Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rassismus im spanischen Fußball: Ein stolzer Gitano unter Schock
> Fußballtrainer Enrique Sánchez Flores entstammt einer der berühmtesten
> Romafamilien Spaniens. Vor rassistischen Anfeindungen ist auch er nicht
> gefeit.
Bild: Besonnene Trainerpersönlichkeit: Enrique Sánchez Flores beim Sevilla FC…
Barcelona taz | Enrique „Quique“ Sánchez Flores war der Schock anzumerken.
Der erfahrene Trainer des Sevilla FC gastierte mit seinem Team in Getafe,
wo er vor 20 Jahren seine Karriere als Übungsleiter begonnen hatte.
Insgesamt während drei Etappen coachte er den Madrider Vorstadtklub, der
59-Jährige hatte also allen Grund, das Coliseum genannte Stadion Getafes
als ein Zuhause zu betrachten. Bis zum Osterwochenende. Während des
1:0-Siegs seiner aktuellen Mannschaft wurde er von den Tribünen hinter der
Trainerbank verunglimpft. „Gitano“ krakeelten die Schreihälse, garniert mit
allerlei Injurien.
Sánchez Flores antwortete in der anschließenden Pressekonferenz sichtlich
betroffen: „Ich bin restlos stolz auf jede Pore meiner Adern, die
Gitanoblut atmet“, sagte er. „Aber das eine ist, Gitano zu sein, oder es in
Teilen zu sein – und eine ganz andere, damit rassistisch beleidigt zu
werden.“
Das Wort „gitano“ an sich gilt in Spanien nicht als abwertend, sondern wird
von den Roma des auf der Iberischen Halbinsel angesiedelten Caló-Volks auch
zur Selbstbeschreibung verwendet. Es ist abgeleitet von „Egipto“, weil man
im Mittelalter dachte, das Volk sei aus Ägypten eingewandert. Über die
genaue Anzahl der Caló in Spanien gibt es nur Schätzungen, weil die
Verfassung eine Aufschlüsselung nach ethnischer Unterscheidung verbietet.
Es wird von rund 750.000 Zugehörigen ausgegangen; jedenfalls handelt es
sich um die mit Abstand größte Roma-Community Westeuropas und um die
traditionsreichste Minderheit im Königreich. Der Flamenco, eines von
Spaniens Identitätszeichen schlechthin, entspringt ihrer Kultur.
Die Tribünen-Trolle von Getafe richteten sich letztlich also mehr gegen das
Eigene als gegen das vermeintlich „Fremde, Andere“. Die Verunglimpfungen
ließ das umso mehr als „abnormal“ und „jämmerlich“ (Sánchez Flores)
erscheinen.
## Neues Phänomen
In den Erstligastadien waren sie bisher nicht überliefert, weder gegen
andere Calós wie den 2008er-Europameister Dani Güiza – Spitzname: „El
Gitano“ – oder [1][den 2010er Weltmeister Jesús Navas] noch gegen Sánchez
Flores. Nur auf den Amateurplätzen waren sie schon immer zu hören.
„Vielleicht muss so etwas mal einem sehr dicken Fisch, einem ganz großen
Namen passieren, damit die Mächtigen dagegen vorgehen“, sagte nun der
Sevilla-Trainer zur in Spaniens Profifußball derzeit grassierenden Welle
rassistischer Beleidigungen. Aber welcher Fisch soll noch dicker sein als
er?
Sánchez Flores kommt aus einer der berühmtesten Familien Spaniens, und das
liegt nicht an seinem Vater, dem Ex-Real-Madrid-Profi Isidro Sánchez, oder
an seinem Patenonkel, der [2][Fußballlegende Alfredo Di Stéfano]. Sondern
an seinem „Gitano“-Zweig: seiner Mutter Carmen Flores, Sängerin und
Schauspielerin, seiner noch berühmteren Tante Lola Flores und einer ganzen
Künstlerdynastie, die in der dritten Generation von Schauspielerin Alba
Flores („Haus des Geldes“) vertreten wird.
Folklore und Flamenco aus der andalusischen Stammregion der Calós spielte
bei den Flores die Schlüsselrolle. Lola avancierte während der
Franco-Diktatur zur Vorzeigekünstlerin der Nation. Gute Gitana, böse
Gitanos: Während die Caló als Gruppe diskriminiert wurden, zu großen Teilen
in Slums hausten und von der Guardia Civil legal einer Sonderbewachung
unterzogen werden durften, firmierte sie als „Lola de España“ – so der
Titel eines ihrer Lieder.
