# taz.de -- Die Wahrheit: Die heimliche Täuferin | |
> Ausgerechnet bei einem der übelsten Moralprediger ganz Irlands will die | |
> Schwiegermutter die Kinder insgeheim mit Christenwasser besprenkeln | |
> lassen. | |
Meine Kinder kommen später in den Himmel. Fionn und Ciara sind die | |
meistgetauften Menschen in Irland. Es fing in der Grundschule an. Meine | |
Schwiegermutter Annie, eine strenge Katholikin, war mit der Frau, die in | |
der Schule putzte, befreundet. Sie sollte in Annies Auftrag heimlich im | |
Klassenbuch nachsehen, was unter „Religion“ eingetragen war. „Ein Strich�… | |
berichtete sie entsetzt. So kam es zur ersten von mehreren Nottaufen an der | |
Küchenspüle. | |
Zwar kann eine solche Taufe von jedem Katholiken und sogar von jedem | |
Menschen guten Willens vorgenommen werden, heißt es auf Kathpedia, dem | |
katholischen Wikipedia, aber Annie wollte auf Nummer sicher gehen, denn auf | |
der Webseite hieß es weiter: „Möglichst sollte sich eine kleine | |
Taufgemeinde zusammenfinden, und auch Paten sollten anwesend sein. Nach | |
Möglichkeit wird hier ein kleiner Taufgottesdienst gefeiert.“ Das war | |
natürlich nicht möglich, denn wir Ungläubigen durften davon nichts wissen. | |
So schlug Annie vor, die Kinder offiziell taufen zu lassen. Sie kenne einen | |
netten Pfarrer, Michael Cleary hieß er, und er habe sich bereiterklärt, die | |
Urkunden gegen eine Gebühr auf ein Datum kurz nach der Geburt | |
zurückzudatieren. Wen man denn damit täuschen wolle, fragte ich: „Sollen | |
sie Gott den gefälschten Schein unterjubeln, wenn sie im Himmel ankommen?“ | |
Pfarrer Cleary war ein Meister der Täuschung. Er war ein besonders | |
reaktionärer Moralprediger und verteufelte unter anderem außerehelichen | |
Geschlechtsverkehr. Nach seinem Tod erklärte seine Haushälterin, dass er | |
der Vater ihrer beiden Kinder sei. | |
Cleary hatte einen beeindruckenden Auftritt in dem Film „The Rocky Road To | |
Dublin“ von Peter Lennon und Jean-Luc Godards Kameramann Raoul Coutard: Der | |
Pfarrer, der seine eigene Fernsehtalkshow hatte, stand in einem | |
Achtbettzimmer auf der Entbindungsstation des Rotunda-Krankenhauses und | |
sang aus vollem Hals das Lied „Chattanooga Choo Choo“, zu dessen Melodie | |
Udo Lindenberg den „Sonderzug nach Pankow“ dichtete. Die Neugeborenen waren | |
weniger beeindruckt von Cleary als der DDR-Chef Erich Honecker von | |
Lindenberg. Die Babys, darunter Bono, der später die Popkapelle U2 | |
gründete, waren dermaßen traumatisiert, dass sie später musikalisch auf die | |
schiefe Bahn gerieten. | |
Von Cleary wollten wir unsere Kinder jedenfalls nicht taufen lassen, wir | |
lehnten das Angebot der frommen Urkundenfälschung dankend ab. Es nützte | |
aber nicht viel, denn ein anderer Pfaffe bemächtigte sich der Kinder, als | |
Annie mit ihnen ein Wochenende in ihrem Heimatdorf Timahoe verbracht hatte. | |
Es kam heraus, weil Annie Monate später mit uns nach Timahoe fuhr. Als der | |
lokale Priester über den Dorfanger lief, meinte die Schwiegermutter: „Schau | |
mal, da ist ja Father John, der Fionn und Ciara getauft hat.“ Und nach | |
einer Pause: „Ups.“ | |
8 Jul 2024 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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