# taz.de -- Nobelpreisträger Peter Higgs gestorben: Der Vater der Gottesteilch… | |
> Der Physiker hatte 1964 seine Gedanken zur Entstehung der Welt | |
> formuliert. Später bekam er den Nobelpreis. Die taz hatte ihn 2011 | |
> getroffen. | |
Bild: Der Physiker Peter Higgs nach der Verleihung des Nobelpreises im Jahr 2013 | |
Der Physik-Nobelpreisträger Peter Higgs ist tot. Der Gelehrte, der 1964 die | |
Theorie der nach ihm benannten Higgs-Boson- Elementarteilchen aufstellte, | |
sei nach kurzer Krankheit im Alter von 94 Jahren gestorben, teilte die | |
Universität Edinburgh am Dienstag mit. | |
Higgs hatte 1964 die Existenz der Higgs-Teilchen beschrieben. Seine Theorie | |
befasst sich mit der Frage, wie subatomare Teilchen, die die Bausteine der | |
Materie sind, ihre Masse erhalten. Higgs' Theorie über das auch als | |
Gottesteilchen bezeichnete Partikel half zu erklären, wie sich nach dem | |
Urknall Materie gebildet hat. [1][2013 wurde er mit dem Nobelpreis | |
ausgezeichnet]. | |
Die taz-Autorin Maria Rossbauer hatte Higgs im Jahr 2011 getroffen. Aus | |
Anlass seines Todes veröffentlichen wir hier ihren Text erneut, der | |
erstmals im November 2011 publiziert wurde – also noch bevor das CERN in | |
Genf seine Theorie beweisen konnte: | |
## Die Jagd nach dem Urteilchen | |
EDINBURGH taz | Bei einem Ausflug durch grüne Hügel und schottischen Wind | |
ist Peter Higgs auf den Ursprung der Welt gestoßen. Eigentlich wollte er | |
mit seiner Frau rausfahren in den Sommer, in ein Landhaus, die Woche hinter | |
sich lassen, Edinburgh, die Universität, den Lehrauftrag für Mathematische | |
Physik. Aber etwas drängelte sich vor in seinem Kopf, es hing mit einer | |
Arbeit zusammen, die er am Freitag noch gelesen hatte. Die Arbeit handelte | |
von Elementarteilchen, von Atomen, von deren Symmetrien. Sie ließ ihn nicht | |
los. | |
Als Higgs am Montagmorgen ins Büro zurückkehrte, war aus den Dingen in | |
seinem Kopf eine Theorie entstanden. Er hat sie gleich aufgeschrieben, auf | |
knapp eineinhalb Seiten, nur wenige Formeln, es war mehr eine Idee. Eine | |
Idee, wie aus schwerelosen Teilchen all die Elemente unserer Erde geworden | |
sind und daraus über Jahrmilliarden alles entstand, was wir kennen – | |
Wasser, Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen, alles im Universum. | |
Es muss Montag, der 20. Juli 1964 gewesen sein, an dem der damals | |
unbekannte Physiker eine Antwort auf jene Frage aufschrieb, die Theologen | |
und Naturwissenschaftler schon so lange quält. Irgendwann machten sich | |
Physiker in aller Welt daran, seine Theorie nachzuprüfen. Sie spannen seine | |
Gedanken weiter, Gelder wurden bewilligt, milliardenteure Apparate | |
konstruiert, ein ganzer Wissenschaftsstaat verschrieb sich Higgs’ Idee. 47 | |
Jahre dauert diese Jagd nun, und weil die Forscher mit ihren Experimenten | |
weit vorgedrungen sind, könnte sich in diesen Monaten, Wochen oder gar | |
Tagen klären, ob Peter Higgs recht hatte. Es fehlt nur noch ein kleiner | |
Baustein. Das Higgs-Teilchen. | |
Peter Higgs trägt Jeans, ein einfaches lila Hemd. Seine Knollennase gibt | |
ihm etwas Jungenhaftes, obwohl er 82 Jahre alt ist. Er wirkt fast | |
schüchtern, als er von diesem Wochenende im Juli 1964 erzählt, an dem alles | |
