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# taz.de -- Bericht zum Brand von Grenfell Tower: Versäumnis, Inkompetenz, Tä…
> Der Untersuchungsbericht zum Hochhausbrand von 2017 mit 72 Toten listet
> schonungslos Mängel auf. Nun sind Politik und Justiz am Zug.
Bild: Grenfell Tower, London, 14. Juni 2017
London taz | „Nicht alle tragen das gleiche Ausmaß an Verantwortung für das
Desaster. Aber alle haben in der einer oder anderen Art dazu beigetragen –
meist durch Inkompetenz, aber in einigen Fällen durch Unehrlichkeit und
Gier:“ Mit scharfen Worten begann der ehemalige Richter Sir Martin
Moore-Bick am Mittwoch die Präsentation des Abschlussberichts der
[1][öffentlichen Untersuchung zum Londoner Hochhaus-Großbrand im
Sozialwohnblock Grenfell Tower] vor über sieben Jahren. Eine Mammutarbeit:
über 300 Anhörungen, um die 320.000 Dokumente, Gesamtkosten von mehr als
200 Millionen Euro.
72 Menschen, 18 davon Kinder, starben am Morgen des 14. Juni 2017 bei einem
Großbrand im 24-stöckigen, gerade fertig renovierten Hochhaus Grenfell
Tower, ein Block aus den 1970er Jahren. Sie alle erstickten an giftigen
Gasen und am Rauch, bevor viele von ihnen außerdem verbrannten.
[2][Die erste Phase der Untersuchung] hatte zweifelsfrei festgestellt, dass
das Feuer über die neue metallische Außenwand, die einfach an die alte
Betonwand drangesetzt worden war, in nur 18 Minuten aus dem Brandherd im
vierten Stock über 19 Stockwerke bis ans Dach stieg und sich dann um das
Haus herum entfaltete, dank der neuen Außendämmung und Fassade, die beide
äußerst brennbare Materialien enthielten.
Anweisungen der Rettungsdienste an die Bewohner, in ihren Wohnungen zu
warten, wurden für viele zum Todesurteil, denn als das ganze Gebäude
brannten, konnten sie weder hinaus noch Einsatzkräfte hinein.
Die erste Phase der Untersuchung behandelte den Brand an sich, die zweite
und letzte Phase die vorherigen Renovierungsmaßnahmen und die
Bergungsmaßnahmen und Umstände nach dem Inferno. [3][Auf über 1800 Seiten]
kann man nun jedes Detail nachlesen, darunter auch die Aussagen vieler
Überlebender.
## „Eine Aneinanderreihung von Fehlern über Jahrzehnte“
„Der Brand ist die Folge einer Aneinanderreihung von Fehlern der Regierung
und anderer Körperschaften über Jahrzehnte“, liest man im Bericht. Sie
seien ihrer Verantwortung nicht nachgekommen, insbesondere bezüglich der
Anwendung von brennbaren Materialien an den Außenwänden von Hochhäusern,
trotz mehrerer Vorfälle damit und Hinweisen parlamentarischer Ausschüsse.
In seiner Abschlusserklärung unterstrich Moore-Bick die Mängel: Eine
schlecht organisierte Ministerialabteilung, wo ein relativ niederer Beamter
allein die Verantwortung für die gesamte Feuersicherheit im Bauwesen trug
und wichtige Informationen nicht weitergab. Die Privatisierung der
zuständigen Behörde BRE (Building Research Establishment). Die Missachtung
von Hinweisen und Empfehlungen etwa der Gerichtsmedizin nach einem anderen
Hochhausbrand im Jahr 2009.
„Die Politik der Deregulierung dominierte die Regierung dermaßen, dass
selbst Anliegen, die mit dem Schutz von Leben zu tun hatten, ignoriert,
verzögert oder nicht beachtet wurden“, heißt es im Bericht. Eine robustere
Prüfstelle hätte verhindern können, dass Bauunternehmen bei Tests der
Tauglichkeit ihrer Materialien schummeln, oder hätte zumindest
Zertifizierungen überprüfen können.
