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# taz.de -- Mit lila Latzhose unterwegs: Meine Woche mit "Emma"
> Eine lila Latzhose zu tragen war mal eine politische Botschaft. Bequeme
> Kleidung für Männer, die Frauen sich angeeignet hatten. Heute lacht der
> Kollege. Ein Selbstversuch.
Bild: Heute fällt man mit dieser Latzhose auf.
BERLIN taz | Ich erinnere mich an das Gespräch mit meiner Mutter, ich war
noch ein Kind und saß im Auto auf dem Rücksitz, sie am Steuer. Es ging um
Lieblingsfarben. Meine waren Rosa und Lila, meine Mutter sagte, ihre seien
Schwarz und Lila. Lila haben wir gemeinsam, war damals mein erster erster
Gedanke. Mein zweiter: Lila schützt vor Schwangerschaft.
Ich weiß nicht mehr, woher ich den Satz hatte und sprach ihn auch nicht
aus, weil ich eigentlich nichts mit ihm anfangen konnte. Kann man kein Kind
bekommen, wenn man Lila trägt? Dass der Spruch Feministinnen beleidigen
sollte, hatte mir niemand erklärt. Auch nicht, was Feministinnen sind.
Zwanzig Jahre später bin ich selbst Feministin und bereite mich darauf vor,
mich dafür beleidigen zu lassen. Das Hilfsmittel dazu kommt per Post: eine
lila Feincordlatzhose, Produktname "Emma". Eine Kollegin hatte sie im
aktuellen Katalog des Ökomodeversands Deerberg gefunden und vorgeschlagen,
ich, die Jüngere, solle sie eine Woche lang tragen und darüber schreiben.
Es gibt nicht mehr viele eindeutige politische Codes in der Mode, nicht
mehr viele Wege, eine Haltung durch Kleidung in die Öffentlichkeit zu
transportieren. Es gibt Aufdrucke auf T-Shirts, Aufnäher, Buttons. Aber
wenige Farben, Schnitte, Kleidungsstücke, mit denen eine klare Aussage
verbunden wird. Selbst Nazis erkennt man nicht mehr an Springerstiefeln mit
weißen Schnürsenkeln, und hunderttausende Menschen tragen Birkenstocks,
ohne Ökos zu sein.
Vor dreißig Jahren gab es einen solchen Code: die lila Latzhose. Man nannte
Feministinnen sogar manchmal lila Latzhosen. Lila war die Farbe der
Frauenbewegung, die Latzhose war ein männliches, proletarisches
Kleidungsstück, das sich die Frauen symbolisch angeeignet hatten. Die Hose
der Arbeiter und Bauern, sehr praktisch, Brust und Hüften verhüllend.
Endlich keine Wichsvorlage mehr sein.
Aber die lila Latzhose ist seit zwanzig Jahren verschwunden. Warum belebt
man solch ein Symbol wieder? Als ich Dörte Reimers, die Einkäuferin der
Katalogkollektion, am Telefon erreiche, sitzt sie gerade im Auto, um ihre
Tochter vom Kindergarten abzuholen.
"Wir hatten das gar nicht so im Kopf, das Politische", sagt sie. Sie habe
wie immer eine Trendrecherche gemacht: Latzhosen seien ein Thema, das
kommt, Lila war in der letzten Saison eine wichtige Farbe, und die
Kundinnen des Ökokatalogs lieben Cord.
Erst als in der Firma Kommentare wie "Das geht ja gar nicht" kamen,
beschlossen Dörte Reimers und ihre Kolleginnen, die Hose Emma zu nennen. Es
sei darum gegangen, praktische, angenehme Mode zu entwerfen, "das ist
einfach saubequem, wenn das so locker rumschlabbert", sagt sie.
Für mich ist es erst einmal ungewohnt. Ich habe schon lange nicht mehr
gespürt, wie ein Luftzug es durchs Hosenbein bis zu meinem Oberschenkel
schafft. Und wie verstellt man die Schulterträger noch mal? Verschluss
aufklappen, durchziehen, zuklappen. War es eigentlich schon immer so
schwierig, beim Anziehen die Gurte hinten am Rücken zu greifen und über die
Schulter zu ziehen?
