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# taz.de -- Kritik an G7-Gipfel: Viel relevanter als ihr Ruf
> Kritik an der G7 gibt es mehr als genug. Doch die kleine Gruppe ist
> effektiv und ihre Legitimität höher einzustufen als die anderer Clubs.
Bild: Suchen nach Lösungen: der G7-Gipfel in Borgo Egnazia, Italien, am Donner…
Kritik an der G7 ist hartnäckig und macht sich an drei Punkten fest.
Erstens an ihrem Gestaltungsanspruch: In einer globalisierten Welt mit
annähernd 200 Ländern mutet der Anspruch einer Splittergruppe von gerade
mal sieben Staaten seltsam unzeitgemäß an. Daran schließt der zweite
Kritikpunkt an: Die G7 sei gar nicht so bedeutsam, stattdessen liege
Gestaltungsmacht zunehmend bei repräsentativeren, ergo legitimeren Gruppen
wie der G20. Schließlich wird moniert, dass die G7 zur Spaltung der
internationalen Gemeinschaft beiträgt und Gegenmachtbildung provoziert, die
sich etwa in der BRICS-Gruppe um China und Russland sammelt.
Die Kritikpunkte beziehen sich also auf mangelnde Legitimität wie auch
Effektivität sowie das Polarisierungspotenzial der G7. Diese Vorwürfe gehen
jedoch fehl, misst man sie daran, wie andere Staatengruppierungen die
genannten Kriterien erfüllen.
Fast 50 Jahre nach ihrem ersten Gipfeltreffen ist die G7 bedeutsamer denn
je für die politische Abstimmung von sieben führenden Industrienationen.
Maßgeblich dafür sind drei Merkmale internationaler Politik. Erstens gibt
es mehr wichtige Mitspieler auf globaler Ebene. Staaten wie China oder
[1][Indien] sind viel relevanter als vor 50 Jahren. Aber auch Unternehmen
und gesellschaftliche Kräfte wie die Umweltbewegung haben an Bedeutung
gewonnen. Parallel zur wachsenden Komplexität internationaler Politik
steigt der Konsultations- und Koordinierungsbedarf.
Zweitens treten globale Herausforderungen immer deutlicher hervor. Dazu
zählen Klimawandel und Artensterben genauso wie politische
Herausforderungen durch Migration, soziale Ungleichheit oder bewaffnete
Konflikte und Terrorismus. Drittens schließlich ist die Globalisierung in
eine tiefe Krise geraten, die sich anhand der Stichworte Coronapandemie,
Russlands Aggressionskrieg und Trump illustrieren lässt. Corona
demonstrierte, wie anfällig internationale Produktions- und
[2][Lieferketten] sind, wenn unvermittelt Grenzen geschlossen werden.
Russlands Aggressionskrieg hat gezeigt, dass die Hoffnung auf politische
Annäherung durch wirtschaftliche Verflechtung trügen kann. Trump
schließlich steht exemplarisch für Nationalismus statt internationaler
Kooperation.
## G7 hat bessere, weil freiere Beratung
In diesem geopolitischen Umfeld, das von ideologischer Deglobalisierung
geprägt ist, gewinnt die G7 an Bedeutung als wichtiges Forum, in dem sich
demokratische Staats- und Regierungschefs aus Asien, Amerika und Europa
über politische Maßnahmen von internationaler Relevanz abstimmen können.
Dabei unterscheidet sich die Art und Weise, wie die G7 arbeitet, von
alternativen Club-Formaten wie G20 und BRICS. So wird der Input von
nichtstaatlichen Akteuren gesucht und gefördert. Die G7 ist mit einer
Vielzahl von Engagementgruppen im Austausch, die dafür sorgen, dass
Anliegen aus Gesellschaft und Wissenschaft, von Frauen und Jugendlichen,
aber auch aus der Wirtschaft in die Beratungen einfließen.
Diese Gruppen können sich frei von staatlicher Bevormundung organisieren.
