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# taz.de -- Labour-Parteitag in Großbritannien: Regieren im Regen
> Beim Jahresparteitag kriegt Großbritanniens neue Regierungspartei viel
> Kritik ab. Aber noch ist für Labour nicht alles verloren.
Bild: Der britische Premier Keir Starmer beim Labour-Jahreskongress in Liverpoo…
Liverpool taz | Der Liverpooler Konferenzkomplex in der alten Hafengegend
platzt aus allen Nähten. Um die 20.000 Besucher:innen und Delegierten
strömen seit Sonntag zum [1][Parteitag der regierenden britischen
Labour-Partei], der am Mittwoch endet. Die Warteschlangen vor den
Sicherheitskontrollen sind lang, die Luft im oberen Stockwerk ist stickig
warm. Man muss früh kommen, um einen Platz zu finden.
„Change begins“ hat sich Labour dieses Jahr, wenige Monate nach dem
Wahlsieg, als Parteitagsmotto gegeben: Die Veränderung beginnt.
Draußen stehen der Schotte Peter Robinson, 70, sowie Sally Heywood, 72, und
John Barnes, 71, beide aus Nordwales, wortwörtlich im Regen. Labour lasse
10 Millionen Rentner:innen in der Kälte stehen, steht auf dem Schild,
das Robinson hochhält. Er bezieht sich auf die Entscheidung von
Finanzministerin Rachel Reeves, die sogenannte „[2][Winter Fuel
Allowance“,] eine Heizkostenbeihilfe für alle Rentner:innen, bis auf die
Bedürftigsten unter ihnen abzuschaffen.
Die drei im Regen sind Teil einer größeren Gruppe von etwa zwei Dutzend
Personen älteren Jahrgangs, die gegen die Streichung protestieren. „Es gibt
viele, die etwas über der Einkommmenschwelle stehen, unterhalb der
Sozialhilfe beantrangt werden kann. Diese Menschen wird es am härtesten
treffen. Wir gehören alle drei auch dazu“, sagt Robinson.
## Gewerkschaften gegen Parteiführung
Auf dem Parteitag sorgt die Heizkostenbeihilfe für Streit. [3][Unite], eine
der größten britischen Gewerkschaften, hat eine Abstimmung darüber
beantragt. Die soll nun aber erst am Mittwoch stattfinden – wenn zahlreiche
Delegierte vielleicht schon auf dem Heimweg sind. Statt die Beihilfe zu
streichen, solle der Staat lieber Menschen, die mehr als vier Millionen
Pfund (4,8 Mio Euro) besitzen, mit einer einprozentigen Reichensteuer
belasten, erklären Gewerkschaftsvertreter am Unite-Infostand der taz.
Für viel Kritik sorgt auch „Wardrobe Gate“. Premierminister Keir Starmer,
seine Frau Victoria, die stellvertretende Parteiführerin Angela Rayner, die
Finanzministerin Rachel Reeves und viele andere Minister haben sich
Klamotten, Urlaubsunterkünfte, Fußballspiele, Musikkonzertkarten und andere
Nettigkeiten im Wert von vielen tausend Pfund [4][spendieren lassen]. Die
71-Jahre alte Eileen Flanagan aus Putney in London fasst zusammen, was die
Basis dazu denkt: „Das ist, was die Tories 14 Jahre lang gemacht haben!“
Sie hofft, dass Labour während des Parteitags ein bisschen mehr Positives
zum Vorschein bringen lässt.
Bei Neil Mallett aus Luton, nördlich von London, er trägt seine
Lebensphilosophie auf einem roten T-Shirt mit dem Spruch „Kapitalismus sehr
schlecht“, hat Labour unter Starmer keine bessere Karten. Der 70-Jährige
ist seit seinem 18. Lebensjahr Parteigenosse. Heute, sagt er in der
Warteschlange, gebe es nichts, was ihn in der Partei halte. „Sie hat sich
vom demokratischen Sozialismus weg bewegt. Starmer hat dieses Jahr gegen
die Tories mit weniger Stimmen gewonnen als Corbyn im Jahr 2019 hatte, als
er gegen Boris Johnson verlor“, sagt er.
