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# taz.de -- DFB-Akademie in Frankfurt am Main: Ausgenüchtert nach dem Vollraus…
> Unter Oliver Bierhoff sollte die neue DFB-Akademie ein Silicon Valley
> sein. Heute ist der Anspruch schlichter: den Fußball besser machen.
Bild: Auf dem Boden der Tatsachen statt Silicon Valley: der DFB-Campus
Weit und groß den deutschen Fußball denken. Das ist der Auftrag, den
[1][die DFB-Akademie von ihrem Geburtshelfer Oliver Bierhoff mit auf den
Weg bekommen hat]. Weit und groß ist auch dann der im Jahr 2022 im
Frankfurter Stadtteil Niederrad eröffnete DFB-Campus geworden, auf dem die
Akademie, die Verwaltung des Verbandes, Fußballplätze und das Athletenhaus
untergebracht sind. Das sehr gläserne Gebäude zieht sich länger an der
Schwarzwaldstraße (307 Meter) als der stadtgrößte Wolkenkratzer (259 Meter)
in die Höhe ragt. Vom Campus aus ist die ferne Frankfurter Skyline gut zu
sehen. Die Anbindung in die weite, große Welt ist bestens. Der Hauptbahnhof
liegt 15 Autominuten, der Flughafen 10, die nächste Autobahn nur 3 Minuten
entfernt.
Und weit und groß hat sich Bierhoff, der ehemalige Geschäftsführer
Nationalmannschaften und Akademie, vor allem die Strahlkraft seines
Prestigeprojekts ausgemalt. Eine Mischung „aus Silicon Valley und Harvard“
schwebte ihm vor, wie er auf dem Sportbusiness-Kongress SpoBis in
Düsseldorf im Februar 2016 frei heraus erzählte. Technische Innovationen
und Wissenschaft sollten für die Weiterentwicklung des deutschen Fußballs
gebündelt werden. Bierhoff war immer schon der beste Vermarkter seiner
Ideen. Hinzu kam der Vollrausch. Die DFB-Elf war damals aus dem letzten
Turnier noch als Weltmeister hervorgegangen. Jetzt nach den Pleiten der
letzten Turniere ist der Verband längst ausgenüchtert.
Das Wort „pragmatisch“ hört man von Mirko Dismer, dem Leiter der Abteilung
„Fußballentwicklung“ in der DFB-Akademie, während einer Führung durch das
Haus am häufigsten. Um das neue Denken im Maschinenraum des deutschen
Fußballs unmissverständlich deutlich zu machen, erläutert Dismer, man sei
hier nicht das Silicon Valley oder Harvard. Bewusst schlicht formuliert er
den eigenen Anspruch: „Wir wollen den Fußball besser machen.“
## Vieles erst im Werden
Auf dem DFB-Campus ist an diesem Tag eine besonders erregte Stimmung. Das
Nationalteam trainiert auf einem der dreieinhalb gepflegten Rasenplätze.
Übernachten muss das Team außerhalb des DFB-Quartiers. Die 33 Zimmer im
Athletenhaus reichen nicht für den großen Tross. Das EM-Vorbereitungsspiel
gegen die Niederlande steht bevor. Plastikhütchen werden aufgestellt. Der
Mannschaftsbus fährt vor. Ein paar Dutzend Journalist:innen sind im
Foyer auf dem Weg zur Pressekonferenz mit Julian Nagelsmann. „Für alle
Mitarbeiter*innen ist das natürlich toll, wenn man aus dem Fenster
guckt und die Nationalmannschaft hier trainiert. Dann weiß man, wofür man
hier arbeitet, auch in den sportfernen Abteilungen wie in der Buchhaltung“,
sagt Dismer. In der europaweit einmaligen Fußballhalle mit einem
Kunstrasenplatz nach Fifa-Maßen haben sich gerade etliche Trainer
versammelt, welche die B-Lizenz erwerben wollen.
