| # taz.de -- Eskalation im Nahen Osten: Diplomatie ist gefragt | |
| > Die Ausweitung des Krieges im Libanon wird keine Sicherheit bringen. Es | |
| > braucht am Völkerrecht orientierte Anstrengungen für einen | |
| > Waffenstillstand. | |
| Bild: Nach einem israelischen Luftangriff im Süden von Beirut am 7.10.2024 | |
| Tag und Nacht erschüttern [1][Bombardements der israelischen Luftwaffe | |
| derzeit Beirut]. Die aktuelle Eskalationswelle zwischen Hisbollah und | |
| Israel begann mit israelischen Pager-Angriffen, die mehr als 30 Menschen | |
| töteten, 300 erblinden ließen und 3.000 verletzten. 80 Tonnen Bomben | |
| töteten wenig später Hisbollahs Generalsekretär Hassan Nasrallah und | |
| Parteikader in einem unterirdischen Kommandoraum und die zivilen Bewohner | |
| sechs darüberliegender Wohnblöcke. | |
| Die Realität des Kriegs im Libanon ist nicht mehr zu leugnen: Israel ist im | |
| Süden einmarschiert; verheerende Luftangriffe treffen alle Landesteile, | |
| und weit über eine Million Menschen wurden vertrieben. Wie blickt die | |
| libanesische Bevölkerung angesichts dessen auf die Hisbollah, Gaza und | |
| die Ausweitung des Kriegs? | |
| Seit einem Jahr schießt Hisbollah ungebrochen Raketen auf Ziele in Israel, | |
| mit dem erklärten Ziel, durch militärischen Druck und Abschreckung Israels | |
| Streitkräfte zu binden und das Land zu einer Verhandlungslösung mit der | |
| Hamas in Gaza zu drängen. Jeder dieser Angriffe gefährdet Menschenleben; | |
| bisher töteten sie über 50 Menschen, darunter mindestens 28 Zivilisten. | |
| Die Mehrheit unabhängiger Analysten attestierte Hisbollah und dem Iran | |
| angesichts des Ausbleibens umfassender Vergeltungsschläge und der | |
| Begrenzung auf „symbolische Antworten“ wie das Abfeuern einzelner | |
| Mittelstreckenraketen auf militärische Ziele in Tel Aviv lange eine | |
| relative Zurückhaltung. Diese scheint mit Irans unangekündigtem Abschuss | |
| von über 180 Raketen auf Ziele in Israel in der vergangenen Woche nun | |
| vorüber; der regionale Krieg droht. | |
| ## Trauer und Wut eint | |
| Israels erfolgreiche Schläge gegen Hisbollah, insbesondere die Tötung | |
| Nasrallahs, haben Netanjahu innenpolitisch massiv gestärkt. Sein | |
| Kriegskabinett zieht militärische Optionen diplomatischen | |
| Verhandlungslösungen in Libanon und Gaza weiterhin vor. Libanons | |
| vielfältige Gesellschaft, die durch das konfessionalistische politische | |
| System entlang politisch-religiöser, ideologischer sowie klassen- und | |
| regionalspezifischer Gräben gespalten und polarisiert ist, lehnt mit großer | |
| Mehrheit die aktuelle Ausweitung des Krieges ab. | |
| Es eint sie die Trauer und Wut über die Getöteten und Verwundeten, die | |
| fortschreitende Bombardierung des Landes und dass Israels westliche | |
| Verbündete neben diplomatischen Lippenbekenntnissen Israel durch | |
| kontinuierliche Waffenlieferungen zugestehen, das Recht des Stärkeren | |
| Verhandlungslösungen vorzuziehen. | |
| Bereits vor dem 7. Oktober vergangenen Jahres war die öffentliche Meinung | |
| zur Hisbollah polarisiert. Rund die Hälfte der Bevölkerung, besonders | |
| Menschen aus dem Südlibanon und ein beträchtlicher Teil der historisch | |
| marginalisierten Schiiten, unterstützen sie wegen ihrer Befreiung des bis | |
| 2000 von Israel besetzten Südlibanons, ihr militantes Eintreten gegen eine | |
| regionale US-israelische-Hegemonie, sowie aufgrund tiefer religiöser wie | |
| moralischer Überzeugungen. Seit den 1990ern wurde die Partei zunehmend Teil | |
| des konfessionalistischen politischen Systems Libanons, eine wichtige Kraft | |
| in Parlament und Regierung und baute wie alle Parteien ihr | |
| klientelistisches Unterstützungsnetz aus – so etwa im Gesundheits- und | |
| Bildungswesen. | |
| Die andere Hälfte der Bevölkerung steht ihr aus ebendiesen und weiteren | |
| Gründen kritisch bis ablehnend gegenüber. Die libanesische Revolution 2019 | |
| und der Staatskollaps zeigten, dass Hisbollah das System der korrupten | |
| konfessionellen Eliten mittrug und gewaltsam verteidigte. Auch ist sie für | |
| Gewalt und Morde an Oppositionellen und Intellektuellen verantwortlich. | |
| Doch die zentrale Kritik lautet: Als einzige bewaffnete Miliz im Land | |
| unterlaufe sie Libanons Souveränität und suche für Entscheidungen über | |
