# taz.de -- Liebeserklärung an die Latzhose: Die schöne Art von Kindergarten | |
> Wer gerne mal ein paar Millimeter über dem Boden der Tatsachen schweben | |
> will, braucht dafür nur ein einziges Kleidungsstück: die Latzhose. | |
Bild: Ein 90er-Trend, der heute wieder angesagt ist: Latzhose | |
Es gibt Kleidungsstücke, die machen das Leben im praktischen Sinn leichter. | |
In Hosenröcken zum Beispiel lässt es sich gut Radfahren, und man kann sich | |
darin im Hochsommer auf U-Bahn-Bänke setzen, ohne dass die Schenkel | |
aneinanderkleben. Dünne Daunenjacken sind praktisch, wenn man mit wenig | |
Gepäck verreisen will. Und auch diese Smartphone-Handschuhe, wenn man vom | |
Bequemlichkeitsdiktat des Spätkapitalismus so verhätschelt wurde, dass es | |
wie ein Affront erscheint, für die Bedienung des Handys ein paar Fäustlinge | |
ausziehen zu müssen. | |
Es gibt aber auch Klamotten, die das Leben auf andere Weise leicht machen. | |
Nicht unbedingt einfacher, aber schöner. Weil sie ihre Träger*innen | |
herausheben aus dem Alltag, ein paar Millimeter über den Boden der | |
Tatsachen, und sie hineinversetzen in eine bestimmte Zeit, an einen | |
bestimmten Ort, oder in ein vergessenes oder ganz neues Gefühl. Die | |
Latzhose ist so ein Kleidungsstück. | |
Die Latzhose, vor allem das Modell aus Jeans, ist einerseits die schöne Art | |
von Kindergarten. Losrennen, ohne darüber nachzudenken, ob was verrutscht. | |
Sowieso: rennen, nicht für die Fitness oder aus Eile, sondern weil es Spaß | |
macht. Ohne Angst vor Flecken auf der Wiese oder im Sand sitzen. Rausgehen | |
ohne Tasche, weil sich das Nötigste körpernah verstauen lässt (die kleinen | |
Taschen, die bei klassischen Modellen direkt auf den Latz genäht sind, sind | |
ideal für Bonbons, Kleingeld, Tampons oder einen Kuli). Zugleich ist die | |
Latzhose wandelbar – sie funktioniert in Kombination mit T-Shirt und | |
Turnschuhen, mit Hemd und Loafern, mit Jackett oder oben ohne, mit | |
Lippenstift und Stilettos. Und wenn man nicht den Fehler macht, sich in ein | |
Slim-Fit-Modell mit viel zu engen Hosenbeinen zu quetschen, dann ist die | |
Latzhose in jeder dieser Varianten bequem. | |
Natürlich kann man es auch ein bisschen absurd finden, wenn sich | |
Büroangestellte und Stadtbewohner*innen in proletarische | |
Arbeitskleidung hüllen. Denn in der Mode ist zwar (fast) alles erlaubt, | |
aber unpolitisch ist sie selbstverständlich nicht. | |
Die Latzhose aus derbem Jeansstoff wurde im 17. Jahrhundert von Sklaven in | |
den USA getragen, während die weißen Plantagenbesitzer und ihre Familien | |
sich vornehmlich in leichte, helle Kleider aus Leinen hüllten. In der | |
Bürgerrechtsbewegung war die Denim-Latzhose ein Symbol für Schwarze | |
Communitys und die Arbeiterklasse. Später trugen Hippies Latzhose in | |
Abgrenzung zur spießigen Anzuggesellschaft, und [1][in Lila wurde sie in | |
den Siebzigern zum feministischen Statement]. Bis heute ist sie als | |
Arbeitskleidung in Handwerk, Industrie und Rettungsdiensten verbreitet und | |
schützt je nach Material vor Staub, Farbe oder Funkenflug. | |
Es ist immer gut, sich mit Herkunft und Bedeutung von Kleidung zu | |
beschäftigen. Und das nicht nur dann, wenn man zu Fasching ein Kostüm | |
sucht, sondern auch, wenn man sich als | |
somewhat-urban-intellectual-knowledge-worker eine französische | |
Arbeiterjacke oder einen Mao-Anzug an die Kleiderstange hängt. Das hat, wie | |
so oft, weniger mit Verboten zu tun als mit der Chance, etwas dazuzulernen. | |
Gleichzeitig gilt: Wer heutzutage Latzhose trägt, muss damit überhaupt | |
nichts sagen wollen. Eigentlich ist es sogar ganz erfrischend, wenn etwas | |
mal kein „Statement Piece“ sein will, wenn es nicht in erster Linie an die | |
Außenwelt kommuniziert (Ich trage, also bin ich) sondern vielmehr dem | |
Inneren der Träger*in zugewandt ist. Wenn man anzieht, was glücklich | |
macht – und ein bisschen leichter. | |
3 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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