Ausbildung, Zukunftsplanung, Training von Nagelsmann und Co, Abrechnungen –
alles passiert wie von den Planern erträumt an diesem Ort gleichzeitig. Und
dennoch ist erstaunlich vieles erst noch im Werden.
## „Immer die Fußballentwicklungsbrille auf“
Die nahende Europameisterschaft bindet gerade Kräfte. „Wir arbeiten seit
Monaten im Backoffice sehr viel für das Turnier“, sagt Dismer. Die
Datenexperten etwa seien mit der Aufbereitung der Vorbereitungsspiele
beschäftigt. Oder die Fitnesstrainer des Nationalteams, die auch Dismers
Abteilung angehören, tauschten sich auf dem Campus noch einmal mit den
Kollegen aus den Bundesligavereinen über die optimale Belastungssteuerung
der Nationalspieler und Themen wie optimale Regeneration und Schlaf aus.
Das Hauptaugenmerk seiner Abteilung liege aber dennoch auf der weiteren
Zukunft. „Wir haben immer die Fußballentwicklungsbrille auf.“
Bei dieser Aufgabe muss sich einiges noch finden, weil viele Weichen neu
gestellt werden. [2][Die WM-Affäre 2006], die Aberkennung der
Gemeinnützigkeit, die ausbleibenden Prämien bei den letzten Großturnieren
und die Kosten des DFB-Campus haben den Verband schwer gebeutelt. Die
Baukosten betrugen statt der eingeplanten 150 Millionen Euro um die 180
Millionen Euro, die jährlichen Betriebskosten (18 Millionen Euro) fallen
doppelt so hoch aus wie veranschlagt. Im Sommer 2023 bekannte der DFB,
jährlich knapp 20 Millionen Euro mehr auszugeben als durch die Einnahmen
gedeckt sind und kündigte Sparmaßnahmen an.
## Keine Luftschlösser mehr
Keine gute Nachricht eigentlich für eine Abteilung, die sich ins Reich der
Ungewissheit aufmacht, um Trends und Wege aufzuspüren und keine harten
Fakten präsentieren kann. Doch der erst 33-jährige Dismer, der selbst schon
in der Regionalliga kickte, seit zehn Jahren bereits in unterschiedlichen
Funktionen beim DFB tätig ist, wiegelt ab: „Es ist nicht so, dass unsere
operative Arbeit eingeschränkt ist, weil wir uns sowieso vorgenommen haben,
uns zu fokussieren, zu priorisieren. Wir wollen die richtigen Dinge tun und
keine Luftschlösser bauen.“ Armut mache kreativ.
Dismer spricht von einer Neuausrichtung der Akademie. Mit dem Amtsantritt
des DFB-Geschäftsführers Andreas Rettig im September 2023 sei auch in
seiner Abteilung alles noch einmal auf den Prüfstand der wirtschaftlichen
Vernunft gestellt worden. Der DFB-Akademieleiter Tobias Haupt, den Bierhoff
ins Haus gebracht hatte, löste im Dezember seinen Vertrag einvernehmlich
mit dem DFB auf. Zuvor hatte er sich öffentlich gegen die Sparpläne
ausgesprochen. Die Strukturen wurden neu aufgestellt und Dismer übernahm im
Wesentlichen die Aufgaben von Haupt.
## Weniger ist mehr
Auf dem zu groß geratenen DFB-Campus heißt die neue Arbeitsparole: Weniger
ist mehr. Bei den Zukunftsbeauftragten wird das nach außen hin am wenigsten
auffallen. Den direkten Erfolg der eigenen Arbeit, räumt Dismer ein, könne
man nur selten messen. „Bei vielen Dingen kann man erst in zehn Jahren
sagen: Das war gut.“
Ein besonderer Stolz der Abteilung ist deshalb das Trackman-System, das im
TechLab im Erdgeschoss steht und dazu dient, Freistoßtechniken mit Hilfe
von genauesten Ballflugdaten zu verbessern. Der WM-Triumph der U17 im
Dezember vergangenen Jahres wurde durch besonders viele Freistoßtore
begünstigt. Deren Trainer Christian Wück, erzählt Dismer, habe sich danach
noch einmal bei der Abteilung für die Unterstützung bedankt.
