| # taz.de -- Ausländische Pflegefachkräfte: Aufbruch in ein neues Leben | |
| > Ausländische Krankenpfleger:innen sollen den Fachkräftemangel an | |
| > deutschen Kliniken beheben. Zwei von ihnen erzählen, was das für sie | |
| > bedeutet. | |
| Bild: Marouane Essoussi und Wala Zouaghi sind mit ihren Kindern in ein fremdes … | |
| Bremen taz | „Geh deinen eigenen Weg“, steht auf dem Schild in Pastelltönen | |
| über einem Schuhregal, darunter weitere aufmunternde Sprüche: „Sei mutig | |
| und trau dich“ zum Beispiel und „Entdecke die Welt“. Die Familie, die | |
| dieses Schild in ihrer Bremer Drei-Zimmer-Wohnung aufgehängt hat, braucht | |
| solche Aufforderungen nicht. Sie hat das alles längst getan. | |
| Im Juli 2022 zog der heute 40-jährige Marouane Essoussi aus der tunesischen | |
| Hauptstadt Tunis nach Bremen, [1][um hier als Krankenpfleger zu arbeiten]. | |
| Er kannte niemanden, Deutsch hatte er sich im Jahr zuvor selbst | |
| beigebracht. Ein Jahr nach ihm kamen seine Frau Wala Zouaghi, zwei Jahre | |
| jünger und ebenfalls Krankenpflegerin, und noch einen Monat später die | |
| beiden gemeinsamen Söhne, acht und zehn Jahre alt. Sie waren alle zum | |
| ersten Mal in Deutschland, sprachen und verstanden nur wenig oder gar kein | |
| Deutsch. | |
| An einem Nachmittag Ende August erzählen die beiden Erwachsenen, wie es | |
| war, die Sprache auf der Arbeit zu lernen, von Kolleg:innen und | |
| Patient:innen, aber auch von und mit Ulrike Frers, die bei dem Gespräch | |
| dabei ist. Seit fünf Jahren unterrichtet die langjährige Pflegepädagogin am | |
| Bremer Rot-Kreuz-Krankenhaus die ausländischen Pflegefachkräfte. | |
| [2][So lange schon wirbt die Klinik systematisch Pfleger:innen im | |
| Ausland an], als erste in Bremen. Wie überall in Deutschland fehlen auch | |
| hier Pfleger:innen in Krankenhäusern und Altenheimen. Die ausländischen | |
| Fachkräfte sollen helfen, die größer werdende Lücke zwischen Bedarf und | |
| Angebot zu schließen. Im Rot-Kreuz-Krankenhaus arbeiten derzeit 80 | |
| anerkannte Pflegefachkräfte aus 22 Nationen. | |
| „Wie schwer Deutsch ist, habe ich erst von meinen Schülern und Schülerinnen | |
| gelernt“, sagt Ulrike Frers, die neben Wala Zouaghi und Marouane Essoussi | |
| auf dem Ecksofa im Wohnzimmer sitzt. Es wirkt trotz der Möbel etwas karg, | |
| vielleicht, weil keine persönlichen Fotos oder Gegenstände zu sehen sind. | |
| „Wir sind noch dabei, uns einzurichten“, sagt Marouane Essoussi | |
| entschuldigend. Seit einem Jahr wohnen sie hier. Neben Kindern, Haushalt | |
| und Arbeit bleibt nicht viel Zeit für anderes.“ | |
| ## „Und manche sprechen auch noch Plattdeutsch!“ | |
| Nicht nur einmal sagt Ulrike Frers, wie groß ihre Hochachtung vor der | |
| Leistung dieser Menschen ist, sich auf den Weg in die Fremde zu machen, in | |
| der Regel mit sehr wenig Sprachkenntnissen, die sie sich dann in kurzer | |
| Zeit draufschaffen müssen. „Diese ganzen zusammengesetzten Nomen“ sagt sie | |
| „Desinfektionsmittelspenderhalter – wer soll denn das verstehen?“ Die | |
| andere Hürde seien umgangssprachliche Begriffe. Ein Patient habe zu einem | |
| Pfleger mal gesagt: „Ich brauche einen Topf“, als er eine Bettpfanne | |
| meinte. Der Pfleger habe den Topf ratlos in der Küche gesucht, bis der | |
| Patient ihm erklärte, dass er auf Toilette müsse. | |
| Marouane Essoussi, der neben Deutsch auch noch Arabisch, Englisch und | |
| Französisch spricht, lacht und erinnert sich an einen 90-jährigen | |
| Patienten, der einen Begriff für die Fernbedienung benutzte, den er nicht | |
| kannte. „Und manche sprechen auch noch Plattdeutsch!“ Dennoch seien die | |
| meisten Patient:innen wie auch die meisten Kolleg:innen geduldig, | |
| wenn sie ihm etwas erklären müssen, und würden sich Mühe geben, langsam zu | |
| sprechen. Für viele Patient:innen, glaubt Ulrike Frers, sei es eine gute | |
| Erfahrung, wenn sie den Pfleger:innen Hilfe zurückgeben können. | |
| Sprachkenntnisse sind aber nicht nur wichtig, um sich im hektischen | |