begann. „Es war, als hätten sich verschiedene Erinnerungen in meinem Gehirn | |
verknüpft.“ Er sitzt auf einer Couch in der Ecke eines Vorlesungssaals der | |
Universität Edinburgh. Hinter den Fenstern bläst der Wind so heftig gegen | |
die Bäume, dass die Äste fast den Boden berühren. Irgendwo in dieser Uni | |
hat Higgs vielleicht noch ein Büro. Er ist sich nicht sicher. „Ich habe | |
einen Schlüssel zu Hause, der zu einem Zimmer gehört“, sagt er, „vielleic… | |
sollte ich den mal zurückgeben.“ Er lässt sich in die Polster seiner Couch | |
zurückfallen und lacht hinter der großen runden Brille. | |
Wenn Physiker Dinge in einen Zusammenhang bringen wollen, bedienen sie sich | |
eines Hilfskonstrukts und nennen das Ganze ein Feld. Es muss also ein Feld | |
geben, schrieb Higgs damals, das gleichmäßig über das gesamte Universum | |
verteilt ist. An diesem Feld würden sich sämtliche Materieteilchen mit | |
Masse vollsaugen. Existiert dieses Feld, muss es darin auch ein besonderes | |
Teilchen geben, das Higgs-Teilchen. Es soll lediglich eine Billionstel | |
Sekunde nach dem Urknall existiert haben. | |
## Das Urteilchen: Wie ein Gerücht auf einer Party | |
Man kann Higgs’ verzwickte Theorie vielleicht begreifen, indem man sich | |
eine Cocktailparty vorstellt. Sein Feld verhält sich wie die Gäste auf | |
diesem Fest: Überall stehen Menschen gleichmäßig verteilt herum. Betritt | |
nun aber eine berühmte Persönlichkeit die Party, gruppieren sich die Gäste | |
in der Nähe schnell um sie herum. Wandert sie durch den Raum, hängt die | |
Menschentraube an ihr, weitere Gäste kommen hinzu, die Traube wird größer, | |
bewegt sich nur noch träge – und gewinnt so an Masse. | |
So soll es gewesen sein, ganz am Anfang, als im Weltall aus all den | |
schwerelosen Teilchen welche mit Masse wurden. Die Grüppchen wären die | |
ersten Masseteilchen, die es je gab, aus ihnen wurden Atome, daraus | |
Moleküle, dann Zellen, schließlich Pflanzen, Tiere, der Mensch. | |
So eine Menschentraube kann sich aber auch schon allein dadurch bilden, | |
dass ein Gerücht entsteht: „Bald kommt jemand Wichtiges“, flüstern die | |
Partygäste. Sie sammeln sich in tuschelnden Häufchen. Das Higgs-Teilchen | |
wäre wie das Getuschel auf der Cocktailparty, es würde so ebenfalls die | |
Bildung von Grüppchen auslösen, sozusagen Masseansammlungen. | |
Um die gesamte Theorie, den Higgs-Mechanismus, zu beweisen, muss man | |
zeigen, dass es jenes Higgs-Teilchen gibt. Wenn es schon mal existiert hat, | |
damals, als alles begann, müsste man es doch wieder erschaffen können, | |
glauben Physiker. Das versuchen sie nun, und zwar mit riesigen Geräten: | |
Teilchenbeschleuniger. In diesen röhrenförmigen Gebilden lenken Forscher | |
mit Hilfe von Magneten kleinste Teilchen wie Protonen mit annähernd | |
Lichtgeschwindigkeit im Kreis herum, um sie schließlich aufeinanderkrachen | |
zu lassen. Dadurch sollen neue, unbekannte Teile entstehen. Unter ihnen, | |
mit etwas Glück, das Higgs-Teilchen. | |
27 Kilometer lang ist der Tunnel, in dem das Higgs-Teilchen gefunden werden | |
soll. Wie ein U-Bahn-Schacht verläuft er kreisförmig unter der Erde des | |
Forschungszentrums Cern in der Nähe von Genf in der Schweiz. Im Inneren des | |