In einer ihrer späteren Fernsehrevuen interviewte sie auch mal ihren
Neffen. Der junge Quique, Konfirmandenlook mit Anzug, Krawatte und Brille,
erklärt: „Meine Mutter hat mir immer alle Freiheiten gelassen, zu tun, was
ich gern wollte, und das war Fußball.“ Artig fügte er hinzu: „Neben Lernen
natürlich.“
## Welle des Rassismus
In einem Interview von 1987 verriet der damalige Außenverteidiger des
Valencia CF, dass ihm als Kind die Aufmerksamkeit durch die Tante eher
peinlich war. Flamenco habe er zuletzt eher zwangsweise bei seiner Hochzeit
getanzt. Sánchez Flores ging seinen Weg, wurde Nationalspieler, später
Coach von Spitzenklubs wie Valencia und Atlético Madrid, mit dem er 2010
die Europa League gewann. In Perioden ohne Trainerbank blieb er als
Fernsehexperte präsent. Immer zeichnete er sich dabei durch eine sehr
ruhige Art aus und große Sachlichkeit in den Reflexionen.
Auch in Getafe ordnete er seine Traurigkeit [3][in den breiteren Kontext]
ein. Am selben Osterwochenende wurde die Drittligapartie zwischen dem
baskischen Verein Sestao River und dem Madrider Klub Rayo Majadahonda
abgebrochen, nachdem der senegalesische Gästetorwart Cheick Sarr von den
Heimfans verunglimpft wurde. Sein Team zog sich aus Protest in die Kabine
zurück. Bei Getafe gegen Sevilla wiederum aktivierte der Schiedsrichter das
Anti-Rassismus-Protokoll, als der argentinische Gästeprofi Marcos Acuña von
den Rängen wiederholt als „Affe“ verhöhnt wurde. Getafe wurde mittlerweile
mit einer Schließung der entsprechenden Tribünenblöcke für drei Partien
bestraft.
Die Beleidigungen gegen Sánchez Flores wurden dabei – vorerst – noch gar
nicht verhandelt. In seinem Interview von 1987 nannte Sánchez Flores den
Umgang mit den Gitanos einen „klaren Fall von Rassismus“. Für sie gelte
keine Chancengleichheit, „ihnen wird nichts zugetraut, man sieht nur
Delinquenten in ihnen“. Sánchez Flores äußerte damals die Zuversicht, „d…
das Land hinreichend kultiviert ist, um dieses Problem zu überwinden“.
Knapp 40 Jahre später haben Sozialprogramme die Lage so weit verbessert,
dass die meisten Slums abgerissen sind und die extreme Armut weitgehend
verschwunden ist.
Aber am Ostersamstag in Getafe musste selbst ein prominenter Fußballtrainer
aus einer populären Familie feststellen, dass es „in diesen Zeiten, wo es
in so vielen Bereichen nach vorn geht“, auch Leute gibt, „die uns nach
hinten ziehen, zurückwerfen, Dinge sagen, die außerhalb jedes
Mindestrahmens des Zusammenlebens sind“. Und dass das sogar an Orten
geschieht, die er für seine hielt.
8 Apr 2024
## LINKS
[1] /Spanien-ist-Fussball-Weltmeister/!5139226
[2] /Nachruf-auf-Alfredo-Di-Stefano/!5038155
[3] /Rassismus-im-Fussball/!5933261
## AUTOREN
Florian Haupt
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Fußball
Primera Division
Schwerpunkt Internationaler Tag der Roma
Fußball
Real Madrid
Schwerpunkt Internationaler Tag der Roma
Schwerpunkt Rassismus
Fußballspiele
## ARTIKEL ZUM THEMA
Dani Olmo und der FC Barcelona: Drama bei Barça
Keine Spielgenehmigung für den Rest der Saison. Das droht zur Zeit den
Barça-Profis Dani Olmo und Pau Víctor. Doch worum geht es wirklich?
Real Madrid gegen Manchester City: So viel Qualität
Real Madrid und Manchester City trennen sich in einem rasanten Spiel
unentschieden. Die Zuschauer lassen sie mit Schnappatmung zurück.
Roma in der EU und europäischen Politik: Viele Stimmen, wenig Gehör
Die Betroffenheit durch Diskriminierung eint alle Roma in Europa. Sie haben
kaum eine politische Lobby. Wie könnte sich die Situation verbessern?
Rassismus im Fußball: Beeindruckende Solidarität
Vinicius Junior bedankt sich für den großen Zuspruch. Der Stürmer von Real
Madrid fordert weiter eine konsequente Bestrafung von Hassattacken.
Rassismus im Fußball: Wütender Fingerzeig
Real Madrids Vinícius Júnior wird erneut rassistisch beleidigt. Bei allem
Entsetzen ebbt auch die Kritik an dessen Verhalten auf dem Feld nicht ab.
Politisches Testspiel Deutschland - Ungarn: Tragischer Kreislauf
Mit dem Spiel gegen Ungarn will der DFB auch ein Zeichen gegen den
Antiziganismus setzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.