| Klinikalltag zurechtzufinden. Sie sind auch Voraussetzung dafür, dass die | |
| ausländischen Pfleger:innen die Prüfung zur examinierten Pflegefachkraft | |
| bestehen und voll eingesetzt werden können. Bis dahin sind sie als | |
| finanziell schlechter gestellte Pflegehelfer oder -helferinnen angestellt. | |
| Im Rot-Kreuz-Krankenhaus arbeiten sie nach einer zweiwöchigen | |
| Vorbereitungszeit vormittags und haben anschließend anderthalb Stunden | |
| Unterricht in der Kleingruppe. | |
| Dabei geht es in erster Linie um die Vermittlung der Fachsprache. „Die | |
| Fachkenntnisse sind nicht das Problem“, sagt Ulrike Frers, „die Leute sind | |
| hoch qualifiziert.“ Nur könnten sie das ohne entsprechende Sprachkenntnisse | |
| nicht unter Beweis stellen. Marouane Essoussi hat zum Beispiel 14 Jahre | |
| Berufserfahrung, den größten Teil als Anästhesiepfleger. Wala Zouaghi hat | |
| zwölf Jahre als Krankenpflegerin gearbeitet, zuletzt auf einer | |
| neurochirurgischen Station. | |
| ## Warten auf interessante Stellen | |
| Beide waren in einem Militärkrankenhaus tätig, in dem sie sich auch | |
| kennengelernt haben. Deshalb war es für sie keine Umstellung, die | |
| Körperpflege der Patient:innen zu übernehmen, die ansonsten in Tunesien | |
| wie in vielen anderen Ländern von Angehörigen geleistet wird. Im | |
| Militärkrankenhaus machen das die Angestellten. | |
| Dennoch würden beide gern wieder näher an ihrem ehemaligen Einsatzbereich | |
| arbeiten, in dem mehr medizinisches Handeln erforderlich ist. Marouane | |
| Essoussi ist seit März 2023 staatlich examinierter Krankenpfleger und | |
| wartet jetzt auf eine Stelle als Anästhesiepfleger. | |
| Seine Frau Wala Zouaghi hat ihre Krankenpflege-Prüfung noch vor sich. Ihre | |
| B2-Sprachprüfung hat sie bereits bestanden, kann Gesprächen auf Deutsch gut | |
| folgen. Sie fühlt sich aber nicht sicher genug, um in Alltagskonversationen | |
| das Sprechen zu üben. So bestreitet ihr Mann den größten Teil der | |
| Unterhaltung. Er hat nicht nur großen Ehrgeiz, sondern zudem den Vorteil, | |
| dass er ein Jahr allein in Deutschland war und sich ganz auf seinen Job und | |
| das Deutschlernen konzentrieren konnte. | |
| Wala Zouaghi hingegen hat parallel den Familienalltag mit zwei Kindern zu | |
| bewältigen, die beide viel Aufmerksamkeit brauchen. Deshalb arbeitet sie, | |
| anders als ihr Mann, nicht in der Klinik, sondern im Alten- und Pflegeheim | |
| der Bremischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz, bei der auch die | |
| Klinik-Pfleger:innen angestellt sind. Dort geht es ruhiger zu, die | |
| Körperpflege steht im Mittelpunkt, Abläufe wiederholen sich. | |
| ## Über Agentur vermittelt | |
| Die Idee, nach Deutschland zu gehen, hatte Marouane Essoussi, 2020 war das. | |
| Über eine in Deutschland ansässige Agentur wurde er an die Bremische | |
| Schwesternschaft vermittelt. Die rekrutiert die Mitarbeiter:innen | |
| mittlerweile selbst im Ausland, als eines von 57 Unternehmen in | |
| Deutschland, die das Prüfsiegel „Faire Anwerbung Pflege“ tragen. | |
| Auf diese Weise spart sie zum einen die Kosten für Vermittlungsagenturen – | |
| zum anderen hat sie mehr Einfluss auf die Auswahl der Personen und kann so | |
| besser sicherstellen, dass sie geeignetes Personal einstellt. Akquirieren | |
| muss die Schwesternschaft nicht mehr; die Leute melden sich aufgrund von | |
| Mundpropaganda von selbst. | |
| Er wollte wegen der Kinder weg aus Tunesien, erzählt Marouane Essoussi, | |
| „wegen ihrer Zukunft“. Deutschland sei ein sicheres Land, die Kinder | |
| könnten draußen spielen, es gebe Spielplätze und Parks. „In Tunis ist immer | |
| Stress“, sagt er. Hier hingegen sei die … „Wie heißt noch mal das Wort?�… | |
| „Die Lebensqualität?“, hilft Ulrike Frers. „Ja, genau, die ist hier viel | |
| höher, die Menschen sterben nicht so früh.“ Und er wisse, dass seine Kinder | |
| hier unabhängig vom Einkommen der Eltern gute Schulen und Universitäten | |
