| # taz.de -- Die Wahrheit: Dichter im Hotel | |
| > Auf der Suche nach einem verehrten Poeten gerät eine Freundin der Lyrik | |
| > an verschwörerische Kräfte in einer undurchsichtigen Hamburger | |
| > Luxusherberge. | |
| Endlich Hamburg! Jahrzehntelang hatte ich auf den vierwöchigen Aufenthalt | |
| im legendären Hotel Atlantic gespart. Das Luxusleben war mir eigentlich gar | |
| nicht wichtig, aber ich hatte mal in einem Film gesehen, dass der Dichter | |
| und Philosoph Christian Maintz im Atlantic wohnt. Ob das Legende oder | |
| Wahrheit war, das galt es nun herauszufinden. | |
| Das Personal benahm sich extrem höflich, ja fast schon zuvorkommend. Eine | |
| Hafenrundfahrt war schnell absolviert, und ein Fischbrötchen hatte ich auch | |
| schon gegessen. Ein berühmter Zauberer hatte mir gesteckt, dass Maintz – | |
| wenn überhaupt – erst tief in der Nacht die Hotelbar aufsuchen würde. Den | |
| Rest des Tages würde er mit interessanten Gedanken vertändeln. | |
| Die wunderschöne Bar war in angenehmes Licht getaucht. Die nette Bardame | |
| berührte auf eigentümliche Weise mein Herz, daher nahm ich sie | |
| verschwörerisch zur Seite und fragte: „Stimmt es eigentlich, dass Christian | |
| Maintz hier wohnt, oder ist das nur eine Sage?“ | |
| Die schmucke Dame zwinkerte geheimnistuerisch und antwortete: „Das stimmt.“ | |
| Nun war ich aber aufgeregt und fragte: „Kommt er denn auch manchmal in die | |
| Bar?“ Die Dame schaute sich ein paar mal nervös um und geleitete mich in | |
| ein Nebenzimmer, in dem wir offen reden konnten. | |
| Dieses Zimmer war geschaffen aus reinem Damast und feiner Seide, der Duft | |
| von Weihrauch hing in den samtroten Vorhängen, die Kellnerin aber senkte | |
| den Kopf und bedeutete mir, dies ebenfalls zu tun. Dann hob sie zu sprechen | |
| an. „Einst“, so begann sie, „einst …“ Aber dann wusste sie nicht weit… | |
| Doch so schnell wollte ich das Forschungsprojekt „Maintz in Hamburg“ nicht | |
| aufgeben, auch wenn es zunächst gescheitert schien. Im ganzen Hotel hingen | |
| kostbar gefasste Faksimile seiner Werke an den Wänden, die Bediensteten | |
| blickten allesamt verschwörerisch, so als wüssten sie etwas. An einem | |
| offenen Kamin trank ich einen sündhaft teuren Brandy, rauchte eine Zigarre | |
| und beratschlagte mich mit mir selbst: Wo sollte Maintz sich aufhalten, | |
| wenn nicht im fünften Stockwerk? | |
| Hastig stürmte ich die ausladenden Marmortreppen hinan. Das fünfte | |
| Stockwerk war geheimnisvoll und lag in einem leicht schemenhaften Licht. | |
| Ein tanzendes Dromedar schwebte vorbei. Zu beiden Seiten des langen Flures | |
| waren große, hölzerne Türen mit goldenen Rahmen und kleinen Spionäuglein, | |
| durch die man in die Zimmer gucken konnte. Dort spielte sich allerhand ab, | |
| aber Christian Maintzens wurde ich nicht angesichtig. | |
| Ich fragte mich, ob ich von Kameras beobachtet würde. Vorsorglich putzte | |
| ich mir die Nase, wusch mir die Ohren und zog meinen Scheitel gerade. Ein | |
| Kobold huschte vorbei. | |
| Vor der Haustür des Atlantic rauschte die Elbe oder die Alster – so genau | |
| kann man das in Hamburg nie wissen, die Spree war es auf jeden Fall nicht. | |
| Anderntags las ich im Hamburger Abendblatt, dass Christian Maintz derzeit | |
| in Frankfurt weilt. Was für ein Abenteuer! | |
| 25 Jan 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Corinna Stegemann | |
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