| # taz.de -- Die Wahrheit: Das Loch im dunklen Wald | |
| > Eigentlich ist es da draußen auf dem Land ziemlich ruhig. Aber seit | |
| > einiger Zeit bohrt der Nachbar einen sehr, sehr tiefen Brunnen. | |
| Gemächlich herbstelt es in der Waldhütte vor sich hin. Ringsum die Bäume | |
| sind wie die SPD. Noch stehen sie in Saft, Kraft und voller Blätterpracht. | |
| Aber es ist klar, dass der nächste Sturm das Gefingere ihrer Zweige bis | |
| aufs Skelett entkleiden wird. | |
| Desgleichen die Hornissen, nachdem ich ihnen sämtliche Früchte meines | |
| Apfelbaums überlassen habe. Auch ihre Zeit geht zu Ende, da erinnern sie | |
| mich an die Grünen. Im Licht der einzigen Funzel weit und breit | |
| verschwenden die Viecher nachts ihre Kräfte, vermutlich aus ideologischen | |
| Gründen. Tagsüber hocken sie dann depressiv im Schatten, statt sich um | |
| wichtigere Probleme zu kümmern und beispielsweise die Wespen von meinem | |
| Frühstücksbrot fernzuhalten. Wobei ich zuletzt sowieso kaum mehr im Freien | |
| bin. Denn der Nachbar gräbt ein Loch. | |
| Genau genommen ist es ein Brunnen, den er seit Wochen von einer | |
| Spezialfirma auf seinem Grundstück bohren lässt. Weil es im Wald keine | |
| Leitungen gibt, kommt Wasser entweder aus einer der zahlreichen Wolken | |
| gefallen – oder sprudelt aus einer der vielen Quellen hervor. Der Nachbar | |
| hat eine Zisterne für das gesammelte Regenwasser, und er hat eine Quelle. | |
| Weil er aber gern mit möglichst legionellenfreiem Tiefengrundwasser duschen | |
| würde, braucht er das Loch. | |
| Ich habe nichts gegen Löcher, einige meiner besten Freunde sind welche. Und | |
| vom Brunnenbau hatte ich bisher nur sehr vage Vorstellungen, irgendwas mit | |
| Wünschelruten und lachenden Kindergesichtern in Kenia. Die Wahrheit sieht | |
| anders aus. Vor allem klingt sie anders. | |
| Ich bin, dies vorweg, ein großer Freund ambienter Musik, von Brian Eno bis | |
| zum Dröhnen einer B-17-Bomberflotte auf Youtube – kann ich mir stundenlang | |
| anhören. Sogar beim Zahnarzt höre ich Interessantes. Brunnenbohren | |
| allerdings ist Ambiente für Fortgeschrittene. Grobkörniges Mahlen von früh | |
| bis spät. Wie eine Direktübertragung von Gottes Mühlen. Oder ein Hörspiel | |
| namens „Bürokratie“. Heiseres Knirschen also, begleitet vom sonoren Brummen | |
| des dieselbetriebenen Kompressors und unterbrochen nur von klirrenden | |
| Hammerschlägen, wenn irgendwo irgendwas klemmt. Es klemmt oft. | |
| Und es geht tief. Der Wald mit der Hütte drin liegt auf einem Berg. Bis zum | |
| Grundwasser ist es verdammt weit. Überdies sinkt sein tückischer Spiegel | |
| fortwährend, als wollte er sich vor dem Angezapftwerden wegducken. Also | |
| wurde gebohrt und gebohrt. Irgendwann bei rund 100 Metern wurde es auf der | |
| Baustelle plötzlich hektisch. Wasser, endlich? Mitnichten! Vielmehr waren | |
| 50 der 100 offenbar hochkomplexen Vulkangesteinmeter zerbröckelt, | |
| zerbröselt und eingestürzt. | |
| Seitdem ruhen die Arbeiten. Unklar ist, ob der Nachbar die 30.000 bereits | |
| im Loch versenkten Euro wird bezahlen müssen. Gemächlich klimawandelt es in | |
| der Waldhütte vor sich hin. | |
| 27 Sep 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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