Das ist in etlichen G20-Mitgliedern wie China, Russland und Saudi-Arabien
kaum möglich, genauso wenig in vielen BRICS-Staaten, zu denen etwa
[3][Iran] und [4][die VAE] gehören.
## Sehr effektiv bei der Unterstützung der Ukraine
Zudem legt die G7 erheblich offener Rechenschaft ab als die beiden
Alternativen. So wird regelmäßig überprüft, inwieweit die
Selbstverpflichtungen auch umgesetzt wurden. Das geschieht zwar durch
Selbstberichte der Regierungen, wird also nicht durch eine unabhängige
Instanz vorgenommen – allerdings national wie transnational durch die
kritische Zivilgesellschaft begleitet. Und im demokratischen Rechtsstaat
müssen Regierungen damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden,
sofern sie selbstgesteckte Ziele verfehlen. Die Legitimität der G7 ist
daher höher einzustufen als die der anderen Clubs.
Die Effektivität der G7 zeigt sich im Vergleich zu zwei anderen
Gruppierungen mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine. Während die
[5][Nato] künftig den militärischen Beistand koordiniert, leistet die EU
humanitäre Hilfe und fördert die politische Stabilität der Ukraine. Die G7
konzentriert sich auf politische und wirtschaftliche Unterstützung, etwa
durch die Verwendung der Erträge von eingefrorenem russischen Vermögen
zugunsten der Absicherung von Krediten an die Ukraine. Nato, EU und G7
stimmen sich untereinander ab. Die G7 zeichnet sich dabei seit Beginn der
russischen Invasion durch hohe Geschlossenheit aus, was zu ihrer
Effektivität beiträgt. So hat Ungarn in der EU die Aufnahme der
Beitrittsverhandlungen verzögert, [6][die Türkei in der Nato lange
Widerstand gegen den Beitritt Schwedens leistete].
## BRICS sind voll innerer Widersprüche
Auch der Vorwurf, die G7 würde die internationale Gemeinschaft spalten,
lässt sich kaum aufrechterhalten. Zwar hält die Kritik an der
geopolitischen Dominanz der G7 die BRICS-Staaten zusammen. Dieser
gemeinsame Nenner überdeckt jedoch Widersprüche zwischen den Mitgliedern.
Der russische Präsident Putin konnte im letzten Jahr nicht am BRICS-Gipfel
in Südafrika teilnehmen, weil ein Haftbefehl des Internationalen
Strafgerichtshofs gegen ihn vorliegt. Südafrika unterstützt den
Strafgerichtshof ebenso wie Brasilien, so dass offen ist, ob Putin dieses
Jahr zum G20-Gipfel nach Rio de Janeiro reisen kann.
Die Differenzen zwischen den demokratischen und den autokratischen Staaten
werden durch den Beitritt autokratischer Staaten wie Ägypten, Äthiopien,
Iran und der VAE zu BRICS+ eher noch deutlicher. Zudem sind die Beziehungen
zwischen den Neumitgliedern Ägypten und Äthiopien wie auch unter
Altmitgliedern wie China und Indien nicht ohne Spannungen. Ob die Forderung
nach einer neuen globalen Ordnung ausreichend mit Substanz gefüllt werden
kann, die den Kriterien Effektivität und Legitimität genügt, ohne die
internationale Polarisierung zu befördern, ist fraglich.
3 Jul 2024
## LINKS
[1] /Wahlen-in-Indien/!6010003
[2] /Zukunft-des-Lieferkettengesetzes/!6016987
[3] /Menschenrechtsverstoesse-im-Iran/!6020053
[4] /Leiter-der-UN-Klimakonferenz-al-Jaber/!5975116
[5] /Neuer-Nato-Generalsekretaer-Rutte/!6019935
[6] /Nato-Beitritt-von-Finnland-und-Schweden/!5864582
## AUTOREN
Lars Brozus
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