.
25 Nov 2024
## AUTOREN
Jürgen Kiontke
## TAGS
Ärzte
Fernsehen
Karl Lauterbach
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