Öffentlich sieht das alles glatter aus. Finanzministerin Rachel Reeves wird
bei ihrer Rede am Montag zwar von zwei Klima-Aktivist:innen aus Protest
gegen Waffenexporte an Israel unterbrochen, erhält jedoch größtenteils
stehenden Applaus für den Rest ihrer Ansprache – ein erkennbares
erleichtertes Lächeln kommt bei ihr erst am Ende auf. Labour müsse zwar
harte Entscheidungen treffen, werde aber keine Rückkehr zur
Austeritätspolitik zulassen, sagt sie und listet soziale Vorhaben auf:
Frühstück für alle Grundschulkinder etwa. Aber das meiste wird sie erst am
30. Oktober bei ihrer ersten Haushaltsrede im Parlament verkünden.
Höhepunkt des Parteitags ist der Auftritt von Premierminister Keir Starmer
am Dienstag nachmittag. Zum Auftakt muss er seine Partei erst mal daran
erinnern, dass sie vor kurzem die Wahlen gewonnen hat. Kritik perle an ihm
ab wie Wasser an einer Ente, sagt er. Der Wandel habe begonnen, aber es
werde dauern und ein „schwerer Weg liegt vor uns“. Er mahnt: „Erst die
Wirtschaft stabilisieren“. Wirklich mitgerissen sieht das Publikum nicht
aus, es gibt mehr Stille als Applaus. Gejubelt wird erst, als Starmer sich
klar gegen Rassismus und rechte Gewalt ausspricht.
## Man sieht auch Positives
Echos der Hoffnung kommen auch aus zahlreichen Nebenveranstaltungen, aber
nicht unbedingt im Sinne der Regierung. Laura Mofatt, Vorsitzende der
Flüchtlingshilfsgruppe [5][Gatwick Detainees Welfare Group], welche
Abschiebehäftlinge unterstützt, dass noch nie so viele Personen Hilfe
angeboten hätten wie dieses Mal. Die Labour-Regierung hat eigentlich mehr
Abschiebungen angekündigt.
Der Labour-Abgeordnete [6][Peter Lamb], in dessen Wahlkreis das
Abschiebezentrum Brook House am Flughafen Gatwick liegt, sagt der taz, er
wisse noch nichts Konkretes über potenzielle Auslieferungen in neue
Drittländer wie Albanien – das soll einer der Pläne von Premier Starmer
sein.
Der ehemalige Gemeinderat Tariq Khan aus Tower Hamlets in London sieht im
Gespräch die neue Regierung positiv. So gäbe es Verbesserungen in der
Außenpolitik, etwa im Nahostkonflikt die Forderung nach einer Waffenruhe,
die Zweistaaten-Lösung und die Wiederaufnahme der Finanzierung von UNRWA.
„Das ist mehr als ich erwartet habe und geht in die richtige Richtung.“
Khan glaubt, dass Labour verlorenes Terrain zurückgewinnen kann – auch im
stark muslimischen Tower Hamlets, das von Keir Starmer deutlich weniger
begeistert ist als einst von Jeremy Corbyn. „Ich habe mich damals für
Labour schwer eingesetzt, aber wir haben unter Corbyn nicht gewonnen“, sagt
er. „Jetzt ist Labour an der Macht. Und darum geht es am Ende.“
24 Sep 2024
## LINKS
[1] https://labour.org.uk/annual-conference/
[2] https://www.gov.uk/winter-fuel-payment
[3] https://www.unitetheunion.org/
[4] /Teure-Geschenke-an-Labour-Spitzen/!6037967
[5] https://www.gdwg.org.uk/
[6] https://peterlamb.org.uk/
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
## TAGS
Großbritannien
Labour Party
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Keir Starmer
Schwerpunkt Rassismus
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