Schachts sitzt der Large Hadron Collider, LHC, der größte | |
Teilchenbeschleuniger der Welt. Pausenlos lassen Wissenschaftler dort | |
Teilchen aufeinanderprallen. Hundert Meter weiter oben, im Kontrollraum, | |
flutschen bunte Zahlen über meterhohe Bildschirme an der Wand, zeigen | |
Zylinder, Kugeln, Texte. Vor anderen Bildschirmen sitzen Studenten in | |
Kapuzenpullis. Sie beobachten, tauschen sich aus, tippen Werte ein, | |
beobachten wieder. Obwohl es hier konzentriert und leise zugeht, hat man | |
die Illusion zu spüren, dass hundert Meter weiter unten etwas Gewaltiges | |
vorgeht. | |
Im Teilchenbeschleuniger untersuchen kirchturmhohe Fühler die Bruchstücke, | |
die Daten fließen in den Kontrollraum, von dort in einen Supercomputer, der | |
sie in ein Verteilernetz namens Grid einspeist. Auf dieses Netz können | |
Higgs-Jäger in aller Welt direkt zugreifen, sie durchforsten die Daten nach | |
dem Teilchen, an ihren Rechnern in Freiburg, Turin, New York. | |
Und in Edinburgh. Dort arbeitet Victoria Martin, eine der letzten | |
Studentinnen, die Peter Higgs noch selbst unterrichtet hat. | |
Auf dem Rechner in ihrem Unibüro rattern Zahlen von oben nach unten, sie | |
tippt Codes ein, Programme spucken Kurven und Diagramme auf drei | |
Bildschirme. Mit einer schnellen Bewegung fährt sie ihre dunkelblonden | |
Haare aus dem Gesicht, stützt die Hände wieder auf den Tisch, hinter ihr | |
lehnt ein Fahrrad. Sie schläft wenig zurzeit, erledigt nur ungern andere | |
Arbeit, wie Vorlesungen vorbereiten oder E-Mails beantworten. „Am liebsten | |
würde ich nur auf die neuesten Daten sehen“, sagt die Physikerin. Denn die | |
Zeit gerade, sagt Victoria Martin, sei die spannendste überhaupt. | |
Das Higgs-Teilchen muss eine Masse zwischen 115 und 145 Gigaelektronenvolt | |
haben. Was darüber oder darunter liegt, haben die Forscher durch ihre | |
Experimente schon ausgeschlossen. 115 bis 145 Gigaelektronenvolt, das ist | |
der Bereich, in dem Victoria Martins Gruppe sucht. | |
„Es waren immer die kleinen Dinge, die mich interessierten“, sagt Victoria | |
Martin. Als Schülerin in den Achtzigern las sie Bücher über Dezimalbrüche | |
wieder und wieder, überlegte sich, Chemikerin zu werden. Als sie merkte, | |
dass die nichts Kleineres als Atome erforschen, schwenkte sie zur | |
Teilchenphysik. Ihr Freund ist auch Teilchenphysiker. | |
Victoria Martin ist 37 Jahre alt, sie hat in Edinburgh studiert. Im letzten | |
Jahr, in dem Peter Higgs noch forschte und lehrte, saß sie in seinem | |
Hörsaal. Dabei hat er es geschafft, eine verzwickte Theorie aus der | |
Teilchenphysik in ihren Kopf zu kriegen, bei einer dieser Vorlesungen, bei | |
der er die Tafel vollschrieb. | |
## Er setzte sich auf die Brille, dann wurde er gemalt | |
Victoria Martin springt an ihre eigene Kreidetafel, sie ahmt das gebogene | |
Schriftbild ihres Mentors nach. Die beiden treffen sich oft, dann berichtet | |
sie ihm von der Suche nach dem Teil, das seinen Namen trägt. | |
Seit 1996 ist Higgs im Ruhestand. Im Treppenhaus der Universität hängt | |
schon ein Gemälde von ihm, als wäre er ein Ahne. Auf dem Bild hat er | |
gerötete Augen, als hätte er die ganze Nacht am Schreibtisch über | |
physikalischen Formeln gebrütet. In der Hand hält er seine Brille, sie hat | |
