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# taz.de -- Die Wahrheit: Liebeskummer in the house
> Plötzlich sind sie ausgezogen. Nie mehr werden sie auf der Bank sitzen
> und Bier trinken. Und was werden die Neuen tun? Mögen sie Bier und Bänke?
Seit dreizehn Jahren lebe ich in einer gefestigten Beziehung. Ich hätte
nicht gedacht, dass ich in diesem Leben noch mal Anlass hätte zu
Liebeskummer, aber meine Nachbarn unter mir sind ausgezogen.
Ich kam zurück von einer Tournee und ging die Treppe hoch. Auf ihrer Etage
hatte eine Bank im Treppenflur gestanden. Sie war verschwunden. Dort waren
immer die Pakete gelagert, die meine Nachbarn für mich angenommen hatten.
Vor allem aber hatten die zwei da immer gesessen, wenn wir uns trafen.
Unsere Tradition war das Treppenbier. Beide saßen auf ihrer Bank, ich
hockte auf den Stufen und dann plauderten wir. Immer wieder ging einer von
uns los und holte neues Bier. Nie wurden es mehr als drei, aber es war in
all den Jahren eine wunderbare Nachbarschaft.
Nun ist da nur noch Wand und Boden. Bei jedem Auf- und Abstieg gehe ich an
der Leere vorbei. Ein Abgrund! Den Müll rauszustellen hatten wir nie
verabredet – unser Erdgeschoss schwächelt da etwas –, aber egal, auf die
zwei war Verlass.
Wir besaßen gegenseitig unsere Schlüssel. Wenn sich jemand ausschloss,
waren wir parat. Jedes Mal, wenn ich mein Handy verlegt hatte, brachten die
zwei mein Gerät mit nur einem Anruf wieder ans Tageslicht.
Vor allem sie hatte als Nachbarin ein unglaubliches Händchen für die
Verwandlung des Treppenhauses in Wohnraum. Die weihnachtlichen Sterne waren
jedes Jahr einer der Höhepunkte. Oder auf dem Fensterbrett war ein
trostreiches Wort mit Buchstaben gebildet. Oder an einer Wand war am Boden
ein kleiner Eingang für Trolle, die dann allerdings durchs Mauerwerk hätten
gehen müssen. Nun ist dort das reine Nichts.
In den nächsten Tagen kommen neue Nachbarn. Leider hatte ich in dem
Mietshaus kein Mitspracherecht bei der Auswahl der neuen Mieter. So ein
Hausbesitzer muss ja nicht mit den Neuen zusammenleben. Das muss dann ich.
Auf dem Dorf hast du meistens ein Leben lang dieselben Nachbarn. Wenn du da
mal mit einem nicht kannst, hast du schlechte Karten. Dann kannst du nur
warten, bis der Bestatter sie von ihrem Grundstück trägt, und mit etwas
Pech gewinnt der Nachbar diese Wartezeit. Da kann die Fluktuation in einer
Mietwohnung schon ein Gewinn sein. Aber ein Trost ist das jetzt auch nicht.
Meine Vermieter wollten mich beruhigen und erklärten mir, die Neuen seien
sehr nett und wir würden sicher gut zusammenpassen. Allerdings wissen sie
noch gar nicht, was ich von ihnen erwarte und wie hoch die alten Nachbarn
die Latte gelegt haben.
Die Frage ist, ob sie überhaupt an deren Stelle treten wollen. Vielleicht
mögen sie kein Bier und sitzen nicht gern im Treppenhaus. Jedenfalls
wünsche ich meinen alten Nachbarn in ihrer neuen Bleibe wieder einen, mit
dem sie auf der Treppe sitzen können. Und mir wünsche ich das Gleiche.
Hoffentlich haben die Neuen eine Bank!
13 Feb 2024
## AUTOREN
Bernd Gieseking
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Ostwestfalen
Nachbarschaft
Bier
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