Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Suche nach dem Urteilchen: Die Teilchengötter
> Wissenschaftler in der Schweiz suchen den sogenannten Higgs-Boson. Er ist
> der Schlüssel zur Erklärung der Masse. Wie seine Popularität zur Gefahr
> werden kann.
Bild: Physiker Peter Higgs ist der Namenspatron des gesuchten Urteilchens.
Das Higgs-Teilchen ist bekanntlich ein Skalarboson mit einem vermutlich
ganzzahligen Spin und einer Masse, die zwischen 117 und 153
Gigaelektronenvolt durch Lichtgeschwindigkeit im Quadrat liegen müsste.
Aha.
Man muss wissen, dass dieses eben beschriebene Ding berühmt ist. Es soll
die Erklärung sein, warum die Materie eine Masse hat. Um seine mögliche
Entdeckung hat sich seit Jahren ein gewaltiger Hype entwickelt. Nur warum?
Bei Lichte betrachtet handelt es sich um eine wissenschaftliche Messung,
die eventuell ein physikalisches Modell bestätigen könnte, das bereits
heute als unzureichend gilt.
Hans Magnus Enzensberger hat für das Forschungszentrum Cern, in dem sie das
Teilchen jagen, den Begriff "Kathedrale der Physik" erschaffen. Eine Art
Tempel, den nur die besten Baumeister ihrer Zeit errichten konnten, der
ungeheure Mittel verschlingt, in dem nicht Latein, sondern die Sprache der
Mathematik gesprochen wird und der Antworten liefern soll auf die großen
Fragen der Menschheit.
Natürlich wäre es grober Unfug, wissenschaftliche Erkenntnis und religiösen
Glauben in einen Topf zu werfen. Trotzdem offenbart sich am Higgs-Teilchen
ein Dilemma moderner Wissenschaft. Sie verliert ihre Fähigkeit, die
Öffentlichkeit aufzuklären. Stattdessen wird sie zum Medienphänomen, das zu
Dogmen neigt.
Die Popularität des Higgs-Teilchens außerhalb des wissenschaftlichen
Betriebs geht auf eine PR-Maßnahme zurück. Der Nobelpreisträger Leon
Ledermann veröffentlichte 1993 ein Buch über Teilchenphysik, das er "The
God Damn Particle" nennen wollte - das gottverdammte Teilchen. Sein
Verleger schlug vor, "Damn" zu streichen - das Buch hieß "Das
Gottesteilchen". Gemeint war das Higgs-Teilchen, das auf einmal einen
eingängigen Spitznamen hatte und zum Star wurde.
Welche Fragen die Wissenschaft umtreiben, speist sich aus zwei Quellen: aus
den Fragen des Wissenschaftlers selbst, aber viel mehr aus seinem Umfeld,
den Moden des Denkens, dem Geist der Zeiten. Ein Effekt, der durch
Gottesteilchen, PR-Wissenschaft und Milliardenbeträgen, die in einige
wenige wissenschaftliche Experimente fließt, potenziert wird. Bei all der
Kohle muss ein Ergebnis her.
## Weltformel oder Holzweg?
Das soll nicht heißen, dass sie am Cern Blödsinn forschen. Es besteht
allerdings die Gefahr, dass die Wissenschaft jene Fähigkeit zur permanenten
Selbstkritik einbüßt. Riesenexperimente verleiten das Denken zum
Herdentrieb. Der Mensch war von jeher ein Baumeister von Gedankengebäuden,
die er später wieder lustvoll einreißt, um bei Kant zu bleiben. Momentan
scheint er besonders kühn zu konstruieren.
Was würde es nun bedeuten, wird das Higgs-Teilchen zweifelsfrei entdeckt?
Die Weltformel? Es bedeutet vor allem, dass sich die Menschheit vorerst
weiter an ihr gegenwärtiges physikalisches Weltbild kuscheln kann. Das ist
weiterhin voller Löcher und Inkonsistenzen und schreit nach einer großen
Theorie, die alles erklärt.
Wobei, vielleicht ist ja ebendiese Suche nach der großen Theorie bereits
ein großer Holzweg. Zumindest werfen immer mehr Physiker genau diese Frage
auf. Robert Betts Laughlin zum Beispiel, der 1998 den Nobelpreis für Physik
erhielt. Er stellt in dem beachtenswerten Buch "Abschied von der
Weltformel" die Welt auf den Kopf.
Das bisherige physikalische Weltbild lautet, dass alle Phänomene der Natur
auf einige Grundkräfte und -gesetze zurückzuführen sind. Das ist laut
Laughlin ein Grundirrtum unserer Zeit. Er geht davon aus, dass die Welt, je
komplexer sie ist, neue Gesetze hervorbringt, die nicht aus ihren Elementen
zu erklären sind.
Das Bewusstsein könnte beispielsweise ein solches Phänomen sein. Das
Higgs-Teilchen würde demnach erklären, warum im Cern ein paar Messgeräte
ausschlagen, wenn Teilchen mit beinahe Lichtgeschwindigkeit
aufeinanderprallen. Mehr aber auch nicht.
13 Dec 2011
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
Nobelpreis für Physik
Nobelpreis
CERN
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nobelpreisträger Peter Higgs gestorben: Der Vater der Gottesteilchen
Der Physiker hatte 1964 seine Gedanken zur Entstehung der Welt formuliert.
Später bekam er den Nobelpreis. Die taz hatte ihn 2011 getroffen.
Nobelpreis für Physik: Die Teilchenjäger
Vor fast 50 Jahren postulierten die Physiker Peter Higgs und François
Englert die Existenz des Higgs-Bosons. Jetzt bekommen sie den Nobelpreis
dafür.
Nobelpreis für Teilchenphysiker: „Ich bin überwältigt“
Der Nobelpreis für Physik geht in diesem Jahr an den Briten Higgs und den
Belgier Englert. Die beiden Wissenschaftler haben das sogenannte
Gottesteilchen vorhergesagt.
Nobelpreis für Medizin 2012: Höchste Ehre für Klonpioniere
Der Japaner Shinya Yamanaka und der Brite John B. Gurdon teilen sich den
Nobelpreis für Medizin. Sie werden für ihre Arbeiten zum Klonen und der
Stammzellforschung ausgezeichnet.
Cern räumt mögliche Messfehler ein: Einstein vorerst gerettet
Fast ein halbes Jahr ist es her, dass Wissenschaftler des Europäischen
Teilchenforschungszentrum an der Relativitätstheorie rüttelten. Nun scheint
es Messfehler gegeben zu haben.
Auf der Suche nach den Higgs-Teilchen: Die Dinger, die die Welt erklären
Atomphysiker vom Cern in Genf haben "substanzielle Hinweise" auf die
Existenz der Higgs-Teilchen entdeckt. Das Teilchen selbst haben sie aber
noch nicht gefunden.
Die Jagd nach dem fehlenden Teilchen: Gottes Teilchen und Higgs Beitrag
Vor 47 Jahren entwarf Peter Higgs eine Theorie, was das Universum im Innern
zusammenhält. Doch bislang fehlte der Beweis, dass seine Überlegungen
richtig sind.
Physiker hoffen auf baldigen Erfolg: Jagd nach den Urteilchen
Wie entstand die Welt? Einst zettelte ein unbekannter Physiker eine
aufwändige Jagd nach dem Urteilchen an. Bald könnte es gefunden sein.
Relativitätstheorie in Frage gestellt: Neutrinos schneller als das Licht
Eine verblüffende Entdeckung am Schweizer Forschungszentrum CERN könnte
eine der Grundsäulen der Physik ins Wanken bringen. Physiker reagieren
skeptisch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.