nur einen Bügel. Bevor er gemalt wurde, hatte er sich darauf gesetzt. Er | |
findet es selbst witzig, dass das so gemalt ist. Er wirkt lieber etwas | |
schrullig als genial überheblich. | |
Mit Physik wollte er im Ruhestand eigentlich nicht mehr viel zu tun haben. | |
Lieber Romane von Ian McEwan lesen, seine CD-Sammlung durchhören, hin und | |
wieder einen anständigen Whisky trinken. „Ich fürchte, ich führe ein eher | |
faules Leben“, sagt er. | |
Doch so einfach ist das nicht mehr. Über die Jahre ist die Bedeutung | |
gewachsen, die Wissenschaftler seiner Theorie beimessen. Der Durchbruch für | |
den Higgs-Mechanismus kam Anfang der Siebziger, als theoretische Physiker | |
sie in das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik einbauten. Eine | |
Formel mit unendlich vielen griechischen Buchstaben, Klammern, Strichen und | |
nur drei Zahlen. Sie beschreibt die Grundbausteine des Universums, die | |
Kräfte, die zwischen ihnen wirken. Es ist der weitgehend akzeptierte Stand | |
der Dinge, wenn es um das Verhalten von Kleinteilen geht. Mithilfe von | |
Teilchenbeschleunigern konnten Physiker nach und nach alle Elemente der | |
Formel nachweisen. Alle, bis auf das kleine h – das Higgs-Teilchen. | |
Mitte der Neunziger begannen Wissenschaftler deshalb mit der Konstruktion | |
des LHC, des riesigen Teilchenbeschleunigers in der Schweiz. Er sollte | |
genug Energie zusammenbringen, um endlich auch das letzte Teil zu | |
entdecken. Kurz vor dem Starttermin im Herbst 2008 lief darin flüssiges | |
Helium aus. Ein Teil der Röhre explodierte. Die Reparatur dauerte, aber die | |
Higgs-Jäger machten weiter. Seit März 2010 läuft der LHC nun, ohne | |
Komplikationen. | |
Je mehr Ergebnisse die Wissenschaftler im Laufe der Zeit erzielten, desto | |
berühmter wurde Peter Higgs. Er muss Interviews geben, wird allzu oft | |
irgendwo hin eingeladen, Menschen schreiben ihm Briefe, erklären, dass sie | |
ihm eine Nachricht von Gott überbringen sollen. Dass viele sein Teilchen | |
Gottesteilchen nennen, dafür schämt sich Peter Higgs ein wenig. Mit Gott | |
will er nichts zu tun haben. Er glaubt nicht einmal an ihn. Heute wüssten | |
wir doch so viel über das Universum, sagt er, dass man nicht mehr an einen | |
Schöpfer glauben müsse. | |
## Wie wird sich das winzige Teilchen überhaupt zeigen? | |
Aber sind es nicht eigentlich die gleichen Fragen, die heute Physiker und | |
früher Theologen versuchten zu beantworten: Woher kommen wir? Woraus | |
bestehen wir? Wie ist alles entstanden? Peter Higgs sagt, er wolle gar | |
nicht, dass die Entdeckung des nach ihm benannten Teilchens die Antwort auf | |
alle Fragen ist. Es soll einfach nur Teil einer physikalischen Theorie | |
sein. Das Teil, das nie jemand entdeckt hat. | |
Wie wird sich so ein winziges Teil überhaupt zeigen, das so viel kleiner | |
ist als ein Atom? Kurz nachdem es durch das Aufeinanderkrachen im LHC | |
erschaffen wurde, wird es wieder in Bruchstücke zerfallen. Wenn diese | |
Bruchstücke bestimmte physikalische Eigenschaften aufweisen, werden | |
Forscher sagen können, dass das Higgs-Teilchen existiert. Die Higgs-Jäger | |
sehen dann auf ihren Bildschirmen auf einer kurvigen Linie einen kleinen | |
Hügel. | |
Victoria Martin hofft natürlich, dass der Hügel auf ihrem Bildschirm | |
