Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unterwegs in Thüringen: Wärme tanken in Königsee
> Auf dem Land in Thüringen werden Tankstellen zum sozialen Treffpunkt.
> Cafés gibt es oft nur in Städten. Busse fahren einmal am Tag. Ein
> Ortsbesuch.
Bild: Die Autorin findet während einer Wanderung einen sozialen Ort da, wo sie…
Es ist ein kalter Sonntag im Februar und ich bin zu Fuß durch Thüringen
unterwegs. Eine Woche wandere ich allein vom Thüringer Wald bis nach
Chemnitz für das Projekt „Climate Walk“, um von Menschen zu hören, wie sie
in ihrem Alltag den Klimawandel wahrnehmen.
Den Wald habe ich hinter mir gelassen. Vor mir breitet sich die Kleinstadt
Königsee aus. Der Schnee glitzert im Sonnenlicht. Hier endet meine
Wanderung für heute. Allerdings war keine Unterkunft in Königsee mehr frei.
Deswegen plane ich, mit dem Bus nach Rudolstadt zu fahren und morgen früh
zurückzukommen, um dann weiterzuwandern. Vorsorglich hatte ich
nachgeschlagen, wann der letzte Bus sonntags fährt: 18 Uhr. Noch vier
Stunden.
Ich schlendere durch den Ort und hoffe, etwas zu essen zu finden. Doch die
Gasthäuser sind entweder geschlossen oder haben noch nicht geöffnet.
Schließlich finde ich die Bushaltestelle und überprüfe den Fahrplan. Dabei
stelle ich fest, dass der Bus um 18 Uhr nicht nur der letzte, sondern auch
der einzige ist, der heute noch fährt.
Und jetzt? Die Temperaturen liegen unter null, und mir wird schnell kalt.
Ich beschließe, mich in Bewegung zu setzen, um unterwegs etwas Wärme zu
finden. Meine Rettung erscheint bereits am Ortsausgang: Dort leuchtet das
Schild einer offenen Tankstelle auf. Tankstellen verbinde ich mit
Benzingeruch, überteuerten Snacks, zugiger Luft – ein Ort zum Weiterziehen.
Aber heute ist es besser als nichts. Eine Frau steht hinter der Theke.
## Autofahren, mit besserem Gewissen
Ich bestelle eine heiße Schokolade und frage, ob ich hier eine Weile auf
den Bus warten kann. „Gar kein Problem“, meint die Verkäuferin. Also stelle
ich mich an einen freien Stehtisch, nippe an meinem Kakao und beobachte das
Kommen und Gehen. Ich höre die vorbeifahrenden Autos, das Klappern der
Kaffeemaschine, an der die Verkäuferin hantiert. Und zum ersten Mal wird
mir bewusst, dass die Tankstelle hier eine ganz andere Bedeutung hat als in
meiner „Großstadt“ Erfurt.
Ein Vater mit seinen Kindern kauft ein paar Brötchen für den Abend. Eine
Gruppe junger Männer trifft sich hier auf ein Bier. Ein älterer Mann
erzählt, dass es seinem Hund wieder besser geht. Menschen kommen und gehen,
ein paar wenige kommen zum Tanken, die meisten für etwas zu Essen, noch ein
paar Zigaretten oder zum Quatschen. Im Ort ist nichts los. Auch die
Servicekraft und ich unterhalten uns lange. Ich erzähle von dem
Klimaprojekt, das mich heute hierhergebracht hat. Sie sagt, dass sie an den
menschengemachten Klimawandel glaube, aber dennoch der Politik und den
Medienberichten gegenüber skeptisch sei.
Sie erzählt von ihrer Arbeit und wie der Ölkonzern Shell etwa 1,1 Cent pro
Liter auf den Preis aufschlägt, um damit Aufforstungsprojekte zu
finanzieren. So könnten die Leute weiter Auto fahren und sich trotzdem gut
fühlen, sagt sie. Die Kampagne, von der sie spricht, wurde tatsächlich 2020
von Shell ins Leben gerufen und wirbt damit, dass jeder Extracent in die
Pflanzung von Bäumen fließen soll. Fachleute und Umweltverbände sehen das
mindestens genauso kritisch wie die Verkäuferin, da so kein CO2 eingespart
wird und die Leute genauso viel Auto fahren, nur mit besserem Gewissen.
Insgesamt, erklärt sie, hätten die Leute hier ganz andere Sorgen als die in
der Stadt. Ein Beispiel: Ihre Schicht dauert heute bis 21 Uhr. Wie ich
gerade selbst festgestellt habe, fährt dann kein Bus mehr. Sie braucht ihr
Auto, um nach Hause zu kommen. Jetzt, wo ich selbst stundenlang auf den Bus
warten muss, verstehe ich diese Lebensrealität plötzlich viel besser.
## Gar nicht mal so trostlos
Dass ich ausgerechnet an einer Tankstelle, einem Sinnbild des fossilen
Zeitalters, eine der angeregtesten Unterhaltungen auf dieser Wanderung über
die Klimakrise führen würde, habe ich nicht erwartet. Und genau das wollte
ich: verschiedenen Menschen begegnen und ihre Perspektiven zum Klimawandel
kennenlernen.
Normalerweise empfinde ich Tankstellen als trostlos. Die Gastfreundschaft
der Region habe ich oft als eher zurückhaltend erlebt. Inzwischen ist es
kurz vor sechs. Draußen ist es dunkel geworden. Ich packe meine Sachen,
verabschiede mich und verlasse die Tankstelle, die mir an diesem kalten
Februartag unerwartet viel Wärme geschenkt hat.
Als 27 Jahre alte Erfurter Puffbohne kullert Nina Kolarzik durch die
Weltgeschichte und kehrt immer wieder zu dem Vertrauten und den Abenteuern
in der Heimat zurück. Mag keinen Senf und gleicht dies mit einer Vorliebe
für Klöße und Viba Nougat wieder aus.
22 Aug 2024
## AUTOREN
Nina Kolarzik
## TAGS
Jugend vor den Ostwahlen
taz Panter Stiftung
Jugend
Thüringen
Klimajournalismus
Social-Auswahl
Jugend vor den Ostwahlen
Jugend vor den Ostwahlen
Jugend vor den Ostwahlen
Jugend vor den Ostwahlen
Jugend vor den Ostwahlen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Thüringer NachwuchsautorInnen in der taz: Bratwurstland ist abgebrannt!
In einer Sonderbeilage schreiben junge Autor:innen nicht über, sondern
aus Thüringen. Ihre Texte werden in diesem Schwerpunkt gesammelt.
Junge Menschen und die DDR: Um Einheit steht’s 3/4 zwölf
Unser Autorin ist 2005 geboren, 16 Jahre nach dem Mauerfall und dem Ende
der DDR. Warum sie trotzdem Ossi ist.
Queere Community in Thüringen: Bitte CSD statt AfD!
Queeres Leben hat in Thüringen wenig Platz. Die CSDs sind für die
Organisator:innen Lichtblicke und Zeichen für Vielfalt.
Jugend verlässt Thüringen: „Gehen war nie eine Option“
Thüringen wird älter, weil die Jugend nicht bleiben will. Die 24-jährige
Geraer Alina Walosczyk hat ihren Heimatort bewusst nie verlassen. Ein
Porträt.
Pay Gap zwischen Ost und West: Der Ostdeutsche ist abgehängt
Mehr als nur Klischee: Zwischen Ost und West besteht nach wie vor ein
großer wirtschaftlicher Unterschied. Kommentar einer jungen Thüringerin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.