| # taz.de -- Konflikte um Ressourcen: Wem gehört der Berg? | |
| > Im Zentrum des Anthropozäns steht die Frage nach der Verteilung von | |
| > Ressourcen. Überall wird darum gekämpft – in der Stadt wie auf dem Land. | |
| Bild: … als würde man mit Gewichten am Fuß einen Berg erklimmen | |
| In der Stadt, in der ich lebe, wird jeden Tag gekämpft. Vor allem um Räume. | |
| Raum zum Wohnen, Raum zum Radfahren, Raum zum Zufußgehen, Raum in Bus und | |
| Bahn, auf dem Bürgeramt oder in der Arztpraxis. Wo zu wenig Raum ist, ist | |
| alles in Bewegung. Ein ewiges Verdrängen und Verdrängtwerden. | |
| Die Enge, das Gedränge strengen an, ziehen die Kraft, die man zum Kämpfen | |
| braucht, zum Grenzenziehen und -verteidigen, zum Vorwärtskommen oder zum | |
| Verweilen. Als würde man mit Gewichten am Fuß einen Berg erklimmen, dessen | |
| Gipfel im Nebel liegt. Man weiß nicht, welche Aussicht man hat, wenn man | |
| einmal oben ist – wenn man jemals oben ist. Sieht man von oben das Ende des | |
| Anthropozäns? | |
| Wenn es zu eng wird und die Gewichte zu schwer, suche ich Erleichterung am | |
| Berg; einem, den es wirklich gibt. Selbst ein Berg ist immer in Bewegung, | |
| aber langsamer als alles andere auf der Welt, und trotzdem hat er so viel | |
| mehr gesehen als wir. Seine Kraft ist die Zeit, die wir nicht haben. | |
| Im Februar, wenn es nur noch selten schneit, ist es dort still und leer. | |
| Ich spüre keine Gewichte mehr, selbst wenn meine Beine in hohem Schnee | |
| versinken. Ich spüre keine Enge, selbst wenn das Tal schmal und dunkel ist. | |
| Für einen Moment ist da nur Weite und Leichtigkeit. Wird hier gar nicht | |
| gekämpft? | |
| ## Gekämpft wird überall | |
| Auf einer Anhöhe lichtet sich der Wald und gibt den Blick frei. Durch das | |
| Fernglas erkenne ich schwarze Punkte, die auf einem Schneeband senkrecht | |
| nach unten wandern. Die letzten Skifahrer:innen des Tages, vielleicht | |
| der Saison. In der österreichischen Zeitung [1][Der Standard] lese ich | |
| später ein Interview mit einem Tourismusforscher. Er sagt: „Österreich ist | |
| kein Wachstumsmarkt mehr beim Skifahren. Wir befinden uns im Alpenraum in | |
| einem starken Verdrängungswettbewerb“, und „Es gibt die Hoffnung, dass mehr | |
| Chinesen Skifahren lernen und dass sie dann auch nach Europa zum Skifahren | |
| kommen.“ Ich lerne: Es wird gekämpft und es wird gekämpft werden. | |
| Auf dem Rückweg ein Schild am Hof des Milchbauern: „Unserem Vieh die Almen, | |
| dem Wolf die Wildnis“. Später lese ich auf [2][almohnewolf.at] die | |
| Forderung nach „umfassendem Schutz und Erhalt der bäuerlichen Weide-, Alm-, | |
| Freiland- und Offenstallhaltung mit ihren umfassenden Leistungen für | |
| Kulturlandschaft, Artenvielfalt und Tierwohl“, und „Ihr ist im Verhältnis | |
| zum Wolf der Vorrang einzuräumen“. Ich lerne: Es wird gekämpft und es wird | |
| gekämpft werden. | |
| Wem gehört der Berg? Dem Rind, dem Bauern, dem Wolf? Der Wanderin oder dem | |
| Skitouristen? Ich habe keine Antwort, aber eines ist gewiss: Gekämpft wird | |
| überall, im Anthropozän. | |
| 12 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.derstandard.de/story/3000000205699/immer-weniger-fahren-in-214s… | |
| [2] https://www.almohnewolf.at/ | |
| ## AUTOREN | |
| Nora Belghaus | |
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