erscheint. Aber selbst wenn: Es könnte ein Messfehler sein. Man müsste | |
nachmessen, prüfen, mit anderen Forschungsgruppen vergleichen. Das zu | |
betonen, bemühen sich alle Jäger immer wieder. Nichts wäre ihnen | |
peinlicher, als vorschnell den großen Wurf zu verkünden. | |
Auch wenn es die Edinburgher wären, die das Higgs-Teilchen auf ihrem | |
Bildschirm entdecken – ausgewiesen viel Ruhm würden sie dafür nicht ernten: | |
Auf der Veröffentlichung werden die Namen aller Wissenschaftler stehen, die | |
irgendwie mit dem Experiment zu tun hatten. Und das können Hunderte sein. | |
Die Suche scheint mühsam und wenig lohnenswert. Aus dem Nachweis des | |
Higgs-Teilchens wird wohl keine Anwendung für die Computerindustrie, | |
nichts, was man bald auf Amazon ordern könnte. Aber ist es nicht auch | |
beruhigend, in einer Welt, die getrieben ist von direktem Nutzen und | |
sofortiger Rendite, in Edinburgh und Genf Menschen zu treffen, die auf all | |
das keinen besonderen Wert legen? Die einfach nur ein bisschen mehr | |
verstehen wollen. Darüber, wie diese Welt funktioniert. Was der Anfang war. | |
Für die Antwort auf die Frage aber scheint ihnen nichts zu teuer, nichts zu | |
aufwendig. Allein der Bau des LHC hat über drei Milliarden Euro gekostet. | |
Natürlich ist die Jagd nach dem Higgs-Teilchen auch wie eine Sucht, die | |
Physiker ergriffen hat. Ein sportlicher Ehrgeiz, der die Jäger dazu bringt, | |
stundenlang auf ihre Rechner zu starren, sich immer neue Filter und Skripte | |
zum Auswerten der Daten zu überlegen. | |
Klar, es geht auch um Eitelkeiten. Das fängt schon bei der Frage an, wem | |
der Ruhm für die Entdeckung des Mechanismus, der allen Teilchen Masse geben | |
würde, zusteht. Wenige Wochen bevor Peter Higgs seine berühmte Arbeit 1964 | |
veröffentlichte, taten das auch zwei Wissenschaftler in Belgien, mit | |
ähnlichen Gedanken: Robert Brout und François Englert. So sollte das | |
Teilchen eigentlich nach allen drei Wissenschaftlern heißen. | |
Im Jahr 1967 jedoch stand Peter Higgs auf einem Empfang und plauderte mit | |
einem Wissenschaftler. In der einen Hand einen Teller mit Essen, in der | |
anderen ein Glas Wein. Higgs erklärte ihm seine Idee, wie Teilchen zu Masse | |
kommen könnten. Er hätte an jenem Tag mehr Referenzen erwähnen sollen, sagt | |
Higgs, die Namen aller nennen sollen, die das auch schrieben. Fünf Jahre | |
später hielt ebenjener Gesprächspartner den Abschlussvortrag auf einer | |
Konferenz. In seiner Zusammenfassung nannte er Peter Higgs – Brout und | |
Englert landeten in einer Fußnote. Die beiden waren damit nicht glücklich. | |
Auch nicht, als Kollegen sagten, sie würden eben den kürzesten Namen | |
nehmen, um all die Phänomene zu betiteln: Higgs-Teilchen, Higgs-Feld, | |
Higgs-Mechanismus. „Mein Name hat auch nur fünf Buchstaben“, soll Brout | |
beleidigt geantwortet haben. | |
Peter Higgs wirkt unangenehm berührt, wenn er über all das spricht. | |
Fünfundzwanzig Jahre nach jenem Empfang traf er Robert Brout. Sie waren | |
beide auf einer Konferenz in Stanford in Kalifornien. Am zweiten Morgen | |
wartete Higgs mit einer Gruppe Menschen vor seinem Motel auf den | |
Transportservice. Da bemerkte er, dass Brout in der Gruppe stand, ging zu | |
