# taz.de -- Kinoempfehlungen für Berlin: Aus den Augen verloren | |
> „Erinnerungen an Marnie“ erzählt vom Ringen mit einer gar nicht so guten | |
> alte Zeit, und auch in „Das leere Grab“ droht Wiedergutmachung zu | |
> scheitern. | |
Bild: „Das leere Grab“ (2024), Regie: Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay | |
„Ich finde jeden Sport gut, der Turnen, Tanz und kurze Röcke vereint“, sagt | |
ein Reporter, der live von den nationalen Meisterschaften im Cheerleading | |
berichtet, und qualifiziert sich damit aus heutiger Sicht klar für den | |
ersten Preis in nicht-politisch-korrekter Berichterstattung. | |
Im Jahr 2000, als Peyton Reeds Teenie-Sportfilm „Girls United“ herauskam, | |
sah man das noch nicht so eng. Überhaupt hat dieses Meisterwerk aber viele | |
andere Qualitäten, wie etwa Kirsten Dunst in der Hauptrolle als neue | |
Kapitänin eines erfolgreichen Cheerleader-Teams, das plötzlich vor | |
scheinbar unlösbaren Problemen steht. Wenn sie auf die gutgemeinte | |
Tröstung, es sei doch alles „nur“ Cheerleading, mit Inbrunst antwortet „… | |
I am only cheerleading“, dann bricht man zusammen im Kino vor so viel | |
innerer Wahrheit und Schönheit. | |
So ist denn auch „Girls United“ alles andere als nur eine Jubelarie auf | |
eine uramerikanische Sportart: Skeptiker gibt es hier genug – und die für | |
US-Verhältnisse nahezu revolutionäre Moral, dass auch ein zweiter Platz ein | |
Sieg sein kann, kommt gratis dazu (19.6., 20.30 Uhr, [1][Odeon]). | |
Dass man in Deutschland die Zeit des Kolonialismus ziemlich aus den Augen | |
verloren hat, liegt natürlich daran, dass die Kolonien bereits nach dem | |
Ersten Weltkrieg verloren gingen. Aber es gab sie, die deutschen Kolonien, | |
und die entsprechende Zeit war ebenso von Ausbeutung und Rassismus geprägt | |
wie überall sonst auch. | |
Entsprechend gibt es bis heute in wissenschaftlichen Sammlungen Gebeine von | |
Afrikanern, die rassistischen Ethnografen zum angeblichen Beleg der | |
Überlegenheit der weißen Europäer dienten. Von diesem Sachverhalt handelt | |
der Dokumentarfilm „Das leere Grab“, der davon berichtet, wie verschiedene | |
tansanische Communities sich darum bemühen, die sterblichen Überreste ihrer | |
Vorfahren aus Deutschland zurückzuerlangen. | |
Dabei wird deutlich, welche wichtige Bedeutung die ordentliche Bestattung | |
der Ahnen in der tansanischen Kultur hat und auch, wie hilflos dem die | |
deutschen Sammlungen gegenüberstehen. Denn selbst wenn man helfen möchte, | |
ist die Zuordnung von namenlosen Schädeln ausgesprochen schwierig (17.6., | |
18.6., 14.15 Uhr, [2][Filmkunst 66], 19.6., 18.30 Uhr, [3][Zeiss | |
Großplanetarium im Ernst-Thälmann-Park]). | |
„Erinnerungen an Marnie“ (2014) von Hiromasa Yonebayashi war der letzte | |
Film des „alten“ Animationsstudios Ghibli, in dessen Tradition auch die | |
Geschichte um ein heranwachsendes Mädchen steht, das einige Schwierigkeiten | |
in seinem Leben zu überwinden hat, ehe es einer erfüllteren Zukunft | |
entgegenblicken kann. | |
Denn der 12-jährigen Anna geht es nicht gut: Die Außenseiterin ohne | |
Selbstwertgefühl leidet unter seelisch bedingtem Asthma und wird zur | |
Erholung ans Meer geschickt, wo ein vertraut erscheinendes Landhaus Annas | |
Interesse weckt. Bald imaginiert sie sich dort in kleine Abenteuer mit der | |
wie aus der Zeit gefallen erscheinenden Marnie hinein. | |
Seltsam ist nur, dass die neue Freundin ihrer Tagträume in der Villa ein | |
sehr reales Tagebuch hinterlassen hat, in dem die gemeinsamen Erlebnisse | |
geschildert sind. Träume, Erscheinungen, Stimmen aus der Vergangenheit – | |
die Ebenen durchdringen sich, dabei spiegeln die Probleme der lebhaften | |
Marnie jene der stillen Anna in komplexer Manier, denn nicht immer war die | |
alte Zeit so schön wie ihr nostalgischer Glanz verspricht (14.6., 18.6., 18 | |
Uhr, [4][Babylon Mitte]). | |
13 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.yorck.de/filme/girls-united-bring-it-on?sort=Popularity&dat… | |
[2] https://www.filmkunst66.de/programm | |
[3] https://www.planetarium.berlin/kino/das-leere-grab | |
[4] https://www.babylonberlin.eu/programm/festivals/anime-berlin/7286-anime-ber… | |
## AUTOREN | |
Lars Penning | |
## TAGS | |
taz Plan | |
Kolumne Frisch gesichtet | |
Filmrezension | |
taz Plan | |
taz Plan | |
taz Plan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kinotipp der Woche: Kino des Aufbruchs | |
Eine Retrospektive im Sinema Transtopia würdigt das afrodiasporische, | |
antikoloniale Kino von Sarah Maldoror. Mit großem Programm zu Kontext und | |
Werk. | |
Kinoempfehlungen für Berlin: Wie das Leben so spielt | |
„Anime Berlin“ zeigt Herausragendes von Studio Ghibli, „Amy“ erzählt v… | |
einem Absturz, „Picnic at Hanging Rock“ von einem rätselhaften | |
Verschwinden. | |
Kinotipp der Woche: Von einem, der auszog… | |
Das Berliner Arsenal Kino zeigt Lothar Großmanns „Einer vom Rummel“. Eine | |
Coming-of-age-Geschichte in der DDR zwischen Schaustellerei, Stadt und | |
Metall. |