# taz.de -- Streit um Obdachlosenheime in Hamburg: Aufstand der Ängstlichen | |
> Zwei Unterkünfte für Obdachlose polarisieren Hamburg-Niendorf. Die einen | |
> fürchten um ihren Vorgarten, andere ärgert die unsolidarische | |
> Nachbarschaft. | |
Bild: Gerät hier eine Idylle ins Wanken? Das ehemalige Pflegewohnstift im Gars… | |
Hamburg taz | In der Kirche am Niendorfer Marktplatz geht es am | |
Dienstagabend hoch her. Etwa 250 Niendorfer*innen sind zur | |
Informationsveranstaltung der Hamburger Sozialbehörde erschienen, um Fragen | |
zu stellen – und Dampf abzulassen, fast drei Stunden lang. Denn ab Mitte | |
April soll es in ihrem Stadtteil zwei neue Unterkünfte [1][für obdachlose | |
Menschen] geben. Die Reaktionen im Stadtteil reichen von großer Zustimmung | |
bis zu großem Unmut. | |
Bereits vor der Veranstaltung hatte es viel Kritik an der | |
[2][Informationspolitik der Behörde] gegeben. Viele Niendorfer*innen | |
beschweren sich auch an diesem Abend, sie seien nicht rechtzeitig | |
informiert worden. Petra Lotzkat, Staatsrätin der Hamburger Sozialbehörde, | |
entschuldigt sich auf der Veranstaltung gleich mehrmals dafür. Nun sei ein | |
runder Tisch geplant, um die Anwohner*innen einzubinden. | |
Das ändert aber nichts daran, dass viele Anwohner*innen das Vorhaben | |
der Behörde nicht richtig finden: „Die Unterkünfte sind am falschen | |
Standort“, sagt ein Mann auf der Veranstaltung und erntet Applaus. Und ein | |
anderer fragt: „Wie viel kann ein Stadtteil ertragen?“ Im Vorfeld hat ein | |
neuer Zusammenschluss von Niendorfer*innen Flyer verteilt, um das | |
Projekt vorerst zu stoppen. | |
Geplant sind zwei Einrichtungen: In das ehemalige Pflegeheim am Garstedter | |
Weg 79–85 soll eine Pflegeeinrichtung für obdachlose Menschen kommen, die | |
besonders vulnerabel sind. Angemietet wird das Gebäude von Fördern & | |
Wohnen. Der städtische Träger habe jahrelang nach einer geeigneten | |
Immobilie gesucht, sagt Bereichsleiterin Ina Ratzlaff. Bis zu 118 Frauen | |
und Männer können nun in Niendorf untergebracht werden. Die ersten Menschen | |
sollen am 22. April kommen, bis Ende Mai sollen es 51 Bewohner*innen | |
sein. Nach und nach werde die Unterkunft voll belegt. | |
## Gegenüber befinden sich eine Kita und eine Schule | |
Etwa 400 Meter weiter, in der Fett’schen Villa am Garstedter Weg 20, soll | |
zusätzlich ein sogenanntes Übergangswohnen für obdachlose Menschen | |
entstehen. Der Pflegebedarf steht hier nicht im Vordergrund, maximal 18 | |
obdachlose Frauen und Männer sollen hier vorübergehend unterkommen. | |
Viele Eltern äußern wegen der Standorte Sicherheitsbedenken: Gegenüber der | |
Pflegeeinrichtung befinden sich eine Kita und eine Grundschule. Und eine | |
ältere Frau bezweifelt am Dienstag laut, dass sie noch weiter mit dem | |
Fahrrad zum Sportverein in der Nähe der Unterkünfte fahren könne: „Ich | |
überlege mir schon, ob ich da weiter hingehe, wenn ich dafür an beiden | |
Brennpunkten vorbei muss“, sagt sie. | |
„Wir wollen Ihre Ängste ernst nehmen“, sagt Ratzlaff auf der Veranstaltung. | |
Die Sozialbehörde habe deshalb ein Konzept entwickelt, um vor allem in der | |
Anfangszeit darauf einzugehen. Im Radius von 500 Metern um die | |
Pflegeunterkunft herum soll Security Streife gehen. Ab 7 Uhr morgens sollen | |
außerdem zwei Sicherheitskräfte vor der Einrichtung stehen. | |
Es sei außerdem jederzeit möglich, das Sicherheitskonzept auszubauen. Auf | |
ihrer Website schreibt die Sozialbehörde dazu: „Dieses Sicherheitskonzept | |
setzen wir auf, um den Sorgen der Anwohnerinnen und Anwohner begegnen zu | |
können, nicht weil wir meinen, es sei dringend erforderlich.“ Auf der | |
Veranstaltung bezweifelt das ein Niendorfer: Er sei irritiert, dass die | |
