# taz.de -- Kinotipp der Woche: Eine Straße | |
> Zwischen Anwohnerinitiativen, Immobiliengeschäften und lokaler Politik: | |
> Zwei Franzosen werfen einen lakonischen Blick auf einen Kiez in | |
> Weißensee. | |
Bild: „Gustav-Adolf-Straße, Berlin“ (R/K: Tawan Arun, Joris Rühl, D 2024) | |
Während der Leierkasten die Melodie der „Berliner Pflanze“ tutet, füllt | |
sich der Caligari-Platz vor der Brotfabrik allmählich mit Ständen. Es ist | |
Straßenfest in der Gustav-Adolf-Straße in Weißensee, unermüdlich | |
organisiert von der Interessengemeinschaft Weißenseer Spitze (IGWS). | |
Am Rande des Festes befragen die beiden Filmemacher Joris Rühl und Tawan | |
Arun alte und neue Anwohner_innen der Straße. 2013 haben die beiden im Zuge | |
der Gentrifizierung einen Büroplatz in der Straße gefunden und den | |
Kennenlernprozess mit der Kamera begleitet. | |
Nach dem Fest trägt die IGWS, eine Selbstorganisation von Anwohnenden und | |
Geschäftsinhaber_innen eine Idee an die beiden heran: „Gerne hätten wir in | |
dieser ganzen Sache unsere Rolle als Dokumentarfilmer, also letztlich als | |
Zuschauer, beibehalten. Aber nachdem sie uns immer wieder bei ihren | |
Vorbereitungstreffen für das Fest gesehen hatten, waren die Mitglieder der | |
IG Weißenseer Spitze auf eine Idee gekommen, der wir selbst immer sorgsam | |
aus dem Weg gegangen waren: Wir könnten doch einen kleinen Film über die | |
Vergangenheit der Gustav-Adolf-Straße drehen.“ | |
Das Ergebnis, der Dokumentarfilm „Gustav-Adolf-Straße, Berlin“, läuft | |
aktuell noch und nach den Ferien im September weiter im Kino der | |
Brotfabrik. | |
Nordöstlich des S-Bahnhofes Prenzlauer Allee gelegen, verbindet die Straße | |
den Hamburger Platz im Nordosten mit dem Caligari-Platz im Südwesten. Im | |
Norden liegt die Kunsthochschule Weißensee in der Nähe, um den | |
Caligari-Platz gruppieren sich die Brotfabrik und das ehemalige Kino | |
Delphi, heute Kulturort. | |
Dazwischen erinnern sich Bewohner_innen an die Vergangenheit der Straße als | |
lokale Einkaufsstraße, die bis in die DDR überdauerte, beschwören in der | |
älteren Generation Stereotype von Ost und West und konstatieren in der | |
jüngeren Generation den Kaufkraftunterschied zwischen alteingesessener | |
Bevölkerung und ehemaligen Bewohner_innen des Prenzlauer Bergs, die auf der | |
Flucht vor Mietsteigerungen hier gelandet sind. | |
In der Straße stehen – wie die Regisseure im Kommentarton formulieren – | |
zwei Bilder nebeneinander: „das einer vormals prosperierenden Straße, die | |
durch die wirtschaftliche Veränderung in einen unerbittlichen Niedergang | |
hineingezogen wurde und das Bild einer Straße, die über handfeste Argumente | |
für die Immobilienentwickler und später eine neue Wohnbevölkerung verfügt.�… | |
Jörg Fügmann von der Brotfabrik sieht es so, dass die Straße und Teile der | |
Umgebung, die Phase einer „urbanen Entwicklung mit Kunst, mit Wildheiten, | |
mit Besetzungen“, die viele Gegenden Berlins seit dem Fall der Mauer | |
durchlaufen haben, übersprungen hat und direkt zum | |
Immobilieninvestorenparadies geworden ist. | |
„Gustav-Adolf-Straße“ ist ein semiprofessioneller Dokumentarfilm, bisweilen | |
etwas kleinteilig und ohne formale Überraschung gestaltet, eben darin aber | |
eine sehr anschauliche Mikrostudie einer Entwicklung. Manchmal hätte man | |
sich gewünscht, dass die Filmmacher in ihren Wertungen etwas mehr Willen zu | |
Komplexität gezeigt hätten, aber auch diese Schlichtheit tut dem Film | |
letztlich keinen Abbruch. | |
„Gustav-Adolf-Straße“ zeigt Stadtentwicklung, historische Entwicklung und | |
lokale Politik als so kleinteilig, mühselig, langsam im Wandel wie sie nun | |
mal ist. Und eben darin ist der Film uneingeschränkt zu empfehlen. | |
7 Aug 2024 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
## TAGS | |
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