## Markt der Möglichkeiten
Eine Sensory Station, die Aufschlüsse über die individuelle
Tiefenwahrnehmung, das periphere Sehen geben kann, steht auch in diesem
Raum. Dismer erklärt: „Wenn etwa beim Training eines Auswahlteams der
Trainer sagt, bei Flanken von links gibt es irgendein Problem beim Torwart,
machen wir hier mal einen Check.“
Dismer sagt, es gebe einen großen Markt der Möglichkeiten. Wer sich länger
auf ihm bewegt, verläuft sich nicht so schnell und kann seine Kräfte
gezielter einsetzen. Beim Sammeln von Daten in der Spielanalyse etwa,
berichtet Dismer, habe man in der Vergangenheit etwas übersteuert. Die
Herausforderung wäre, vom Big Data zum Smart Data zu kommen, aus dem
Datenwust Ergebnisse mit Aussagekraft zu generieren und nicht noch immer
mehr Daten „reinzuschießen“. So kompliziert sei der Fußball schließlich
auch nicht.
Auf dem Technologiemarkt wächst das Angebot an neuen Produkten von Jahr zu
Jahr, das die Macher:innen der Akademie durchforsten und evaluieren. Den
Profivereinen, mit denen man um einen engen Austausch bemüht ist, will man
dadurch Orientierung geben.
## Akademie als Dienstleister
Die DFB-Akademie versteht sich als Dienstleister und Impulsgeber. Wissen
soll an der Schwarzwaldstraße zusammengetragen, gebündelt und in nützlicher
Form allen auch im Amateurfußball zugänglich gemacht werden. Einen gewissen
Argwohn hat Dismer anfangs bei den Profivereinen ausgemacht. Der Einladung
zum ersten Austauschtreffen für die Erstliga-Fitnesstrainer, erzählt er,
seien fünf gefolgt. Mittlerweile würden alle 18 Vereine jemanden schicken
und anfragen, ob sie noch einen Zweitvertreter mitbringen könnten. Auf
Plattformen verschiedenster Art sollen Synergien freigesetzt und
miteinander vernetzt werden. In der Theorie hört sich das alles smart an,
in der Realität vollzieht sich das eher schleppend. „Wir sind nicht immer
das Schnellboot, weil wir alle mitnehmen und überzeugen wollen“, räumt
Dismer ein.
Für Außenstehende kann erst recht der Eindruck entstehen, es werde zu viel
Gewese um den Fußball der Zukunft gemacht. Verstärkt wird das Gefühl gewiss
dadurch, dass die DFB-Akademie noch recht unzugänglich für das allgemeine
Publikum ist. Der letzte [3][Hauch der elitären Silicon-Valley-Attitüde]
hat sich noch nicht verzogen. Mehr Führungen seien künftig geplant, heißt
es auf dem DFB-Campus. Einen ersten Schritt unternimmt der Verband nun
anlässlich der EM. Fans können nach Anmeldung kostenlos „den DFB-Campus mit
exklusiven Führungen erkunden und so manches Geheimnis erfahren“. Auf
Anfrage soll das sogar auf Englisch, Italienisch, Französisch und Spanisch
möglich sein. Geheimnisse für alle? So einladend hat sich der Maschinenraum
des deutschen Fußballs noch nie präsentiert.
13 Jun 2024
## LINKS
[1] /Eroeffnung-des-neuen-DFB-Komplexes/!5861174
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[3] /Krise-der-DFB-Elf/!5972530
## AUTOREN
Johannes Kopp
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