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# taz.de -- Landtagswahlen in Ostdeuschland: Dragana, Ivo, Markus und die Silke
> Auf Gruppenreise durch Dalmatien und Bosnien fragt sich unsere Autorin:
> Könnte Deutschland eine nachholende Balkanisierung erleben?
Bild: „Bissi krass hier“ in Bosnien. Traditioneller Tauchwettbewerb in Most…
Gruppenreise mit Deutschen durch Dalmatien und Bosnien. Dazwischen Wahlen
in Thüringen und Sachsen. Fragen die deutschen Reisenden, wie es zum
blutigen Ende Jugoslawiens kommen konnte, sind die Locals dran mit
Antworten. Der eine sagt Ökonomie, die andere Identität, dann gibt es noch
nachholende Nationalisierung, Sprache, Türkenkriege, historische Rache,
unaufgearbeitete Vergangenheit, die Dragana und den Ivo.
Fragen die Locals, [1][wie es zu Thüringen kommen konnte], sind die
deutschen Reisenden dran. Der eine sagt Ökonomie, die andere Identität,
dann gibt es noch Verlustängste, Russland, Wessis, allgemeine Weltlage, den
Markus und die Silke.
Es geht viel um die immer tiefer werdenden Gräben im ehemaligen Jugoslawien
und darum, dass trotz gleicher Sprache, gleicher Menüs, gleicher
Nachrichten immer weniger Menschen dazu bereit sind, sich offen den eigenen
Fehlern, Verbrechen und Irrwegen zu stellen. Ein Local sagt zu den
deutschen Reisenden: „Tja, das steht euch nun auch noch bevor.“
Eher ein Satz zur Überleitung ins Gesprächsende, aber er geht mir nicht
aus dem Kopf. Gibt es da wirklich irgendeine Parallele? Ist die deutsche
Einheit ähnlich gescheitert wie die unter dem Slogan „Brüderlichkeit und
Einheit“ zerfallende Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien?
Bereitet Thüringen die Unabhängigkeitserklärung vor? Wird Russland diese
Sezession mit Fake News und Waffen unterstützen? Oder tut es das sogar
bereits? Findet in Ostdeutschland derzeit eine nachholende Nationalisierung
statt, die in den 1990ern trotz aller Pogromstimmung ausblieb, weil man
sich letztlich vom Westen schlucken ließ?
Station in Mostar. Wie kann die EU so irre sein und die Bosnier nicht
aufnehmen? Die EU hat sich um dieses waghalsige Staatengebilde nie
geschert. Alle Jubeljahre kommt mal eine europäische Regierungspolitikerin
hier vorbei, wirft Blumen vor einem Denkmal ab und lässt ein paar
Notgroschen für ein bisschen Brot und Käse da.
## Frei drehende Gedanken
Mitten in diese zerklüfteten Gedanken trifft die Nachricht, dass ein Junge
in München [2][mit einer Waffe vor dem israelischen Konsulat]
herumgelaufen, geschossen haben und erschossen worden sein soll.
Es ist ein Junge aus Österreich, dessen Familie aus dem Nordosten Bosniens
stammt. Einer Gegend, die bekannt ist für ihre nach den 1990er-Kriegen hier
etablierten islamistischen Ausbildungs- und Feriencamps.Selten aber hörte
man beim Besuch europäischer Politiker in Bosnien: „Bissi krass hier. Wäre
Ihnen mit einem EU-Beitritt geholfen? Wir meinen jedenfalls, mit vereinten
Kräften wäre es möglicherweise einfacher, Terrorzellen zu überwachen, zu
identifizieren und für Menschen in Bosnien eine andere Vision zu finden als
die Erfüllung in der Scharia.“
Zurück zu Thüringen. Nicht ausgeschlossen, dass es in Westdeutschland
ebenfalls zu einer sezessionistischen Bestrebung kommt. Nicht etwa, weil
man AfD-Wähler und rechtsradikale Terrorzellen im Osten so ganz und gar
unappetitlich fände, sondern, weil – nicht zu Unrecht – behauptet werden
könnte: „Jahrzehntelang haben wir den Osten saniert, während bei uns
Brücken, Straßen und Häuser wegbröckeln – es reicht!“
Sicher sind das frei drehende Gedanken unter dem Eindruck einer Reise.
Nüchtern betrachtet glaube ich auch nicht, dass Deutschland unmittelbar vor
einem Sezessionskrieg steht.
Aber der Gedanke, Deutschland könnte eine nachholende Balkanisierung
erleben, hört sich nur für Westeuropäer absurd an. Für Menschen aus dem
ehemaligen Jugoslawien nicht. Die meisten von ihnen hätten noch am Tag vor
dem ersten Schusswechsel 1991 nicht geglaubt, dass dieser Staat wirklich
auseinanderfliegt.
8 Sep 2024
## LINKS
[1] /Wahlen-in-Sachsen-und-Thueringen/!6033620
[2] /Anschlagsversuch-in-Muenchen/!6035049
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
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