# taz.de -- Olympia im TV: Ein Fest der Diversität | |
> Paris produziert Bilder, die welthaltiger sind als jede | |
> Nachrichtensendung. Dazu gehören die Körper und das Staunen über die | |
> Leistung der anderen. | |
Bild: Norwegens Ringerin Grace Jacob Bullen gegen ihre tunesische Konkurrentin … | |
Tag 15 dieser Olympischen Sommerspiele, auf dem Screen hat gerade das | |
Freiwasserschwimmen der Männer begonnen. Ich gucke das zwei Stunden lang, | |
am Ende gewinnt der ungarische Favorit, während der favorisierte Deutsche | |
unter „ferner kraulten“ landet und die nicht so favorisierte Silbermedaille | |
gewinnt. | |
Seit zwei Wochen erlebe ich puren [1][Fernsehgenuss]. Ich bin Sportnerd. | |
Nehme niemanden ernst, der oder die da sagt: Ach, Sport geht mir am A*sch | |
vorbei, und verachte alle, von denen ich höre: Ja, die Eröffnungsfeier!, um | |
dann nach näherem Nachfragen festzustellen, dass sie die doch nur in den | |
zusammenfassenden Nachrichten erlebt haben. Oder die sagen: Oh, ich gucke | |
so gern dies und das, etwa Fußball, bei Weltmeisterschaften. Das sind | |
Leute, die ein Glas immerhin leicht obergärigen Traubensafts für Wein | |
halten möchten und glauben, damit schon an einer Frivolität teilzuhaben. | |
Ich gehöre zu den echten Bekloppten, [2][die auf der Couch,] auf dem PC | |
oder im Smartphone Sportereignisse begleiten – immer live den Augenblick | |
der Zeiten und Weiten, der Fehler und Aktionen des | |
Über-sich-Hinauswachsens genießend. Wenn in den Hauptkanälen ARD und ZDF | |
gerade wieder Nachrichtensendungen die Olympiaberichterstattung zu | |
unterbrechen drohen, wird in die Livemediathek umgeschaltet. | |
## Von morgens bis Mitternacht | |
Sinneseindrücke sind möglich wie: Ach, Pakistaner können so weit den Speer | |
werfen? Eine indonesische Kletterin fliegt in höchste Höhen? Ein Mann aus | |
Senegal, Yves Bourhis sein Name, kämpft sich durchs Wildwasser? Toll, fast | |
im Medaillenrang. Von morgens bis Mitternacht Fernseher einschalten – und | |
Olympisches gucken. Dauerschleife überall, offiziell-politische Nachrichten | |
bleiben im Blick, aber, sorry, sind nicht im Mittelpunkt. | |
Ich lege mich fest: Paris ist das schönste olympische TV-Fest aller Zeiten. | |
Die Bilder der Stadt sind sensationell in Szene gesetzt, das | |
Organisationsteam hat alles, abgesehen von gewissen Zeiteneinblendungen, | |
die gelegentlich irrig ausfallen, in ein Konzept gegossen, das auch ein | |
alternatives Herz erfreuen muss. | |
Beispielsweise eröffneten ehemalige Sportler, nicht nur französische, die | |
Wettkämpfe mit dem dreimaligen Klopfen mit einem Holzstab; Volunteers | |
standen wie beim Triathlon auf einer der schmucken Brücken der Stadt und | |
hielten ein Siegesband parat; und dann natürlich die Glocke im | |
Olympiastadion, die die Siegerinnen* ihrer Disziplinen begongeln dürfen, | |
die Namen der Goldmedaillengewinnenden werden hernach eingraviert, die | |
Glocke dann in der bald wieder zu eröffnende Kathedrale Notre-Dame | |
aufgehängt. | |
Es ist nicht so, dass ich nicht wüsste, wie problematisch Olympische Spiele | |
sind. Der Kapitalismus an sich, die Geldverschwendung, das Zelebrieren von | |
Körperkult, die Gerüchte und Nachweise zur Korruption des IOC, Ausrichter | |
des größten globalen Spektakels überhaupt, außerdem der Nationalismus, | |
mindestens die nationalen Brillen, die zu bemeckern wären, vielleicht sogar | |
sind. In Wahrheit aber ist mir das egal. | |
Die gut 300 Medaillenwettbewerbe liefern ein Bild von der Welt, wie es | |
sonst keine Nachrichtensendung vermag. Menschen, die so unterschiedlich | |
aussehen, so unterschiedlich auf Siege und Niederlagen reagieren. Alle | |
haben sie sich angestrengt, um beim Fest der körperlichen Anstrengungen | |
schlechthin dabei zu sein. Dass dieses Event den Beweis erbringt, eines der | |
Geschlechterparität zu sein, und dass das Kritteln an Kopftuchfrauen oder | |
am Fehlen der religiösen Kopfbedeckung keine Wahrnehmungshaken von Empörung | |
oder Aufregung mehr bieten: beeindruckend. | |
## Panoptikum der Welt | |
Olympia in Paris – das ist auch ein Panoptikum der Welt. Wir sehen zwar | |
immer nur Ausschnitte, aber die haben mehr Welthaltigkeit als die | |
strukturell immer kummervollen Beiträge in politischen Sendungen. | |
Im Übrigen, weil beim Schreiben dieses Textes nebenbei ein | |
Tischtennismatch mit dem jungen Franzosen Félix Lebrun läuft: Volle | |
Sixpacks bieten körperlich nun echt nicht alle, kleine bis große unstraffe | |
Bäuche stehen Medaillenträumen nicht im Weg. | |
Olympische Spiele sind wie Drogen auch bei der Rezipientenschar. Man nimmt | |
Anteil an [3][Stars und Sternchen, Simone Biles,] Malaika Mihambo oder | |
dem deutschen Schwergewichtsboxer Nelvia Tiafack aus Köln, der erst vor | |
wenigen Jahren mit Mutter und Vater aus der alten Heimat fliehen konnte, | |
der in Köln lebt und offenbar längst diese gewisse rheinischen Neigung zum | |
Frohsinn versprüht. | |
Die Bronzemedaille zu gewinnen war heldisch, und wir hatten Anteil an | |
seiner Geschichte, die mehr über das Deutschland von morgen aussagt als die | |
gestrauchelten Hockeymänner, die, schnöselig sich allen überlegen wähnend, | |
von den Niederländern bezwungen wurden. | |
Mithin sind auch diese Spiele Bildersequenzen von einer Welt, wie sie sein | |
könnte. Kompetitiv, im regelbasierten, nichtkriegerischen Fight mit- und | |
gegeneinander. Eine utopiesättigende Sehlust. Am Sonntagabend ist damit | |
leider Schluss. Olympia zu Ende. Einzig die Aussicht auf die Olympischen | |
Winterspiele 2026 in Mailand kann darüber hinweghelfen. | |
10 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zdf.de/sport/sport-relive-ganzes-komplettes-spiel-verpasst-100.… | |
[2] https://www.sportschau.de/ | |
[3] /Mental-Health-bei-Olympia/!6022875 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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