| besuchen können. Seine Frau habe zunächst nicht die Heimat verlassen | |
| wollen, sagt er, „aber jetzt ist sie sehr zufrieden“. | |
| Als ich Wala Zouaghi frage, ob das so stimmt, wiegt sie leicht den Kopf hin | |
| und her. Es sieht aus wie einerseits, andererseits. Dieselbe Kopfbewegung | |
| macht sie, als ihr Mann behauptet, die Kinder hätten keine Angst gehabt, | |
| ins Ausland zu gehen. „Doch, stimmt“, sagt er dann nach einem Blick zu ihr, | |
| „der Große hatte Angst.“ Die Freunde, aber auch die Oma würden die beiden | |
| Jungs vermissen. „Sie sind sehr eng mit meiner Mutter“, sagt Wala Zouaghi. | |
| ## Kinder leben sich noch ein | |
| Der Jüngere der beiden kommt während des Gesprächs immer mal wieder ins | |
| Zimmer, krabbelt zwischen seinen Eltern herum. „Er braucht viel Bewegung“, | |
| sagt sein Vater über ihn. Ich frage den Jungen, was ihm in Deutschland | |
| gefalle. Er antwortet nicht und guckt seinen Vater an. Als der ihm die | |
| Frage ins Arabische übersetzt hat, zuckt der Kleine mit den Schultern. | |
| „Sie sprechen noch nicht so gut Deutsch“, sagt Marouane Essoussi, in seiner | |
| Stimme schwingt Bedauern mit. In der Schule – sie gehen in die zweite und | |
| vierte Klasse einer Grundschule in der Nähe – würden sie vieles noch nicht | |
| verstehen, Verabredungen mit Mitschüler:innen habe es noch keine | |
| gegeben. „Das kommt alles noch“, beruhigt Ulrike Frers, das habe sie bei | |
| vielen zugezogenen Familien erlebt. | |
| Deutlich wird während des Gesprächs auch, wie wichtig | |
| Ansprechpartner:innen wie Ulrike Frers sind. Mit einer Kollegin bei | |
| der Bremischen Schwesternschaft hilft sie den Neuankömmlingen bei der | |
| Wohnungssuche und Behördengängen, hat ein offenes Ohr für Fragen und | |
| Probleme. Ihr mache das große Freude, sagt sie, die Neuankömmlinge seien | |
| motivierte Schüler:innen und engagierte Fachkräfte. Wala Zouaghi und | |
| Marouane Essoussi seien keine Ausnahme, sondern die Regel. Die geben das | |
| Lob zurück. „Ich bin ihr sehr dankbar“, sagt Marouane Essoussi mehrfach. | |
| Schließlich wäre er sonst ganz auf sich gestellt gewesen. | |
| Ein Jahr war er allein hier, bevor er seine Familie zu sich holen konnte. | |
| Er hat beide Ankunftsdaten sofort parat. „Natürlich weiß ich die noch!“ U… | |
| bei allem Willen, es hier zu schaffen, gibt er zu, dass die ersten Wochen | |
| hart gewesen seien. „Ich hatte Heimatweh“, sagt er. Nach zwei Monaten habe | |
| er ein tunesisches Café entdeckt und sich bei einer Fußballmannschaft | |
| angemeldet, das habe gegen die Einsamkeit geholfen. Ulrike Frers erinnert | |
| daran, dass er zudem mitten in der Pandemie ankam, als in der Klinik alle | |
| den ganzen Tag die Gesichtsmaske trugen. | |
| ## 150 Mails an Vermieter:innen | |
| Umso glücklicher sei er gewesen, als er endlich eine Wohnung gefunden | |
| hatte, sagt Marouane Essoussi. Alleinstehende kann die Bremische | |
| Schwesternschaft unterbringen, auch mal ein Paar, aber keine Kinder. „Fast | |
| alle haben Familie und wollen die hierher holen“, sagt Ulrike Frers. | |
| 150 E-Mails habe er verschickt, erzählt Marouane Essoussi, nur wenige | |
| Vermieter:innen hätten geantwortet, besichtigt habe er gerade mal ein | |
| gutes Dutzend Wohnungen. Er glaubt, dass er diese nur bekommen habe, weil | |
| der Vermieter wie er aus Nordafrika stamme, zudem Arzt sei. Er sagt dies | |
| ohne Wertung, beschwert sich über nichts und betont, wie zufrieden er mit | |
| allem sei, wie wohl er sich in Deutschland fühle, welch tolle Möglichkeiten | |
| Bremen Zugewanderten wie ihm biete. | |
| Dennoch wolle ihm niemand seiner ehemaligen Kolleg:innen folgen, trotz | |
| der besseren Absicherung und des höheren Gehalts. Die Sprache, die er | |
| wieder und wieder als „Schlüssel“ bezeichnet, sei für sie eine zu große | |
| Hürde. Und warum hat er es gewagt? „Ich bin sehr geduldig“, sagt er. | |
| 20 Sep 2024 | |
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| Eiken Bruhn | |
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