# taz.de -- Lange Unterhosen: Am Rande des Tragbaren | |
> Sie gilt als Toptextil der Spießigkeit, doch in kalten Wetterlagen ist | |
> sie nützlich bis unabdingbar. Eine Verteidigung der langen Unterhose. | |
Bild: „Der hat was in der Hose“ – nur in welcher, das ist die Frage | |
Vor kurzer Zeit noch herrschte Frostwetter hierzulande, nicht nur in | |
Berlin. Die dünnen Hosen, die aktuell so modisch sind, ließen frieren. Was | |
lag also näher, als ein Kleidungsstück zu erwerben, das die Beine wärmend | |
schützt? | |
Klar, die Rede ist von [1][der langen Unterhose], die von den Sechzigern | |
bis heute als absolutes Toptextil der Spießigkeit gilt. Jedoch, | |
Überraschung: Das Produkt war begehrt. Bei Versandhändlern wurde | |
Lieferknappheit signalisiert, in manchen Kaufhäusern, die männliche Dessous | |
wenigstens potenziell parat halten, war diese Artikelgruppe nicht vorrätig. | |
Lange Unterhosen, so klärt eine Verkäuferin [2][in einem Berliner Kaufhaus] | |
auf, seien natürlich vor allem praktisch. Beliebt seien aber, anders als | |
früher, nicht die weißen, sondern die farbigen bis grellbunten, die dadurch | |
wohl weniger unter Feinrippverdacht fallen. Und hier liegt eben, nicht nur | |
im Hinblick auf lange, bis zu den Knöcheln reichende Unterhosen, das | |
Imageproblem dieses Textils: Es gilt als eines für Warmduscher, für | |
Männer, die mit den länglichen Schlüpfern ihr fahles Fleisch bedecken und | |
keine Freundschaft mit Stringtangas schließen mochten, weil die sich so | |
unangenehm anfühlten. (Tatsächlich waren Strings lange das liebste | |
Kaufobjekt in puncto Dessous bei Männern.) | |
## Phallische Originalpräsenz | |
Unterhosen, so das Versprechen von Firmen wie Calvin Klein, Lacoste, Marc | |
O’Polo oder anderen Modemarken, sollten Körperlichkeit symbolisieren, beim | |
Mann Hintern- und Phallusbetontheit. „Der hat was in der Hose“, das war der | |
Satz, der eine Verheißung zu sein hatte – und dem die Dessousbranche | |
folgte. Darum geht es im Hinblick auf Unterwäsche immer, jedenfalls | |
werblich, um das, was unter den Textilien sich verbergen mag. Phallische | |
Originalpräsenz oder, nun ja, so lautet der Volxmund, Hasenpfote (wie es | |
unter bestimmten Rockmusikern der Siebziger gang und gäbe war). | |
Dabei sind vor 200 Jahren, am Anfang des Aufstiegsjahrhunderts der | |
bürgerlichen Klassen, Unterwäschen aus hygienischen Gründen erfunden | |
worden, aus solchen der Schicklichkeit, um nämlich die offenbare | |
Geschlechtlichkeit zu schützen wie zu nivellieren, aber eben auch, weil sie | |
warm hält. Frauenunterwäsche war Gegenstand wissenschaftlich-medizinischer | |
Debatten, bei Jugendlichen sogar der sexualwissenschaftlichen Diskurse | |
(kann es in diesen Textilien Vorrichtungen zur Verhinderung von | |
Selbstbefriedigung geben? – Nein, nie wirklich). Männerunterhosen waren | |
dagegen nur selten Gegenstand von Sorge- und Einhegungsdiskursen. | |
Die lange Unterhose hatte mit den frühen sechziger Jahren ihren Ruf weg – | |
spätestens jedenfalls, seit in Halbstarken-Filmen (Marlon Brando! Horst | |
Buchholz! Johnny Hallyday!) [3][Jeans zur Mode an Männerbeinen wurden] und | |
raue, impulsive, unbürgerliche Figuren auftauchten, die Sprache (ähnlich | |
wie im HipHop heutzutage) eher rappten als elaboriert-bürgerlich | |
formulierten – entsprechende Textilien trugen sie. Unter eine knappe Jeans | |
passte keine lange Unterhose. Außerdem: War man etwa Warmduscher, so | |
charakterlich? Eben. | |
Aus dieser Ära stammt auch die Spiegelung von Feinrippunterwäsche (und | |
langen Unterhosen) als spießig, als mit zimperlicher Unterleibsaura | |
versehen, als uneigentlich und so weiter. Dabei sind solche Textilien nicht | |
nur nützlich. Erotische Anziehung, auch dies ist historisch überliefert, | |
hängt an der Person, nicht am Textil. Das schärfste Teil ist immer jenes, | |
das vom Blickenden als solches interpretiert wird. | |
Wer ein schlaffer Sack ist, so charakterlich, kann noch so viel männliche | |
Reizwäsche käuflich erwerben – er wird nie bekommen, was er ersehnt, wenn | |
er, und darauf kommt es an, innerlich nicht hineinpasst. Höchstens eine | |
Erkältung. | |
15 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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