Weitere Abschnitte behandeln das von der zuständigen Bezirksverwaltung
bestellte Management des Hochhauses, das die Sanierung von Grenfell Tower
in Auftrag gegeben hatte. Zum Anbau einer brennbaren Außenwand sei es aus
Kostengründen gekommen. Weder die Architekt:innen noch die Baufirmen
hätten ihre Pflichten verstanden oder beachtet und jeder habe die
Verantwortung für Feuersicherheit auf andere geschoben, heißt es. Die mit
der Endabnahme beauftragten Prüfer hätten keinen Endbericht verfasst und
dies sei auch nicht verlangt worden.
## Keir Starmer entschuldigt sich im Parlament
Nach hunderten Seiten voller Versäumnisse, Inkompetenz und Täuschung sind
die Empfehlungen des Untersuchungsberichts nahezu schlicht. Zentral sei die
Schaffung einer einzigen öffentlichen Prüfstelle, geführt von einer Person
mit klarem Zugang zum zuständigen Regierungsmitglied. Zusätzlich müsste
eine Art Chefberater:in für das Bauwesen eingeführt werden, welche die
Regierung beraten und die Industrie überwachen kann.
Sir Martin Moore-Buck beendete seine Präsentation mit dem Vorlesen der
Namen aller 72 Opfer.
Die Überlebendenorganisation [4][Grenfell United] nennt den
Untersuchungsbericht einen wichtigen Schritt Richtung Wahrheit,
Gerechtigkeit und Veränderung. Der Bericht zeige, dass im Vereinigten
Königreich Amateure sich als Experten verkaufen und so unzählige
Menschenleben gefährden könnten. Es sei wichtig, dass die Regierung nun
Menschen vor Profit stellen. Grenfell United forderte, dass die zuständigen
Hersteller Arconic, Kingspan, Celotex und das Bauunternehmen Rydon keine
Staatsaufträge mehr erhielten und dass es nun strafrechtliche Konsequenzen
gibt.
Der neue Labour-Premierminister Keir Starmer [5][reagierte umgehend im
Unterhaus]. In Anwesenheit einiger Überlebender und Angehöriger
entschuldigte er sich im Namen der Regierung und sagte, er trage die
Verantwortung für die Bauaufsicht. Er werde alle 58 Empfehlungen einsehen
und in sechs Monaten beantworten. Alle Regierungsämter und Behörden seien
angewiesen, nicht mit den im Bericht erwähnten Unternehmen zu arbeiten oder
ihnen Aufträge zu geben.
Alle 1,5 Millionen geplanten neuen Sozialwohnungen würden mit den höchsten
Sicherheitsstandards gebaut werden, versprach Starmer, und verbleibende
brennbare Außenfassaden würden rasch abgebaut. „Wir werden den
Generationswechsel in Sicherheit und Qualität für alle in diesem Land im
Namen der Erinnerung an Grenfell liefern“, sagte er.
## Polizei übergibt Ermittlungsergebnisse
Der nächste Schritt ist nun die strafrechtliche Verfolgung der
Verantwortlichen für den Brand. Die Londoner Polizei hatte immer angegeben,
dass dies erst nach Ende des Untersuchungsausschusses beginnen könne, dass
jedoch Ermittlungen parallel zur Untersuchung laufen.
Der zuständige Polizeibeamte Stuart Cundy sagte, die Akten würden nun der
Staatsanwaltschaft übergeben. Insgesamt 180 Beamte seien beteiligt gewesen,
19 Unternehmen oder Organisationen und 58 Personen seien strafverdächtig.
Neben Befragungen von 50 Personen sammelte die Polizei 27.000 Teile zur
forensischen Untersuchung in einer 635 Quadratmeter großen Halle, darunter
Teile der Außenabdeckung und Dämmung. Mit dem Ende der Beweisauswertung
wird nicht vor Ende 2026 gerechnet.
4 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.grenfelltowerinquiry.org.uk/
[2] /Brand-im-Grenfell-Tower/!5637560
[3] https://www.grenfelltowerinquiry.org.uk/
[4] https://grenfellunited.org.uk/
[5] https://x.com/Keir_Starmer/status/1831307455738905081
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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