ihm und sagte: „Wir sollten uns mal über etwas unterhalten, was wir beide | |
gemacht haben, für das ich aber mehr Ansehen kriege, als ich verdiene.“ Von | |
da an seien sie gut miteinander ausgekommen. | |
## Die Jagd, die er ausgelöst hat, wurde Higgs zu groß | |
Seit etwa dreißig Jahren wird Higgs als Kandidat für den Nobelpreis | |
gehandelt. Die Chance darauf steigt, wenn das Higgs-Teilchen gefunden wird. | |
Dann müsste er in einen Smoking schlüpfen, nach Stockholm fahren, in | |
Kameras lächeln, noch mehr fremde Leute treffen. „Wenn ich ihn kriege, | |
hoffe ich, dass die Menschen mich nach einer Zeit satt haben und wieder | |
alleine lassen“, sagt Higgs. | |
Mag sein, dass er einem da etwas vormacht. Dass bei dieser Jagd in | |
Wirklichkeit Peter Higgs dem Ziel entgegenfiebert wie sonst keiner. | |
Aber andererseits scheint ihm die Sache wirklich etwas über den Kopf | |
gewachsen. Er ist Theoretiker geworden, weil er sich mit Zettel und Stift | |
sicherer fühlt als mit Computern und Messgeräten. Und nun werden jedes Jahr | |
Millionen für Instrumente ausgegeben, um seine Gedanken zu beweisen. Er | |
versteht nicht mehr viel davon, andere müssen es ihm erklären, gibt Higgs | |
zu. Die Jagd, die er ausgelöst hat, ist so groß geworden, dass er nicht | |
mehr folgen kann. | |
Er checkt ja nicht mal E-Mails, grundsätzlich nicht. So bekam er im Sommer | |
auch den ersten Hinweis darauf, dass das Higgs-Teilchen nun tatsächlich | |
entdeckt werden könnte, von seiner Nachbarin, ihr Sohn ist Physiker. | |
Es soll nun schnell gehen, hat der Chef des Genfer Forschungszentrums Cern | |
neulich gesagt. Der Beweis, ob das Higgs-Teilchen nun existiert oder nicht, | |
soll in spätestens einem Jahr da sein. Und wenn es nie erscheint? Wenn | |
alles vergeblich war? | |
„Klar würde sich die Erde auch weiter drehen, wenn niemand das | |
Higgs-Teilchen je findet, wenn es einfach nicht existiert“, sagt Victoria | |
Martin. Aber es ließe viele Wissenschaftler ratlos zurück. Higgs sagt: „Es | |
würde bedeuten, dass ich Dinge nicht mehr verstehe, die ich bisher geglaubt | |
habe zu verstehen.“ Er sagt das langsam, die Worte holpern ein wenig. Als | |
würde ihn der Satz schmerzen. Ihm ist bewusst, das es passieren kann. Dass | |
es am Ende gar kein Higgs-Teilchen gibt. Dass er falsch lag. | |
Tausende Forscher experimentieren, messen, sortieren. Hoffen. Für die | |
Menschheit. Für die Physik. Für ihren Ruhm. Oder einfach so. „Wir müssen es | |
finden“, sagt Victoria Martin. „Wenigstens für Peter.“ | |
„Ich hoffe nur, dass sie die Angelegenheit regeln, bevor ich sterbe“, sagt | |
Peter Higgs. Er lehnt sich nach vorne, stützt die Ellenbogen auf seine Knie | |
und schweigt. Es wäre wie das Ende eines Kapitels für ihn, sagt er, und | |
auch für das Standardmodell. „Vielleicht kann ich dann ein bisschen | |
entspannter leben, als ich das ohnehin schon mache.“ | |
Wirklich? „Nein, eigentlich nicht.“ Er lacht. „Ruhe hab ich dann wohl nur | |
noch, wenn ich schlafe.“ | |
10 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Maria Rossbauer | |
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zusammenhält. Doch bislang fehlte der Beweis, dass seine Überlegungen | |
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