| # taz.de -- Gaza-Krieg in den Medien: Die Hölle von Gaza sehen | |
| > Israel hat den Krieg der Bilder bereits verloren. Das liegt auch an den | |
| > eigenen Soldaten, die ihre Taten in Gaza filmen und ins Netz stellen. | |
| Bild: Khan Yunis, 16. Dezember 2023: Verwandte trauern um den bei einem israeli… | |
| Als Annalena Baerbock zuletzt im April auf Benjamin Netanjahu traf, sollen | |
| sie über Bilder aus Gaza in Streit geraten sein. Israels Premier soll ihr | |
| Bilder von Märkten mit gefüllten Gemüseständen und Menschen am Strand | |
| gezeigt haben, berichteten israelische Medien. Im Gazastreifen herrsche | |
| keine Hungersnot, wollte er damit sagen. Sie könne ihm Bilder von | |
| hungernden Kindern zeigen, soll ihm die deutsche Außenministerin entgegnet | |
| haben. | |
| Der Zwischenfall ist symptomatisch. Ihre Kriegsziele hat die israelische | |
| Regierung nach sieben Monaten nicht erreicht: Weder konnte sie die Geiseln | |
| auf militärischem Wege befreien noch die Hamas in die Knie zwingen. Den | |
| Krieg der Bilder hat Israel dagegen bereits verloren. Das liegt nicht nur | |
| an Medien weltweit, die Bilder palästinensischen Leids verbreiten. Es liegt | |
| auch an israelischen Soldaten, die ihre Taten in Gaza dokumentieren und | |
| unbekümmert ins Netz stellen. | |
| Seit Monaten kommen aus Gaza unzählige Bilder von zerfetzten und | |
| verstümmelten, hungernden und verhungerten Kindern sowie Kindern, die ihre | |
| gesamten Familien verloren haben. Zuletzt gab es Bilder von Massengräbern, | |
| die nach dem Abzug des israelischen Militärs auf dem Gelände zweier | |
| Krankenhäuser in Gaza entdeckt wurden, und schreckliche Szenen aus Rafah, | |
| nachdem die israelische Armee dort am Sonntag ein Flüchtlingslager | |
| bombardiert hatte. | |
| ## Journalisten zahlen hohen Preis | |
| Ausländische Medien können solche Vorfälle schwer überprüfen, ihnen ist der | |
| Zugang zum Gazastreifen verwehrt. Die israelische Armee erlaubt es nur sehr | |
| wenigen ausländischen Journalisten, sie in Ausnahmefällen „embedded“ zu | |
| begleiten. Medien wie CNN, der Guardian und [1][die New York Times bemühen | |
| sich] dennoch, die Realität in Gaza abzubilden, so weit ihnen dies möglich | |
| ist, etwa durch Datenrecherchen. Doch es bleibt Reportern und | |
| Video-Bloggern vor Ort überlassen, der Außenwelt ein direktes Bild der | |
| Situation zu vermitteln. | |
| Sie zahlen einen hohen Preis: Über 90 von Ihnen wurden seit Oktober im | |
| Gazastreifen getötet, hat das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) | |
| gezählt. Einige wurden zu Symbolfiguren des Krieges: der Fotograf Motaz | |
| Azaiza etwa, der auf Instagram 18 Millionen Follower hat und im Januar aus | |
| Gaza ausreiste. Oder [2][der Bürochef des arabischen Senders al-Jazeera], | |
| Wael Al-Dahdouh, der im Oktober vor laufender Kamera erfuhr, dass seine | |
| Frau, zwei seiner Kinder und viele weitere Angehörige gerade einem | |
| israelischen Angriff zum Opfer gefallen waren. | |
| ## Hilflose Verbote | |
| Im Mai [3][warf Israels Regierung al-Jazeera aus ihrem Land], der Sender | |
| kann in Israel jetzt nicht mehr empfangen werden. Nützen wird das wenig – | |
| genauso wenig wie ein TikTok-Verbot, über das in den USA diskutiert wird. | |
| Manche glauben, das chinesische Online-Portal habe die landesweiten | |
| Proteste an US-Universitäten angefacht. Doch auch auf anderen Kanälen, auf | |
| Instagram, Telegram und X, finden sich täglich haufenweise verstörende | |
| Bilder, die den Mythos der „moralischsten Armee der Welt“, wie Israel seine | |
