# taz.de -- Schönheitsideale: Falten und der Fluch der Eitelkeit | |
> Manchmal sind Falten schön, oft aber lästig. Doch die Gegenmittel sind | |
> teuer. Über den Stress mit dem ewigen Streben nach Perfektion. | |
Bild: Creme wie ein Sahnehäubchen | |
Es gibt Falten, die mag man: Lachfalten, Bunny Lines – und die Zornesfalte, | |
weil die verschafft Respekt. Und es gibt Falten, die findet [1][man nicht | |
so toll] wie Nasolabialfalten oder Stirnfalten; mir sind Marionettenfalten | |
seit Kindertagen ein Graus. Vermutlich, weil sie mich an die | |
Klavierlehrerin erinnern, die mich ein Mal pro Woche mit Tonleitern | |
folterte. | |
Ärgerlicherweise entwickele ich nun eine ähnliche Furche zwischen | |
Mundwinkel und Kieferpartie. Vor allem rechts, von wo ja alles Schlechte | |
kommt: die plattere Seite meiner Frisur, zwei, drei Hexenhaare – [2][und | |
Nazis] natürlich. Wenigstens bevölkern die nicht auch noch mein Gesicht. | |
Spätestens hier wird sich sicher jemand fragen, ob so etwas wirklich in | |
einer seriösen, linken Tageszeitung stehen muss. Kann ich gut verstehen. | |
Aber ich bin gekommen, um zu bleiben – na, welcher [3][Millennial] kennt | |
diesen Song? Wer ihn zuerst errät, kriegt eine Retinol Creme von Paula’s | |
Choice. Die fliegt noch bei mir rum. | |
Vor meinem ersten Falten-Monolog hatte ich übrigens fast so viel Respekt | |
wie vor den Falten selbst. Denn entweder liest sich so etwas so | |
heuchlerisch wie in der Glamour: LOVE YOURSELF, ABER GEH BOTOX SPRITZEN, DU | |
HÄSSLICHE BITCH! | |
Oder eloquent, aber eher deprimierend wie bei Simone de Beauvoir, die | |
Altersdiskriminierung en détail aufschlüsselt, aber auch keine innovativere | |
Idee hat, als faltige Haut zu ertragen und sich wichtigeren Dingen | |
zuzuwenden. Schon auch richtig. | |
Die Schriftstellerin Siri Hustvedt findet immerhin, dass Falten besser zu | |
ihrem Intellekt passen und sie damit auch ernster im Beruf genommen wird. | |
Nicht so ist das leider nach wie vor bei Schauspielerinnen, die müssen | |
spätestens mit 40 ins Callcenter. | |
## 350 Euro in einer kleinen Tasche | |
Zum Glück ist die Bühne nicht meine Baustelle, und trotzdem will ich jung | |
und frisch und begehrenswert bleiben. Allerdings hauptsächlich für mich | |
selbst und die hotten ein Prozent, für die ein „Nein heißt Nein“ ebenso | |
selbstverständlich ist wie für mich das Pfefferspray im Park. | |
Mal angenommen, es gäbe ihr perfides Pimmelsystem nicht, das uns seit | |
Jahrtausenden den Verstand penetriert: Dann würde ich mir in der Parfümerie | |
vermutlich jetzt auch keine aufwendige Pflegeroutine aufschwatzen lassen. | |
Die einzelnen Schritte könnten die Falten zwar nicht ungeschehen machen, | |
sagt die freundliche Verkäuferin – danke, ich bin kein Dummi, auch wenn ich | |
keine D******-Karte besitze. Sie könnten aber gepflegte Falten aus ihnen | |
machen. Und gepflegt – das will ich sein. | |
Also kaufe ich mir ein Tonikum, zwei Seren, eine Tages- sowie eine | |
Nachtpflege, Sonnenschutz, Augencreme und Abschminkzeug von einer „ganz | |
wunderbaren Dermatologin“ mit Adelstitel aus dem mittleren Preissegment. | |
„Das macht dann 350 Euro“, sagt die Kassiererin. Ich muss schlucken. | |
Mit einer lächerlich kleinen Tüte schleiche ich die Friedrichstraße entlang | |
und überschlage, was jetzt nicht mehr drin ist: auf Konzerte gehen, Essen | |
kaufen und morgens vom Bett schnurstracks in die U-Bahn hüpfen. | |
Ich google die Dermatologin: „Diese Creme hat heftigen Ausschlag bei mir | |
verursacht …“ Sofort umtauschen!, schreit Galaktika. Doch das geht laut | |
Kassenbon nicht ohne Weiteres. Und jetzt? Ein bisschen Hand aufkratzen und | |
Allergie vorspielen. Was tut man nicht alles für die Schönheit. | |
10 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
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