| # taz.de -- Luftangriffe auf Libanons Hauptstadt: Wir schrecken zusammen und be… | |
| > In der Nacht kommen die israelischen Angriffe der Wohnung unserer Autorin | |
| > in Südbeirut so nahe, dass die Scheiben klirren. Und bis zum Morgen ist | |
| > es lange hin. | |
| Bild: Auch in unserem Wohnzimmer sind sie zu hören, die Luftschläge aus Südb… | |
| Beirut taz | Dass die Nacht schlimm werden könnte, ahnen wir ab dem späten | |
| Nachmittag. Das israelische Militär fliegt einen massiven Luftangriff auf | |
| das Hauptquartier der Hisbollah in Haret Hreik, einem südlichen Vorort von | |
| Beirut. [1][Nach israelischen Angaben könnte Hisbollah-Chef Hassan | |
| Nasrallah selbst dabei getötet worden sein]. | |
| Wir überlegen: Entweder Israel begnügt sich damit und evaluiert die Nacht | |
| hindurch den Erfolg des Angriffs. Oder es ergreift das sich durch den | |
| Angriff geöffnete Zeitfenster, in dem die Hisbollah wahrscheinlich | |
| besonders verwundbar ist. | |
| Gegen Mitternacht kommt die erste Evakuierungsaufforderung für Teile der | |
| zusammenfassend Dahiyeh genannten, südlichen Vorstädte. Sie erscheint auf | |
| dem X-Profil des arabischsprachigen Sprechers der israelischen | |
| Streitkräfte, [2][Avichai Adraee,] und läuft dann durch die vielen | |
| Telegram-Gruppen und Medien. Betroffen ist neben dem Herz von Dahiyeh unter | |
| anderem Hadath – ein im Gegensatz zu Dahiyeh weniger schiitisch als eher | |
| christlich geprägter Vorort. | |
| Schon zuvor, am Abend, versuche ich ein Airbnb in Nordbeirut zu buchen – | |
| für den Fall, dass die Angriffe des israelischen Militärs allzu nah an die | |
| Wohnung meiner Freunde, in der ich übernachte, heranrücken. Es klappt | |
| nicht: Für die Nacht bereits ausgebucht. | |
| ## Der Krieg scheint erst weit entfernt | |
| Bir Hassan – das Viertel, in dem meine Freunde leben – gehört eigentlich zu | |
| Dahiyeh, fühlt sich aber eher an wie ein Teil Beiruts: Die Häuser sind von | |
| außen gepflegter, die Straßen weitläufiger, und die Stadtgrenze zu Beirut | |
| ist zu Fuß zu erreichen. Auch im letzten Krieg zwischen der Hisbollah und | |
| Israel im Jahr 2006, betonen sie, war es hier immer sicher. | |
| Etwa um halb eins beginnen die Luftangriffe auf Südbeirut. Wir hören sie | |
| aus der Ferne, sehen sie in den Nachrichten verschiedener TV-Sender, auf | |
| Instagram, X und in den vielen Gruppen auf Telegram, die Videos von den | |
| Angriffen in ganz Libanon teilen. | |
| Über drei Stunden ist immer mal wieder der dumpfe Knall einer Explosion zu | |
| hören. Doch der Krieg scheint uns noch weit weg, der Ventilator und der | |
| Stromgenerator im Hinterhof übertönen mit ihrem Brummen auch die Geräusche | |
| der Flugzeuge. Trotz dass ich immer wieder zusammenzucke, nicke ich auf dem | |
| Sofa eine Weile lang ein. | |
| Ein guter Freund hält Wache, aktualisiert den Feed der Telegram-Gruppen, | |
| und das X-Profil Adraees. Gegen drei Uhr wache ich auf, er ist immer noch | |
| wach, und nimmt schließlich eine aufputschende Pille. | |
| ## Um kurz vor vier klirren die Scheiben, wackelt das Gebäude | |
| Nach drei Uhr nachts ploppt auf Adraees Profil die nächste | |
| Evakuierungsaufforderung auf. Diesmal ist Bourj al Barajneh betroffen – das | |
| Viertel neben uns, zu normalen Zeiten mit dem Auto nur Minuten entfernt. | |
| Wir schalten das Licht an und den Ventilator ab. Ich richte mich auf, setze | |
| meine Kontaktlinsen ein. Dann warten wir. | |
| Nach etwa einer halben Stunde beginnen die Angriffe erneut. Der | |
| Einschlagsort des ersten Geschosses ist so nah, dass die Scheiben der | |
| Balkontür klirren und das Gebäude vibriert. Wir atmen miteinander ein und | |
| aus, versuchen uns zu beruhigen. Und wiederholen zusammen, weil wir daran | |
| glauben müssen, um die Angst nicht überhand gewinnen zu lassen: Das | |
| israelische Militär weist bisher im Libanon vor größeren Luftschlägen | |
| Zivilistinnen und Zivilisten an, zu evakuieren. Wir aktualisieren das | |
| X-Profil von Adraee. Nichts neues. | |
| Und sagen uns wieder: Das israelische Militär weist vor größeren | |
| Luftschlägen Zivilistinnen und Zivilisten an, zu evakuieren. Welchen Sinn | |
| würde es machen, die einen zur Evakuierung aufzurufen, und die anderen | |
| nicht, fragen wir. Keinen. Und sagen uns nochmal: Das israelische Militär | |