| Streitkräfte gerne rühmt, untergraben. Sie stammen oft von israelischen | |
| Soldaten selbst. | |
| Israelische Soldaten haben sich dabei gefilmt, wie sie Schulen, | |
| Universitäten, Krankenhäuser und Moscheen zerstören oder in die Luft jagen, | |
| ohne dass irgendein militärischer Sinn erkennbar wäre. Manche kommentieren | |
| ihr Zerstörungswerk mit zynischen Sprüchen oder denken laut darüber nach, | |
| Gaza in ihren Besitz zu nehmen. Andere filmten sich bei Vandalismus und | |
| Plünderungen in privaten Wohnungen. Freudig lassen sie Uhren und Schmuck, | |
| Teppiche und Möbel, aber auch Fahrräder und Kinderspielzeug mitgehen. | |
| Besonderes Vergnügen scheint es manchen Soldaten zu bereiten, erbeutete | |
| Frauenunterwäsche vorzuführen. Und das sind noch die harmlosesten | |
| Handy-Videos. | |
| Bereits im Dezember kursierten im Netz Bilder, die Hunderte von Männern | |
| unterschiedlichen Alters zeigten, von israelischen Soldaten beaufsichtigt | |
| und bis auf die Unterwäsche entkleidet – manche auf der Straße, andere in | |
| einer Sandgrube oder dicht gedrängt auf der Ladefläche eines | |
| Militärlastwagens. Einzelne Soldaten filmten sich dabei, wie sie | |
| palästinensische Gefangene vorführten und verhöhnten. Andere posierten mit | |
| gefesselten Opfern, deren Augen verbunden waren. Es gibt noch schlimmere | |
| Aufnahmen, die zeigen, wie israelische Soldaten Menschen erschießen oder | |
| mit Armeefahrzeugen totfahren. Selten wurden in einem Krieg so viele | |
| Verbrechen live mit der Kamera festgehalten wie jetzt in Gaza. | |
| ## Keine Angst vor Strafverfolgung? | |
| Auffällig ist der Mangel an Unrechtsbewusstsein, der vorzuherrschen | |
| scheint. Disziplinarmaßnahmen durch die eigene Armee scheinen diese | |
| Soldaten nicht zu fürchten, schon gar keine Strafverfolgung. Dabei | |
| ermittelt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wegen möglicher | |
| Kriegsverbrechen, und der Internationale Gerichtshof geht dem Verdacht auf | |
| Völkermord nach. | |
| Die Aufnahmen aus Gaza können dort als Beweisstücke dienen – so wie die | |
| Bilder von fanatischen Siedlern, die Hilfslieferungen für Gaza zerstören, | |
| ungestört von Polizei oder Armee, oder Szenen aus der Knesset und | |
| israelischen Talkshows, in denen israelische Politiker und Journalisten | |
| ganz offen genozidale Fantasien äußern, als Indizien für eine genozidale | |
| Absicht bewertet werden können. | |
| Nach dem 7. Oktober nutzte Israels Regierung die schrecklichen Bilder von | |
| den Gräueltaten der Hamas, um ihr Vorgehen in Gaza zu rechtfertigen. Die | |
| täglich neuen, furchtbaren Bilder aus Gaza haben deren Schrecken | |
| überlagert. Deutsche Medien halten viele dieser Bilder zwar von ihrem | |
| Publikum fern. Noch weniger Bilder aus dem Gazastreifen erreichen die | |
| Menschen in Israel, denn die TV-Sender dort berichten kaum über das Leid in | |
| Gaza. Doch wer will, findet diese Bilder im Netz. | |
| Das könnte erklären, warum manche gleichgültig auf diesen Krieg blicken, | |
| während andere schockiert und empört sind: Man lebt in verschiedenen | |
| medialen Realitäten. | |
| 30 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.nytimes.com/2024/02/06/world/middleeast/israel-idf-soldiers-war… | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=UtzbKQ1jrkk&rco=1 | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=JAT9NQ4WkE0 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
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