Die ersten Kommentare, die ich höre, sind eher modischer als politischer
Art. "Ach, wie schön, eine Latzhose!" - "Latzhosen muss man echt mal wieder
tragen." - "Ach, so eine hatte ich als Kind auch." Dass sie lila ist und
was das bedeutet, scheint niemand zu bemerken. Das Symbol war so lange weg,
dass es nun offenbar keins mehr ist.
Oder nur noch eins für wenige. Als ich im taz-Café aufs Mittagessen warte,
kommt ein Kollege heran, schaut mich an, beginnt erst zu grinsen,
schließlich zu prusten. "Eine lila Latzhose - das kann doch nicht dein
Ernst sein", gluckst er. Ich bekomme nicht aus ihm heraus, was er
eigentlich denkt. Er lacht mich einfach aus.
Bei einer Zigarette am nächsten Tag sagt ein Freund zu mir: "Deine Brust
hängt raus." Ich schaue an mir herunter. Der eine Träger ist so weit durch
die Schnalle gerutscht, das der Latz jetzt nur noch bis kurz über meinen
Bauchnabel reicht. Unter der Hose trage ich einen grünen eng geschnittenen
Pullover.
Wenn ich keine Latzhose trage, hängt meine Brust immer raus. Man sieht sie,
so wie man eben Brüste unter einem engen Pullover sieht. Bei einer
Latzhosenträgerin irritiert das offenbar. "Ist halt nicht gerade die
feministische Mode von heute", sagt mein Mitbewohner am Abendbrottisch. Ich
weiß, was er meint. Aber ich habe noch nie so genau hingeschaut, was die
feministische Mode von heute ist.
Um sie zu finden, fällt mir nur ein Ort ein: das Silver Future, eine Bar in
Berlin-Neukölln. Eine queer-feministisch-geschlechterkritische Kneipe. In
Pink und Silber. Ich lade eine Freundin dorthin auf Bier und Sekt ein.
Im Silver Future kann man beobachten, wie sich Geschlechterkritik heute
darstellt. In der Vitrine in der Ecke liegt die Federboa neben den
Krawatten, die Frau auf dem Bild an der Wand trägt zum Superman-Umhang
einen Slip mit dem "Power"-Aufdruck, an den Seiten lugen die Schamhaare
hervor.
Meine Latzhose kommentiert niemand, denn hier gibt es alles: Frauen mit
viel Bauch in engen Querstreifen-Shirts, lila Strumpfhosen, grazile Frauen
mit Bobschnitt in Karottenjeans und schlabbrigen Wollpullovern. Zu jeder
Botschaft, die ausgesendet wird, gibt es wieder eine, die sie bricht. Am
Ende bleiben Menschen, die sich dagegen wehren, eingeordnet zu werden.
Der Inbegriff dieser Modephilosophie ist die Frau, die am Tresen
Schokomilch trinkt. Sie glitzert wie eine Diskokugel. Ihre Haare hat sie
millimeterkurz abgesäbelt und trägt ein Basecap, das über und über mit
silbernen Pailletten bestickt ist, dazu eine weite Jogginghose aus blauem
Satin, rote Turnschuhe und ein enges rosa T-Shirt, unter dem ein hellblaues
hervorguckt.
Sie trägt, worauf sie Lust hat. Sie zeigt ihren Körper genau so, wie sie
ihn haben will. Mit Haaren oder ohne. Ihr Selbstbewusstsein macht den
Gedanken lächerlich, dass Farben oder Schnitte sie zum Püppchen machen
könnten. Sie kann ein hautenges pinkfarbenes Top tragen und dazu eine
Fliege.
Ich schaue an mir herunter. Heute Morgen habe ich das erste Mal einen
Ledergürtel durch die Schlaufen der Hose gezogen und sie an der Hüfte an
meinen Körper herangerafft. Ein modisches Zeichen, das das
Latzhosenschlabbern bricht. Weil ich mich so wohlfühle und man meine Hüften
ruhig sehen darf.
Vor Kurzem habe ich auf die Onlineseite des Deerberg-Versands geschaut:
Emma ist schon runtergesetzt, von 70 auf 40 Euro. Sie verkauft sich
offenbar nicht gut. Ich ziehe die Latzhose auf jeden Fall wieder an. Aber
nur noch zusammen mit diesem feinen weißen Spitzentop aus meiner
Spätpubertät, das vor ein paar Jahren irgendwo in meinem Kleiderschrank
verloren gegangen ist.
12 Nov 2010
## AUTOREN
Luise Strothmann
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