| weist vor größeren Luftschlägen Zivilistinnen und Zivilisten an, zu | |
| evakuieren. Darauf vertrauen wir. | |
| Die Katze bekommt Panik, steht wie versteinert mit lang ausgestrecktem | |
| Schweif im Flur. Haben wir eine Tasche, in die wir sie stecken und im | |
| Notfall mitnehmen können? Wir beginnen zu suchen. Wir überprüfen wieder das | |
| Profil von Adraee, und versuchen zu scherzen: „Wie geht’s eigentlich | |
| Avichai?“ | |
| ## Die Nacht scheint kaum zu vergehen | |
| Die Explosionen sind so nah, dass wir Menschen schreien hören. Vielleicht | |
| sind es die Betroffenen, vielleicht Verängstigte in der Nachbarschaft. Wir | |
| überlegen: Geht das israelische Militär, wie auch in Gaza, in Quadranten | |
| vor? Werden wir als nächstes zur Evakuierung angewiesen? Vorsichtshalber | |
| packe ich Laptop, ein paar Klamotten, und eine Powerbank in meine kleine | |
| Reisetasche, und wechsele von der Jogginghose in Rock und T-Shirt. | |
| Wir aktualisieren wieder das Profil von Adraee. Die letzte Anordnung steht | |
| immer noch ganz oben. Und doch scheint die Nacht kaum zu vergehen. Immer | |
| wieder schrecken wir zusammen, halten uns an den Händen, beten. Wir sagen | |
| das Vater Unser, ich auf Deutsch, mein guter Freund auf Arabisch. Wir | |
| beginnen, über die Geräusche zu fachsimpeln: Könnte das Artillerie sein? | |
| Oder eine Bombe? Warum macht die Rakete so ein langes, pfeifendes Geräusch? | |
| Und ist das leise Rauschen über uns ein Kampfflugzeug? Im Badezimmer | |
| übergibt sich meine Freundin vor Angst. | |
| Wir halten fest: Weder der libanesische Staat noch die sich gerne wie die | |
| Macht im Land aufspielende Hisbollah, [3][haben irgendeinen Plan zum Schutz | |
| der Menschen vor Ort]. Eine warnende SMS, oder gar ein Evakuierungsplan? | |
| Als ob. | |
| Ich erzähle, wie ich Luftangriffe aus Israel kenne: Eine Sirene ertönt, man | |
| erhält eine Warnung aufs Handy. Irgendwo in der Nähe gibt es mit großer | |
| Wahrscheinlichkeit einen Schutzraum. Und die Verteidigungssysteme Iron | |
| Dome, David’s Sling und Arrow, schaffen ein grundsätzliches Gefühl von | |
| Sicherheit, zumindest in großen Teilen des Landes. Das täuschen kann: Auch | |
| in Israel sterben durch Raketenbeschuss seit dem 7. Oktober Menschen. Doch | |
| in Nordisrael hatte ich vor den Angriffen der Hisbollah meist weniger | |
| Sorge. Nun, in Südbeirut, durchfeuchtet der Angstschweiß mein T-Shirt. | |
| Wir scrollen durch die Sozialen Medien und sehen Videos aus dem Norden der | |
| Stadt: Auf den Plätzen in Downtown, oder dem Pflaster der Strandpromenade | |
| harren die Menschen aus. Auf dem Gehsteig an der Autobahn Richtung Beirut | |
| zieht sich eine Kolonne entlang – wer kein Auto hat, flüchtet zu Fuß. Und | |
| wer ein Auto hat, steht im Stau. | |
| ## „Sie lernen einfach nichts“ | |
| Immer wieder sagen wir: Jetzt ist es vorbei. Dann geht es wieder los. | |
| Irgendwann ist es halb sechs Uhr morgens. Wir kochen Kaffee, trinken und | |
| lauschen. Die Explosionen sind endlich abgeklungen. Auch der Generator im | |
| Hinterhof – der die mangelnde Stromversorgung des maroden libanesischen | |
| Staates ausgleicht – ist endlich verstummt. Ein leises Brummen ertönt. Es | |
| könnte ein Generator weiter weg sein, oder eine Drohne. „Sie überprüfen ihr | |
| Werk“, sagt der Freund. | |
| Draußen bricht die Dämmerung an. Die Geräusche der Angriffe sind endgültig | |
| verstummt. Die Nacht ist vorüber. Wir danken Gott. | |
| Auf dem Balkon riecht es unerträglich stark nach den Explosionen. Trotzdem | |
| steigen wir die Treppe hinauf, auf das Dach des Hauses. Beirut ist in | |
| sanftes, rötliches Licht getaucht. In den letzten Tagen war es schwierig, | |
| auf der Straße vor dem Gebäude einen Parkplatz zu finden, [4][teils sind | |
| aus dem Süden Geflohene hier bei Verwandten untergekommen]. Vom Dach | |
| blicken wir nun herunter. Die meisten Autos sind im Laufe der Nacht | |
| verschwunden. In der Ferne steigt dunkler Rauch auf. | |
| Die Sonne geht auf. Die Katze hat sich beruhigt, genauso wie wir. Die | |
| Hisbollah schieße in diesem Moment wieder Raketen auf Nordisrael, sagt mein | |
| guter Freund. „Sie lernen einfach nichts.“ | |
| 28 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lisa Schneider | |
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