Behörde predigt, die Obdachlosen seien nicht gefährlich, aber trotzdem | |
Sicherheitskräfte stellt. | |
## Reicht das Pflegepersonal? | |
Das Misstrauen unter den Anwesenden ist trotzdem groß am Dienstagabend. | |
Einige äußern ihre Sorge, dass die Klientel vom Hauptbahnhof in ihren | |
Stadtteil verlagert wird. „Bitte sagen Sie uns ehrlich, worauf wir uns hier | |
einstellen müssen“, sagt ein Anwohner. Und ein anderer ergänzt: „Ich finde | |
es unglaublich, unter den Tisch zu kehren, dass jeder zweite Obdachlose | |
suchtkrank ist.“ Eine andere Frau erzählt davon, wie schon einmal ein | |
Obdachloser in ihrem Vorgarten lag. Wie so etwas vermieden werden könne, | |
will sie wissen. | |
Staatsrätin Lotzkat versichert: „Wir haben kein Interesse daran, dass | |
Niendorf ein Brennpunkt wird.“ Zu dem Konzept der Pflegeeinrichtung und | |
der Übergangswohnungen gehöre, dass keine drogenabhängigen Menschen | |
aufgenommen werden. Mehrmals wiederholt die Staatsrätin, dass [3][die | |
obdachlosen Menschen], die nach Niendorf kommen, „regelkonform“ sein | |
müssen. | |
Ina Ratzlaff stellt sogar klar, dass die zukünftigen Bewohner*innen | |
„handverlesen“ seien. Es handele sich dabei um Menschen, die ganz klar den | |
Wunsch äußern, etwas an ihrem Leben verändern zu wollen. Und sie betont, | |
dass die Pflegeeinrichtung 24 Stunden am Tag erreichbar sei: „Melden Sie | |
sich bitte bei uns, wenn etwas ist“, sagt sie. | |
Nicht nur um ihre Sicherheit machen sich viele Niendorfer*innen Sorgen. | |
Mehrere Anwohner*innen äußern auf der Veranstaltung Bedenken, ob | |
überhaupt genügend Pflegepersonal vor Ort sein wird. Geplant ist, dass | |
täglich zwei Pflegekräfte im Garstedter Weg 79–85 vor Ort sein werden. | |
Zweimal wöchentlich solle es außerdem eine hausärztliche Sprechstunde | |
geben. „Wie sollen zwei Pflegekräfte 118 Menschen versorgen?“, fragt | |
jemand. | |
Ratzlaff stellt klar, dass für alle Bewohner*innen mit | |
Krankenversicherung zusätzlich ambulante Pflegedienste organisiert werden | |
können. Bereits mehrere Arztpraxen in Niendorf hätten sich außerdem bereits | |
bei Fördern & Wohnen bereit erklärt, Patient*innen aus der | |
Pflegeeinrichtung zu behandeln. Das Pflegeangebot gelte aber eben auch für | |
Menschen, die keinen Leistungsanspruch auf Pflege haben, [4][etwa Menschen | |
aus dem EU-Ausland ohne Sozialversicherung]. „Viele dieser Menschen würden | |
auf der Straße sterben“, sagt Ratzlaff. „Sie haben entweder gar nichts oder | |
das, was wir ihnen bieten können. Und wir nehmen die Verantwortung sehr | |
ernst.“ | |
Lange nicht alle Niendorfer*innen sind gegen die beiden | |
Obdachlosenunterkünfte. Eine Frau meldet sich auf der Veranstaltung zu | |
Wort: „Ich finde es richtig und wichtig, dass die Unterkünfte kommen. Und | |
meine Kinder sollen sehen, was unsere Gesellschaft ausmacht.“ Eine | |
Besucherin sagt, sie sei bedrückt davon, wie viele Leute sich gegen die | |
Unterkunft stark machen. Und eine andere Frau geht noch weiter: „Ich habe | |
mehr Angst vor einigen Leuten, die hier sitzen, als vor den obdachlosen | |
Menschen, die herkommen sollen.“ | |
Auch einige Oberstufenschüler*innen aus Niendorf sitzen am | |
Dienstagabend in der Kirche. Am Rande der Veranstaltung sagt eine von ihnen | |
der taz: „Ich bin auf jeden Fall dafür, dass die Unterkunft kommt. Viele | |
Menschen verhalten sich gerade absolut unsolidarisch.“ | |
14 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ex-Obdachlose-ueber-Obdachlosigkeit/!5987200 | |
[2] https://www.hamburg.de/obdachlosigkeit/18272890/fragen-antworten-garstedter… | |
[3] /Ex-Obdachlose-ueber-Obdachlosigkeit/!5987200 | |
[4] /Politikerin-ueber-Umgang-mit-Bettlern/!5925833 | |
## AUTOREN | |
Anna Lindemann | |
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