| Krieg und Frieden wie ihren Eingriff in den syrischen Bürgerkrieg auf | |
| Seiten Baschar al-Assads keine demokratische Legitimierung. | |
| Fundamentalkritik an Hisbollah dient Mitgliedern der korrupten politischen | |
| Kaste allerdings auch dazu, ihre eigene Mitschuld an Libanons Lage | |
| zurückzuweisen. | |
| ## Destabilisierung Libanons | |
| Israels Militäreinsatz in Gaza wird im Libanon, wie auch von vielen | |
| internationalen Organisationen und Experten, [2][als genozidal wahrgenommen | |
| und führte zu einer massiven Zunahme] an Solidarität mit den | |
| Palästinensern. Das Scheitern diplomatischer Verhandlungen für Gaza, die | |
| einseitige US- wie deutsche Parteinahme und die Untätigkeit arabischer | |
| Staaten verschaffte Hisbollahs lokal begrenztem militärischem Einsatz zum | |
| Erzwingen einer Verhandlungslösung zeitweise einen gewissen | |
| Legitimationszuwachs. | |
| Hisbollahs zunehmende Schwächung besonders durch die Tötung hoher Kader | |
| destabilisiert Libanons kompliziertes Machtgleichgewicht der | |
| konfessionalistischen Parteien – mit unabsehbaren Folgen. Während | |
| vereinzelte politische Gegner dies feiern, drängen zivilgesellschaftliche | |
| Akteure auf gesamtgesellschaftliche Aushandlungsprozesse – auch, da sonst | |
| inter- und intrakonfessionelle Gewalt drohen könnte. Doch zuerst muss der | |
| Krieg beendet werden, den die breite Mehrheit der Bevölkerung nicht will. | |
| Israels Bombardements und der Einmarsch im Libanon treffen eine | |
| solidarische, aber von Katastrophen und Leid gebeutelte Gesellschaft. | |
| Bisher wurden über 2.000 Menschen getötet, darunter ganze Familien und über | |
| 100 medizinische Rettungskräfte, allein 40 in der vergangenen Woche. Diese | |
| Ausweitung des Krieges wird langfristig keine Sicherheit bringen, das haben | |
| die vergangenen Jahrzehnte gezeigt. | |
| Die Hisbollah scheint zu Verhandlungslösungen bereit zu sein. Es braucht | |
| daher umgehend neue, ernstgemeinte und am Völkerrecht orientierte | |
| diplomatische Anstrengungen für einen Waffenstillstand gerade westlicher | |
| Akteure wie Deutschlands und der USA, um das Leid zu minimieren, die Kriege | |
| zu beenden, Sicherheit herzustellen und Vertriebene sowie israelische | |
| Geiseln aus Gaza zurückzubringen. | |
| 8 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aktuelle-Lage-in-Nahost/!6034937 | |
| [2] /Krieg-in-Nahost/!5983308 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Altaner | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Libanon | |
| Israel | |
| Hisbollah | |
| Libanon | |
| Schwerpunkt Konflikt zwischen USA und Iran | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Israel Defense Forces (IDF) | |
| Hisbollah | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Angriff auf UN-Friedenstruppe im Libanon: Blauhelm-Soldaten verletzt | |
| Das israelische Militär beschießt im Süden Libanons auch Stützpunkte der | |
| UN-Friedenstruppe Unifil. Diese meldet zwei Verletzte. | |
| +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Blauhelme im Libanon beschossen | |
| Zwei Angehörige der UN-Beobachtermission Unifil sind durch israelische | |
| Schüsse verletzt worden. Netanjahu und Biden telefonieren nach Funkstille | |
| wieder. | |
| Lage im Libanon: Israel weitet Kampfzone aus | |
| Das israelische Militär plant einen Marine-Einsatz an der libanesischen | |
| Südküste. Die Bevölkerung fürchtet eine Besetzung. | |
| +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Zum Gedenken weiter Kämpfe | |
| Hisbollah schießt Raketen in die Nähe des Mossad-Hauptquartiers, Israel | |
| tötet weiteren Hisbollah-Kommandeur. Netanjahu zeigt sich siegesgewiss. | |
| Plädoyer im Nahost-Konflikt: Militärisch nicht lösbar | |
| Krieg ist für alle Beteiligten furchtbar und außerdem wenig zielführend. | |
| Frieden ist einzig mit Diplomatie machbar. | |
| Israels Offensive, Luftangriffe aus Iran: Wo soll das alles enden? | |
| Israels „begrenzte Bodenoffensive“ im Libanon birgt immense Gefahren. Nicht | |
| nur Iran steigt in den Krieg ein. Die Welt schaut ohnmächtig zu. | |
| Raketenangriff auf den Golanhöhen: Die Drahtzieher sitzen in Teheran | |
| An fünf Fronten kämpft Iran selbst oder über Handlanger gegen Israel. Ohne | |
| Teherans Zutun hätten Israel und Libanon längst Frieden schließen können. |