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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Jagd auf den Schlauchbootmann
> Eine Warnung von Gangstern erschüttert das Café Gum oder zumindest einen
> aus der Kneipenbesatzung, der mehr über das Opfer zu wissen glaubt.
Theo hielt die schwarz-gelbe Gallertmasse gegen das Abendlicht, das durch
die Fenster des Café Gum hereinfiel. „Also, erst mal ist das nur ein toter
Feuersalamander, der auf deiner Fußmatte lag“, sagte er trocken. „Nichts
weiter.“
Raimund war fassungslos. „Nichts weiter?! Wie bitteschön kommt ein
Salamander in den dritten Stock eines Gründerzeithauses?“ – „Kletternd, …
Beispiel?“, entgegnete Theo. – „Es gibt mitten in der Stadt keine
Feuersalamander!“, schnaufte Raimund. – „Papperlapapp!“, sagte Theo: �…
halbes Dutzend Bäche fließt unter dem Goetheplatz hindurch. Reines
Salamanderparadies! Und überall gibt es Leitern nach oben.“
Raimund war anderer Meinung. Vor Kurzem hatte ein Schönheitschirurg in dem
Haus, in dem er wohnte, eine Praxis eröffnet. „Der Typ ist exakt genauso
glatt wie die Ladies mit den Schlauchbootlippen, die bei ihm ein und aus
gehen“, sagte er. „Der lässt sich garantiert jeden Morgen von einem
Bügelautomaten die Chirurgenfassade glattplätten.“
Vor allem aber hatte Raimund gehört, dass der Arzt das ganze Haus kaufen
wolle. „Der will eine riesige Schlauchbootklinik eröffnen“, sagte er: „U…
weil er weiß, dass im dritten Stock ein alter Kämpfer wohnt, der den
Widerstand dagegen organisieren könnte, hat er in einer der Kaschemmen in
der Hansastraße zwei tschetschenische Gangster engagiert.“
Theo pfiff durch die Zähne. „Ein alter Kämpfer, der das Großkapital schon
in den Achtzigern das Fürchten lehrte, und tschetschenische Gangster, die
ihrem Opfer erst mal eine Botschaft in Form eines toten Salamanders
schicken?“ – „Genau!“, nickte Raimund. – „Du spinnst doch“, sagte…
Doch weil wir sichergehen wollten, dass Raimund niemand vorm Haus
auflauerte, begleiteten wir ihn trotzdem, als wir uns zwei Stunden später
auf den Heimweg machten.
Doch es sprangen keine Mörder mit langen Messern aus der Dunkelheit hervor.
Dafür waren die Räume der Kita Rotz und Rabe, die sich gegenüber der Praxis
befand, hell erleuchtet. „Was ist denn hier los?“, fragten wir Sören, den
Kita-Chef. Er erklärte uns, dass die Kinder ihre Terrarien nicht richtig
verschlossen hatten. „Jetzt krauchen überall die Geckos und Salamander
herum“, japste er, und Theo meinte sarkastisch: „Soviel zu den Botschaften
tschetschenischer Killer!“, ehe wir halfen, die Entflohenen wieder
einzufangen.
Am Ende blieben nur Paul und Paula, die zwei Blindschleichen, verschwunden.
Sie tauchten erst am nächsten Tag im Wartezimmer der Schlauchbootpraxis
wieder auf, was zu panisch kreischenden Patientinnen und einem Shitstorm
führte, der die rasante Pleite der Praxis zur Folge hatte. Und weil wir
später erfuhren, dass die Kinder die Tiere nicht zufällig freigelassen
hatten, wussten wir plötzlich, dass wir von der heranwachsenden Generation
antikapitalistischer Kämpfer offenbar doch mehr erwarten durften, als wir
bisher dachten.
22 May 2024
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Kneipe
Verbrechen
Schönheitschirurgie
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